DÜSSELDORF. Die Forderung ist so alt wie verbreitet: Schulen sollen Schülerinnen und Schülern mehr Alltagswissen vermitteln – von gesunder Ernährung über Medienkompetenz zur Steuererklärung bis hin zum Abschließen eines Mietvertrags. Zuletzt brachte die Krankenkasse DAK das Thema wieder mal auf die Tagesordnung (News4teachers berichtete). Im Leserforum kommentierte Lehrerin „Ça me fatigue“ die Diskussion um die Lehrpläne – wir veröffentlichen den lesenswerten Post an dieser Stelle nochmal als Gastkommentar.

Um einen Mietvertrag oder generell einen Vertrag abschließen zu können, ein Finanzierungsmodell zu verstehen oder ein Bankkonto zu eröffnen (auch ein Vertrag), benötigt man in erster Linie Deutschkenntnisse (sinnverstehendes Lesen von Texten und Paragrafen in winziger Schrift mit Fachwörtern aus den verschiedenen Sparten) und Mathekenntnisse (verschiedene Modelle miteinander vergleichen). Man sollte auch die Handschrift (nicht Druckschrift) beherrschen, um unterschreiben zu können und handschriftliche Aufzeichnungen z. B. aus einem Gespräch mit einem Versicherungsagenten entziffern zu können.
Wenn man diese oben erwähnten Fähigkeiten nicht hat, wird es auch problematisch sein, die gewünschten Themen zufriedenstellend zu bearbeiten.
Es gibt sicher auch diejenigen, die z. B. in der 10. Klasse einigermaßen fit in all diesen Dingen sind. Die haben dann aber auch kein Problem, sich das fehlende Fachwissen allein anzueignen, sobald sie es benötigen.
Das ist ähnlich wie in den Naturwissenschaften: Ohne die Grundlage hat man keine Chance, kompliziertere Themen „zusammen zu puzzeln”. Deshalb benötigt man die Grundlagenforschung, die erst mal keinen Profit gibt. Erst, wenn man viele Dinge erforscht hat (ohne deren Nutzen zu kennen), kann man durch Kombinieren auf Neues stoßen, das sich dann irgendwann verwenden/vermarkten lässt. Das ist aber ein laaaaanger Weeeeg.
Aber dieses Modell versteht ja auch die Mehrheit der Gesellschaft nicht.
Das Kleinkind hat Laufen gelernt – also rauf auf den Mount Everest.
Vorher sollte aber totlangweiliges Training erfolgen – jahrelang.
“Dass der Weg zum Ziel das eigentliche Ziel ist, ist in die Köpfe nicht reinzubekommen. Bedauerlich!”
Das ist genauso mit den sogenannten Alltagsproblemen, die die heutigen Schulabgänger und -innen nicht mehr gelöst bekommen. Ja klar: Wenn vorher die Grundlagenforschung zu langweilig war, hat man halt Google oder die allwissende KI gefragt. Man selbst hat zwar keine Ahnung, aber es ist ja egal, wie was auf das Papier kommt, Hauptsache, die Lösung stimmt. Dass aber der Weg zum Ziel das eigentliche Ziel ist, ist in die Köpfe nicht reinzubekommen. Bedauerlich!
Da hilft auch die Zusatzstunde „Wie eröffne ich ein Konto” nur wenig. Das ist für viele Schülys zu weit weg – und da muss man ja was lesen, was man nicht auf Anhieb versteht! Dass das irgendwie wichtig sein könnte, merken sie erst, wenn sie aus der Schule draußen sind. Ohne Grundlagen geht gar nichts und ohne Motivation geht nichts in die Köpfe.
Im Übrigen sei erwähnt, dass es in Gesamtschulen die Arbeitslehre gibt, in der auch solche Themen behandelt werden. In Gymnasien wäre es eine Idee für ein Wahlfach oder eine AG.
