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Wie sich die CDU mit Kulturkampf um die Bundesjugendspiele lächerlich macht

WIESBADEN. Die Reform der Bundesjugendspiele sollte diese kindgerechter machen: weniger Stoppuhr, mehr Freude an Bewegung. Doch die Union nutzt das Thema inzwischen für einen bildungspolitischen Kulturkampf – obwohl sie die Neuerungen seinerzeit mitbeschlossen hat. Während die KMK am Reformkurs festhält und Sportverbände zur Gelassenheit mahnen, setzt das CDU-geführte Hessen nun auf einen Sonderweg. Die eigentlichen Probleme an den Schulen rücken dabei in den Hintergrund. Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek. 

Höher, schneller, weiter… (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Ein Sportfest entzweit die Republik – oder besser gesagt: die Bildungspolitik. Während die Kultusministerkonferenz (KMK) bereits 2021 eine Reform der Bundesjugendspiele beschloss, die mehr auf Freude an Bewegung und weniger auf Zentimeter und Sekunden setzt, stemmt sich Hessen mit Macht dagegen.

Kultusminister Armin Schwarz (CDU) erklärte jetzt im Landtag: „Durch Wettkampf und Platzierungen setzen wir uns deutlich von anderen Ländern ab. Solange es hier keine vernünftige Einigung auf Bundesebene gibt, machen wir hessische Landesjugendspiele.“ Damit macht Hessen den Alleingang – und befeuert einen Kulturkampf um die Frage: Was soll die Schule jungen Menschen vermitteln? Teamgeist und soziale Kompetenzen? Oder vor allem Leistungsbereitschaft und Wettbewerb?

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Armin Schwarz, früher selbst Lehrer, zeigte im Wiesbadener Landtag demonstrativ Haltung. „Sport steht für Fairness, Teamgeist und den Mut, sich anzustrengen – Werte, die unsere Gesellschaft so dringend braucht“, bekundete er. Dass die Reform diese Werte angeblich gefährde, legte Schwarz mit Inbrunst dar. „Leistung muss und darf sich nämlich lohnen“, so der Minister. Und weil es nach seiner Darstellung „keine vernünftige Einigung auf Bundesebene“ gebe, kündigt er kurzerhand „hessische Landesjugendspiele“ an – Wettkämpfe, bei denen jede Sekunde und jeder Zentimeter zählen.

„Es muss bei den Kindern ein Verständnis dafür erzeugt werden, dass es meistens nicht ausreicht, wenn ich die Beste in meinem Freundeskreis bin”

Seit dem Schuljahr 2023/24 gilt: In den Klassen 1 bis 4 werden die Spiele als Wettbewerb ausgetragen. Gemessen wird nicht mehr zentimetergenau, sondern in Zonen. Schulen dürfen flexiblere Disziplinen anbieten. Die traditionellen Urkunden – Ehren-, Sieger- und Teilnehmerurkunden – bleiben bestehen, nur ihre Vergabe folgt einem festen Schlüssel. Die Kultusministerkonferenz (KMK) betont, dass die Reform den pädagogischen Leitlinien der Länder entspricht: weniger Druck, mehr Freude an Bewegung, Fairness und Teamgeist. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) steht klar hinter diesem Kurs. Von einer Rückkehr zur alten Praxis ist auf KMK-Ebene bislang keine Rede.

Dass CDU-Politiker wie Armin Schwarz, Karin Prien oder Friedrich Merz heute eine Rolle rückwärts verlangen, wirkt (im besten Fall) vergesslich: Die Reform der Bundesjugendspiele ist 2021 von der KMK einstimmig beschlossen worden – also auch mit den Stimmen der unionsgeführten Länder. Diese Linie stellen die führenden CDU-Vertreter nun in Frage, ohne den krassen Meinungsumschwung ihrer Partei auch nur halbwegs zu begründen. Dabei gäbe es eine Begründung: Die AfD treibt mit ihren Kulturkampfthemen wie Genderverboten in Schulen, Deutschlandflaggen vor Schulgebäuden oder eben Bundesjugendspielen die Union mittlerweile vor sich her.

Dass die CDU nur verlieren kann, wenn sie die im Kern substanzlosen, aber symbolisch hochgejazzten Aktionen der Rechtspopulisten aufnimmt und damit adelt – ist im Konrad-Adenauer-Haus offenbar noch nicht angekommen. Die Parteispitze kann ja mal bei den französischen Republikanern, den britischen Tories, den niederländischen oder italienischen Christdemokraten (die allesamt den gleichen Kurs verfolgten) nachhorchen, wie es sich in der politischen Bedeutungslosigkeit so lebt. Warum sollten Bürgerinnen und Bürger auch eine billige Kopie wählen, wenn sie das schrillere Original haben können?

Die CDU ficht das nicht an, auch wenn die AfD sie in Umfragen mittlerweile überholt.

