KÖLN. Die Gamescom, die heute zu Ende gehende größte digitale Spielemesse der Welt, zieht alljährlich Hunderttausende Besucherinnen und Besucher in ihren Bann. Ein Spektakel aus grellen Farben, übervollen Hallen, langen Schlangen und der geballten Faszination für Videospiele. Für Lehrkräfte stellt sich angesichts dieser Begeisterung die Frage: Lässt sich die Faszination auch in den Unterricht bringen? Und wenn ja – wie?
Die Schlange reicht schon am Fachbesuchertag bis weit in die Messegänge hinein. Für das Indie-Spiel „Hollow Knight: Silksong“ warten Besucherinnen und Besucher in Köln bis zu vier Stunden, ohne zu murren. „Wir wollten niemanden wegschicken, der so lange gewartet hat, also haben wir Überstunden gemacht“, erzählt ein Standmitarbeiter. Ein Reporter des „Standard“, eigens aus Wien angereist, beschreibt: „Die Messestände präsentieren sich mit Liebe zum Detail und grellen Farben, um möglichst laut nach der Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher zu schreien.“ Und er beobachtet: „Die Stadt ist gebrandet mit Werbeplakaten zu kommenden Videospielen, und man sieht an jeder Ecke Gruppen von Jugendlichen, die wohl ebenfalls wegen der Messe angereist sind.“
„Populäre bzw. kommerzielle Computerspiele können gewinnbringend für den Unterricht sein“
Über 300.000 Menschen zieht es in diesen Tagen zur Gamescom – die größte Spielemesse der Welt ist längst mehr als ein Branchentreff. Sie ist ein kulturelles Ereignis, das die Bedeutung von Games für die Lebenswelt junger Menschen eindrücklich vor Augen führt. Die Frage für Lehrkräfte lautet: Lässt sich diese Begeisterung in den Unterricht holen?
Die Fakten sind eindeutig: Laut JIM-Studie 2024 spielen „mehr als 73 Prozent der 12- bis 19-Jährigen täglich oder mehrmals wöchentlich digitale Spiele“. Der Trend birgt Risiken, aber auch Potenzial. Denn Spiele sind längst nicht nur Eskapismus, sondern können Lernziele transportieren.
„Unter der Bezeichnung ‚Serious Games‘ hat sich ein kleiner Teilbereich der Spielebranche herausgebildet, der sich dem Lernen und der Anwendung von Wissen verschrieben hat. Eingesetzt werden solche Spiele im Gesundheitswesen, der Luftfahrt, der Wissenschaft und auch im Bildungssektor“, heißt es im Portal ins-netz-gehen.de des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit.
Diese Spiele zeichnen sich durch fünf zentrale Merkmale aus: Sie erzählen Geschichten mit starken Figuren, die emotionale Bindung ermöglichen. Sie schaffen Motivation durch Belohnungen und kleine Wettbewerbe. Sie geben sofortiges, individuelles Feedback, sodass Fehler als Lernchance dienen. Sie bieten Simulationen, in die Schülerinnen und Schüler eintauchen können – sei es eine historische Stadt, ein Labor oder ein ökologisches Szenario. Und sie stellen das Lernen ins Zentrum, indem Mechaniken bewusst so gestaltet sind, dass Kompetenzen wie Problemlösung, historisches Verständnis oder Teamarbeit gefördert werden.
Doch nicht jedes Spiel eignet sich automatisch für die Schule. Ins-netz-gehen.de betont, dass Lehrkräfte bei der Auswahl genau hinsehen müssen. Ein Spiel sollte unbedingt zur Altersgruppe passen und den Vorgaben der USK entsprechen. Ein Actiontitel mit Gewaltinhalten mag für ältere Jugendliche in der Freizeit interessant sein, ist aber für den Unterricht in Klasse 6 ungeeignet.
Auch darf ein Spiel nicht nur der reinen Unterhaltung dienen. Spiele, die lediglich schnelle Reflexe trainieren oder auf monotones Punktesammeln setzen, entfalten im Unterricht keinen Mehrwert. Geeignet sind solche, die klare Lerninhalte bieten und die Möglichkeit eröffnen, Wissen zu verknüpfen. Wichtig ist außerdem, dass ein Spiel handlungsorientiert ist: Schülerinnen und Schüler sollten Entscheidungen treffen, Probleme lösen oder kreativ gestalten können – erst dann wird aus Spielzeit Lernzeit. Schließlich muss ein Spiel Raum für Diskussion und Reflexion eröffnen. Nur wenn das Erlebte im Klassenraum besprochen und eingeordnet wird, wird der pädagogische Effekt wirksam.