Das Mediennutzungsproblem und die damit einhergehende ungesunde Lebensweise (zu wenig Schlaf, ungesunde Ernährung, wenig Bewegung, Suchtverhalten mit folgenden psychischen Problemen) ist extrem groß, aber von der Schule nur zu einem kleinen Teil zu beeinflussen. Aus meiner Sicht benötigen hier auch die Eltern Fortbildungen.
Ob sie die Ratschläge dann in die Realität umsetzen können, liegt an den Möglichkeiten, die die Eltern haben: Lässt der Beruf genug Zeit für die Kinder / verstehen sie, worum es geht / haben sie mit sich selbst schon zu viel zu tun und die Kinder überfordern sie / kommen die Kinder in ein „komisches” Umfeld und wollen Dinge, die die Eltern nicht möchten, ohne die sie aber ausgegrenzt werden (wie Modezwang) …? Usw.
“Man kann tatsächlich auf ein Suchtverhalten bei einem großen Teil der Schülerschaft schließen”
Ein Suchtkranker benötigt normalerweise eine Therapie in Einzelbetreuung. Das kann Schule sicher nicht leisten – Eltern allein auch nicht. Wenn man die Mediennutzungsgewohnheiten der Kinder abfragt und sich gleichzeitig die übliche Schlafdauer pro Nacht sagen lässt, kann man erkennen, dass für viele kaum Zeit für Schule (nach der Schule – also Hausaufgaben machen, lernen, lesen, Musikinstrument üben …) übrigbleibt. Zum Essen ist auch nicht viel Zeit. Das sind dann oft die Verhaltensoriginellen und schwachen Schülys.
Die anderen haben einen vollen Stundenplan mit Sport und allerlei anderen Dingen, sie schlafen genug und sind in der Schule unauffällig. Das sind im Normalfall auch die, die beim Ausflug Apfel und Karotte dabeihaben. Wenn man nun annimmt, dass die Aussagen der Kinder der Wahrheit entsprechen, kann man tatsächlich auf ein Suchtverhalten bei einem großen Teil der Schülerschaft schließen.
Besorgniserregend!
P.S. Meine Bemerkungen beziehen sich auf eigene und reale Beobachtungen und Auswertungen von Mitteilungen meiner SuS. Es handelt sich nicht um eine Studie und für eine Statistik ist die Zahl der Probanden zu klein. Dennoch kann man eine Tendenz erkennen und vorsichtig auf Zusammenhänge schließen, die offensichtlich erscheinen. News4teachers
Schülervertreter fordern mehr lebenspraktische Inhalte im Unterricht – wie Steuerrecht
“Meine Bemerkungen beziehen sich auf eigene und reale Beobachtungen und Auswertungen von Mitteilungen meiner SuS.”
Volle Zustimmung! Deckt sich sicher mit den realen Beobachtungen vieler LuL, welche unzählige Probanden (Schülys) in den verschiedensten Fächern unterrichten.
Naturwissenschaft Chemie: “Ohne die Grundlage hat man keine Chance, kompliziertere Themen „zusammen zu puzzeln”.”
Grundlagen also Sachwissen/Faktenkenntnisse pauken, um Kausalzusammenhänge zu erfassen und erklären zu können, geht gar nicht mehr. Das ist öde, stessig – einfach eine Zumutung für immer mehr Schülys. Will ich nicht, mach ich nicht, dass ich dann nichts kann, macht auch nichts.
Besorgniserregend? Für wen?
Schülys kriegen oftmals gar nicht mehr mit, wie sie buchstäblich einen Berg an Nichtwissen und Nichtkönnen auftürmen. Läuft doch, man kommt durch oft sogar bis zum Abi.
Wenn es zu stressig wird, bleibt bestimmt noch etwas Kraft für die nächste Petition oder Demo gegen den zu bösen allgegenwärtigen schulischen Leistungsdruck.
Es ist aber auch eine Zumutung, wenn Unterricht den Tagesschlaf (nach durchzockter Nacht) oder die Pausen-Daddelei (als Marotte in Pausen ohne Karotte) unterbricht.
Fürchterlich? Erschreckend? Für wen?
Oh, wie uns immer mehr gruselt.