Beispiel Bundesjugendspiele: Bundesbildungsministerin und CDU-Vizevorsitzende Prien betont inzwischen, dabei gehe es auch darum, „Kinder an Leistung heranzuführen“. Der Wettkampfcharakter sei ein wichtiges Element, „weil es eben nicht nur darum geht, innerhalb einer Gruppe die besten Leistungen zu zeigen, sondern auch wichtig sein sollte, nach objektiven Kriterien die sportlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu messen“. Und weiter: „Es muss bei den Kindern ein Verständnis dafür erzeugt werden, dass es meistens nicht ausreicht, wenn ich die Beste in meinem Freundeskreis bin, sondern dass ich mich noch mehr anstrengen und Höchstleistungen erreichen kann.“

Wer soll ihr das abnehmen? Prien war an dem einstimmigen Beschluss von 2021 als damalige Bildungsministerin von Schleswig-Holstein sogar persönlich beteiligt.

„Wenn die Bundesjugendspiele nur noch Teilnehmerurkunden ausstellen, dann kriegen wir demnächst auch auf Olympiaden nur noch Teilnehmerurkunden“

Auch Friedrich Merz formulierte Anfang 2025 beim Neujahrsempfang der CDU Baden-Württemberg  – also im Wahlkampf – vollmundig scharfe Kritik. Als Bundeskanzler wolle er die Länder bitten, „an allen Schulen wieder Bundesjugendspiele zu veranstalten. Und zwar nicht nur mit Teilnehmerurkunden, sondern mit Siegerurkunden.“

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

Mit Blick auf Paris 2024 (und das bescheidene Abschneiden der deutschen Mannschaft dort) erklärte er: „Wenn die Bundesjugendspiele nur noch Teilnehmerurkunden ausstellen, dann kriegen wir demnächst auch auf Olympiaden nur noch Teilnehmerurkunden. Ich möchte nicht, dass Deutschland nur noch Teilnehmerurkunden bekommt.“ Das Problem: Weder wurden die Bundesjugendspiele abgeschafft, noch gibt es dort „nur“ Teilnehmerurkunden. Ehren- und Siegerurkunden bleiben – die Vergabe folgt in den unteren Klassen lediglich einem festen Schlüssel innerhalb des Jahrgangs. Die Reform wurde 2021 beschlossen und seit dem Schuljahr 2023/24 umgesetzt; mit den Olympischen Spielen hat sie nichts zu tun.

Dass Merz, mittlerweile bekanntlich zum Bundeskanzler gewählt, sich zwischen seinen Missionen rund um Ukraine-Krieg, Trump-Zölle und die Wiederbelebung der deutschen Wirtschaft tatsächlich um die Rückabwicklung der Reform der Bundesjugendspiele gekümmert hätte – ist nicht überliefert.

„Wettbewerb im Gegensatz zum Wettkampf bedeutet nicht, dass es sich um ein rein spielerisches Angebot handelt“

Die Sportverbände raten den Kulturkämpfern zur Erdung. Der Deutsche Olympische Sportbund steht hinter der Reform. In einer Stellungnahme heißt es: „Wettbewerb im Gegensatz zum Wettkampf bedeutet nicht, dass es sich um ein rein spielerisches Angebot handelt. Der Wettbewerb ist vielmehr als ein auf die Entwicklung der Kinder angepasstes sportliches Angebot zu verstehen.“ Auch der Deutsche Sportlehrerverband hält die hochkochende Auseinandersetzung für überzogen: Die Durchführung der Bundesjugendspiele – in welcher Form auch immer – werde „weder den deutschen Spitzensport noch die körperlichen Dispositionen unserer Kinder oder gar deren generelle Einstellungen zur sogenannten Leistungsgesellschaft retten oder gefährden“. Pädagogisch entscheidend sei, dass Kinder häufig, angstfrei und vielfältig in Bewegung kommen.

Und tatsächlich geht es hier um echte Probleme: Noch nie gab es in Deutschland so viele übergewichtige Kinder, noch nie so viele bewegungslimitierte.

Und in Hessen? Dort prallten nach der Regierungserklärung von Armin Schwarz die Positionen im Landtag aufeinander. FDP-Bildungspolitiker Moritz Promny mahnte „Autonomie für die besten Lösungen vor Ort sowie Vertrauen in die Schulleitungen und Lehrkräfte“ an. Daniel May (Grüne) sprach von „Scheindebatten und Verschleierungsversuchen“ und forderte statt Symbolpolitik konkrete Ergebnisse bei Unterrichtsausfall, Lehrkräftemangel und Sanierungsstau. Diese handfesten Probleme, so der Tenor der Opposition, würden durch das kulturkämpferische Gezeter um Sekunden und Zentimeter in den Hintergrund gedrängt.

Und es stimmt ja: Wer nimmt noch solche vermeintlichen Banalitäten wie verfallende Schulgebäude wahr, wenn ein Kulturkampf um die Rettung des Abendlandes, pardon, des Leistungsgedankens zu führen ist? News4teachers / mit Material der dpa

Bundesjugendspiele: Merz will wieder Urkunden einführen, die nie abgeschafft wurden

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