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Kopfnoten: Kosten viel (Lehrer-Arbeitszeit) – und bringen gar nichts (Verhalten, Leistung). Bildungsforscher empfehlen: Abschaffen!

MÜNCHEN. Lehrkräfte wurden befragt – das Ergebnis ist vernichtend: Die große Mehrheit investiert Zeit in die Vergabe von Verhaltensnoten, sogenannten „Kopfnoten“ – obwohl diese nachweislich keinerlei Einfluss auf Bildungserfolg oder Berufseinstieg der Schüler:innen haben. Das zeigt eine neue Studie des ifo Instituts, die nicht nur mit repräsentativen Daten arbeitet, sondern auch die Kosten des Systems beziffert: kostbare Lehrer-Arbeitszeit im Wert von rund 206 Millionen Euro pro Jahr.

Und jetzt? Illustration: Shutterstock

Sie kosten Zeit, sie kosten Geld – und sie bringen offenbar nichts: Verhaltensnoten, umgangssprachlich auch „Kopfnoten“ genannt, stehen einmal mehr im Zentrum der bildungspolitischen Debatte. Eine aktuelle Studie des renommierten ifo Instituts, veröffentlicht im ifo Schnelldienst (Ausgabe 7|2025), liefert nun harte empirische Daten für eine Forderung, die viele Lehrkräfte bereits seit Jahren vertreten: Die Abschaffung dieser Noten. Denn: Weder auf die Lesekompetenz noch auf soziale Fähigkeiten oder den Berufseinstieg von Schülerinnen und Schülern haben Kopfnoten messbaren Einfluss – und verursachen dabei jährlich über 200 Millionen Euro an Personalkosten.

Kopfnoten haben eine lange Tradition in Deutschland. „So fand Verhaltensbenotung nach dem Zweiten Weltkrieg in allen deutschen Bundesländern statt“, schreiben die Studienautor:innen Florian Schoner, Larissa Zierow und Vera Freundl. In den 1970er-Jahren verschwand die Praxis allerdings teilweise aus dem Zeugniswesen – in Westdeutschland aus Sorge um negative Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung. In der DDR hingegen blieben sie Standard. Seit 2007 haben alle Bundesländer die Kopfnoten wieder eingeführt – „doch sie blieben umstritten“. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel wurden sie dann wieder abgeschafft.

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„Lehrkräfte brauchen im Schnitt 30 Minuten pro Schulkind und Schuljahr, um Noten zu vergeben, die für die Zukunft der Kinder bedeutungslos sind“

Befürworter:innen versprechen sich von den Noten Disziplin, Motivation und eine bessere Vorbereitung auf das Berufsleben. Die Argumentationskette lautet: Rückmeldung zum Verhalten stärke die Entwicklung nicht-kognitiver Kompetenzen wie Gewissenhaftigkeit oder Sozialverhalten – und diese wiederum seien entscheidend für schulischen wie beruflichen Erfolg. „Verhaltensbenotung könne eine disziplinierende Wirkung haben, da Lehrkräfte störendes Unterrichtsverhalten durch Zeugnisnoten sanktionieren“, so die Autor:innen. Zudem könnten sie Arbeitgeber:innen Informationen über soziale Kompetenzen liefern.

Um der Frage nach der Wirkung auf den Grund zu gehen, analysierten die Forschenden die Einführung von Kopfnoten in vier Bundesländern zwischen 1996 und 2007 als „natürliches Experiment“. Die Ergebnisse sind eindeutig: „Die Punktschätzungen der kausalen Effekte liegen für alle Ergebnisse nahe null“, schreiben die Studienautor:innen. Und weiter: „Verhaltensnoten scheinen keine signifikanten Auswirkungen auf kognitive und nicht-kognitive Fähigkeiten oder den Berufseinstieg zu haben“.

Eine der zentralen Erklärungen liefert die Studie selbst: „Fachliche Noten erfassen neben den kognitiven Fähigkeiten auch verschiedene Aspekte der Persönlichkeit.“ Das bedeutet: Lehrkräfte fließen das Verhalten eines Kindes ohnehin in die fachlichen Noten ein. So zeigen etwa andere Studien, dass „Lehrkräfte die Noten von Schulkindern, die sich gut benehmen, aufbessern“ – und „Schulkindern mit schlechtem Benehmen auch schlechtere fachliche Noten geben“.

Auch das Timing der Rückmeldung spielt offenbar eine Rolle. „Die halbjährliche – oder sogar nur jährliche – Vergabe von Zeugnissen mit Verhaltensnoten geschieht möglicherweise zu spät, als dass sie das Verhalten der Kinder und Jugendlichen ändern könnte“.

Gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels sind die Opportunitätskosten dieser ineffizienten Maßnahme erheblich. Eine eigens für die Studie durchgeführte Befragung von 246 Lehrkräften zeigt: Die Vergabe der Verhaltensnoten dauert im Schnitt 30 Minuten pro Schulkind und Schuljahr. Bei rund 11 Millionen Schüler:innen in Deutschland summiert sich das auf satte 206 Millionen Euro jährlich.

„Lehrkräfte brauchen im Schnitt 30 Minuten pro Schulkind und Schuljahr, um Noten zu vergeben, die für die Zukunft der Kinder bedeutungslos sind“, sagt Vera Freundl vom ifo Institut. Und Mit-Autor Florian Schoner ergänzt: „Die Analyse verschiedener Datensätze zeigt, dass Kopfnoten jedoch keinen merklichen Einfluss auf Lesekompetenzen und soziale Kompetenzen haben. Auch den Einstieg in das Berufsleben beeinflusst die Verhaltensbenotung nicht“.

„Empirisch gibt es keine kausalen Belege für den Effekt von Verhaltensnoten auf Bildungserfolg und Berufseinstieg“

Die Einschätzungen der Lehrkräfte sind laut einer eigens durchgeführten Umfrage unter 250 Teilnehmenden geteilt: 33 Prozent stimmen zu, dass Verhaltensnoten „bereits in den fachlichen Schulnoten enthalten sind“, während 52 Prozent dies verneinen. Gleichzeitig geben 92 Prozent an, dass mehr als eine Lehrkraft an der Vergabe beteiligt ist – in vielen Fällen sogar bis zu elf Lehrkräfte. Interessant: Auch ohne formelle Verhaltensnoten greifen Lehrkräfte auf pädagogische Maßnahmen wie Einzelgespräche, Ermahnungen oder Einträge ins Klassenbuch zurück – laut Studie nur „geringfügig häufiger“ als an Schulen mit Kopfnoten (58 vs. 42 Prozent)

„Empirisch gibt es keine kausalen Belege für den Effekt von Verhaltensnoten auf Bildungserfolg und Berufseinstieg“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. „Die Ergebnisse legen nahe, dass sich die Bildungspolitik auf andere Bereiche als Kopfnoten konzentrieren sollte, um die Effizienz des Bildungssystems zu steigern“. Damit steht eine klare bildungspolitische Empfehlung im Raum. News4teachers 

Hier geht es zu einer ausführlichen Zusammenfassung der Studie. 

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