Mir gruselt es wegen solch pauschalisierender und undifferenzierter Aussagen.
Wenn Sie Recht hätten, müsste Deutschland bereits vor Jahren untergegangen sein. Allerdings sind es eher solche destruktiven Untergangsapologeten, die das Problem darstellen. Denn die sind an konstruktiven Lösungen nicht interessiert und behaupten gerne, das früher sowieso alles besser gewesen sei und müsse nur die Zeit zurückdrehen.
Ganz genau.
Hätte man auf der Titanic nicht vom Untergang nach der Kollision mit dem Eisberg geredet,… der Dampfer wäre nicht gesunken und Passagiere und Mannschaft hätten noch viele Jahre weiter leben können.
D.h. lieber nichts sehen, hören, sagen, das hilft vor dem Untergang.
(Ich hoffe, Sie erkennen den Sarkasmus. )
Keine Sorge, nicht-materielle wie materielle Ressourcen können locker noch zwanzig bis vierzig oder fünfzig Jahre abgenutzt werden.
Länder gehen nicht unter wie in “Mad Max” oder “Walking Dead” – sondern ganz schnöde und unprosaisch, ganz banal, billig und verrottend, wie die DDR.
Ja, das ist genau das Problem.
Ich habe Kinder!
Für sie wünsche ich mir eine Zukunft mit einer Gesellschaft, die bereit ist, gemeinsam etwas für ihre Zukunft zu tun.
Für diesen Schritt braucht man aber ein Mindestmaß an Bildung, weil sonst die Masse sehr manipulierbar ist und eine bestimmte Spezie ein leichtes Spiel hat, die Oberhand zu gewinnen: z.B. die “Verschwörungstheorienverbreiter”, die “Handeln nach Rezepten von ChatGPT ohne Sinn und Verstand – Leute” und die “mir doch alles egal – den angeblichen Problemen liegen Fake-News zugrunde und überhaupt, ich will, dass alles so bleibt wie es ist und dass mein Geldbeutel die dickste ist – Denker” (siehe prominente Beispiele aus der aktuellen weltpolitischen Szene).
Das wünsche ich meinen Kindern nicht – sie können nämlich Denken und sie handeln demokratisch, sozial und empathisch. Leider wird das heutzutage oft als uncool, defensiv oder dumm (weil man als Ziel nicht nur die eigene Tasche / den Profit hat) gewertet.
Das sind die Früchte dieser “coolen”, “modernen”, “immer schneller werdenden”, “egoistischen” gesellschaftlichen Strömungen.
Das nenne ich bedauerlich und besorgniserregend – denn man könnte die Gefahr mit Hilfe von Bildung verkleinern.
Unsere Familie ist auslandsbereit.
Was soll man da noch groß sagen…
Ist es da wirklich besser?
Ich stell mir gerade pubertierende 9. KlässlerInnen vor, die sich gespannt und voller Konzentration mit Mietverträgen und Steuererklärungen beschäftigen. Diejenigen, die solche Forderungen stellen möchte ich mal vor einer solchen Klasse sehen, wird bestimmt lustig anzusehen.
Unterricht in gesunder Ernährung? Wenn Kinder so reflektiert sind wie immer wieder unterstellt wird, warum kaufen sie in der Mittagspause Chips und Naschsachen, wo es doch im selben Geschäft auch Salate, Obst und Gemüse gibt. Das Wissen darüber, was davon gesund ist und was nicht, haben sie.
Warum rauchen und trinken viele Ärzte?
Vielleicht liegt esnicht am Wissen darüber.
Es gibt anscheinend viele Menschen außerhalb von Schule, die sich das genauso vorstellen. Das ist ja Teil des Problems.
Wir hatten ein Projekt “Nachhaltigkeit” mit externen Dozenten. Da traf dann aber Realität auf Wunschdenken. Das komplette Vokabular musste angepasst werden und auch das vermutete Vorwissen entsprach nicht so ganz den Erwartungen. Ich hatte Spaß und die Leute haben was gelernt … win – win.
Weil Gemüse und Obst nicht satt machen.