Eine systematische Auswertung der Studienlage zeigt, dass Computerspiele Wissenserwerb, Motivation und sogar Leseförderung unterstützen können. „Populäre bzw. kommerzielle Computerspiele können gewinnbringend für den Unterricht sein“, fasst die Landesmedienanstalt Baden-Württemberg in ihrem Fachportal „Games im Unterricht“ zusammen. So habe der Germanist Jan M. Boelmann gezeigt, dass mit dem Adventure „Ceville“ literarische Kompetenzen erarbeitet werden können – gerade für leseschwache Schülerinnen und Schüler eröffne sich so ein neuer Zugang.
Allerdings seien die Grenzen deutlich: „Wie bei anderen Lernmedien oder pädagogischen Maßnahmen auch, ist es mit ihrer Hilfe relativ einfach, die Aufmerksamkeit für ein Thema zu wecken, aber deutlich schwieriger, Einstellungen oder gar Verhaltensweisen zu verändern“, so heißt es. Und klar sei: Ohne pädagogische Begleitung bleiben auch die besten Spiele bloße Unterhaltung. „Pädagog*innen müssen erreichbare Ziele formulieren. Computerspiele eignen sich nur dann für den Unterricht, wenn die Spielerfahrung pädagogisch begleitet, angemessen reflektiert und eingeordnet wird.“
„Digitale Spiele führen zu besseren Noten im Fach Geschichte, so lautet das Ergebnis einer amerikanischen Forschung“
Besonders eindrucksvoll zeigt sich das Potenzial im Fach Geschichte. „Digitale Spiele führen zu besseren Noten im Fach Geschichte, so lautet das Ergebnis einer amerikanischen Forschung“, heißt es in einem Beitrag auf dem Portal. Die Landesmedienanstalt betont: „Geschichte soll demnach mehr sein als eine Reihe von Daten, Karten und Events, vielmehr ein Streben nach einem Verständnis für die Ereignisse, Orte und Menschen um uns herum.“ In einer Studie von 2016 wurde Schülerinnen und Schülern die antike Stadt Uruk auf drei Weisen vermittelt: durch Text, durch einen Dokumentarfilm und durch eine virtuelle Rekonstruktion, die sie selbst betreten konnten. Die Gruppe mit der VR-Erfahrung schnitt in den Prüfungen deutlich besser ab – weil die Immersion das Engagement und das Verständnis erheblich erhöhte.
Games schaffen damit eine Form des Lernens, die klassische Medien kaum leisten können. „Geschichte wird demnach nicht passiv rezipiert, sondern aktiv in einem simulierten Rahmen als beeinflussbar erlebt“, so die Landesmedienanstalt. Spielerinnen und Spieler erhalten einen „Möglichkeitsraum“, in dem sie selbst Entscheidungen treffen – und damit ihr Geschichtsbewusstsein prägen. Paradebeispiele seien Ubisofts „Assassin’s Creed“-Reihe mit ihren „Discovery Touren“, die historische Settings detailgetreu nachzeichnen.
Doch auch hier gilt: Spiele sind keine didaktischen Selbstläufer. Sie entfalten ihre Wirkung nur, wenn Lehrkräfte sie in Unterrichtskonzepte einbetten und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern kritisch über Authentizität, Quellenlage und historische Perspektiven reflektieren.
Ob Minecraft, Assassin’s Creed oder speziell entwickelte Serious Games wie Attentat 1942: Digitale Spiele können Unterricht bereichern, wenn sie sorgfältig ausgewählt und pädagogisch eingebettet sind.
Die Gamescom aber zeigt ein anderes Bild. In Köln drängen sich die Menschenmassen vor den bunten Ständen von Nintendo, Capcom oder Microsoft. „Am Donnerstag kommt es zum Dammbruch. Schon auf dem Weg zur Messe bilden sich Ströme von Menschen in den buntesten Farben. Der erste Tag für die Öffentlichkeit ist angebrochen, und das Interesse scheint wie jedes Jahr enorm“, schreibt der Standard. Hunderttausende Jugendliche, viele von ihnen Schülerinnen und Schüler, stehen stundenlang an, um Neuheiten wie „Mario Kart World“ oder „Warhammer 40k: Dawn of War 4“ zu testen – passend zum diesjährigen Motto der Messe: „Perfekte Unterhaltung“. News4teachers
Für den Unterricht geeignete Spiele und dazugehörige Konzepte bietet das Portal games-im-unterricht.de der Landesmedienanstalt Baden-Württemberg.