… und in Pflanzenfett frittiert sogar vegan:)
Chips bestehen aus Kartoffeln und sind damit folglich Gemüse.
NeuntklässlerInnen,was Sie geschrieben haben heißt:(9.)NeunteKlässlerInnen.
…zumal den 9. KlässlerInnen die Fähigkeiten und Kompetenzen völlig fehlen werden, aus dem Kleingedruckten und den Zahlen “schlau” zu werden…wer die mathematischen Grundlagen beherrscht und ein bisschen Problemlösekompetenz mitbringt, hat auch später mit Mietverträgen etc. keine Schwierigkeiten…
Zitat:
“eine Statistik ist die Zahl der Probanden zu klein.”
Nicht so bescheiden.
Für eine Studie zu unangekündigten Leistungsnachweisen reichte schon eine Untersuchung an einer einzigen Schule in 19 Lerngruppen.
Zitat:
“sie konzentriert sich auf Lerngruppen an einem einzigen Hamburger Gymnasium in einem einzigen Schuljahr. Es werden dabei in Bezug auf lediglich 19 Lerngruppen das Stressempfinden vor angekündigten und nicht angekündigten Tests in drei Lernfächern (Wirtschaft, Erdkunde, Politik) verglichen sowie die erreichten Noten”
Siehe auch:
https://bpv.de/presse-aktuelles/detail/bpv-faktencheck-20-studienlage-zu-unangekuendigten-leistungsnachweisen
Wieso sind das Lernfächer? Zumindest in NRW sind das in der Mittelstufe ganz normale Nebenfächer mit entsprechend geringer Priorität.
Die Kritik mit einer Schule, ein Jahrgang und 19 Kurse teile ich uneingeschränkt. Repräsentativ ist anders. Stressempfinden klingt auch nach Selbsteinschätzung ohne objektive Definition.
Sie sprechen / schreiben mir aus der Seele. Endlich mal ein Artikel der dieses Thema realistisch, aus der Praxis heraus genau treffend beschreibt. Die Eltern schieben ihre Verantwortung gern und oft auf die Lehrer und die Schule ab, ja arbeiten und erziehen sogar dagegen, anstatt mit uns zusammen zu arbeiten. Ich bin ebenfalls Lehrer, an einer Mittelschule und habe ähnliche Erfahrungen gemacht.
Also ich mache mit meinen Schüler in der Berufsschule das Thema “Steuererklärung”. Da ist der Motivationsfaktor, dass es eine Steuerrückerstattung gibt. Das Problem ist da eher das deutsche Steuerberatungsgesetz. Da laviere ich immer um den Kern herum, weil ich eben Lehrer und kein Steuerberater bin. Auch kommen bei mir im Unterricht die Themen “private Haftpflichtversicherung” und Altersvorsorge bzw. generell langfristige Sparpläne mit den Auswirkungen des Zinses-Zins-Effekts vor. Blöd finde ich eher, dass sowas kaum bis gar nicht in den Lehrplänen zu finden ist, wohingegen die Unternehmensgründung einen großen Teil einnimmt. Welcher Geselle bzw. Facharbeiter gründet ein eigenes Unternehmen? Das gehört meiner Meinung nach klar in die Meisterschule aber nicht in die Gesellenausbildung.
Wie sie schreiben, es geht um eine Berufsschule, in der die Kinder ihren Beruf gewählt haben.
Die Gewerke, in denen es keinen Meisterzwang gibt, müssen die Kenntnisse ja auch besitzen. Wollen die HWK das auch?
Danke für diesen Beitrag.
100% Zustimmung. Mir stellt sich immer wieder die Frage, warum diese realen Beobachtungen nicht zum zentralen Thema erhoben werden. Bei Suchterkrankungen ist Gruppentherapie auch sehr hilfreich.
Nicht das Schule das leisten könnte oder sollte, aber das Nicht-Ansprechen des Offensichtlichen ist im Grunde Co-Abhängigkeit. Also jedenfalls, wenn sie Annehmen es besteht eine Art von Beziehung, auf empathischer Ebene.