Website-Icon News4teachers

Methodische Zweifel an der Untersuchung der Arbeitszeit von Lehrkräften – frühere Studien zeigen ganz andere Belastungsbilder

DRESDEN. Sachsens Kultusminister hat eine erste Zwischenauswertung seiner lang erwarteten Arbeitszeituntersuchung vorgestellt – und spricht von einer „ausgeglichenen Bilanz“. Danach arbeiten die Lehrkräfte im Freistaat zwar in Unterrichtswochen länger als vorgesehen, gleichen die Mehrarbeit aber in den Ferien wieder aus. Das Gesamtfazit: Vollzeitkräfte halten ihre Sollarbeitszeit im Jahresmittel nahezu ein (arbeiten sogar etwas zu wenig). Doch an der Aussagekraft dieser Ergebnisse gibt es erhebliche Zweifel – nicht nur von den Lehrerverbänden, sondern auch im Vergleich mit ähnlichen Studien aus anderen Bundesländern. Dort zeigen die Daten seit Jahren ein völlig anderes Bild.

Hmmm. (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

In Berlin etwa kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Göttingen im Juni 2025 zu einem drastischen Ergebnis: Lehrkräfte arbeiteten dort im Durchschnitt rund 100 Stunden mehr pro Jahr als die gesetzlich vorgesehene Arbeitszeit. Etwa 30 Prozent überschritten regelmäßig die 48-Stunden-Grenze des Arbeitsschutzes. Besonders betroffen seien Schulleitungen, Gymnasiallehrkräfte und Teilzeitkräfte. Viele von ihnen reduzierten bewusst ihr Deputat, um die Arbeitslast überhaupt bewältigen zu können – und finanzierten so ihren Arbeitsschutz selbst, kritisierte die GEW Berlin.

Auch in Hamburg zeigte eine im September 2025 veröffentlichte Untersuchung der Universität Göttingen, dass Lehrkräfte deutlich länger arbeiten, als das offizielle Modell vorsieht. Demnach kommen Vollzeitlehrkräfte im Schnitt auf 41 Stunden und 56 Minuten pro Woche, ein Viertel überschreitet sogar die gesetzliche Höchstarbeitszeit. Besonders alarmierend: Mehr als 70 Prozent der Lehrkräfte weisen laut Studie ein Burnout-Risiko auf. Belastungsfaktoren seien neben gestiegener Unterrichtsverpflichtung vor allem „digitaler Stress“, zusätzliche Dokumentationspflichten und Arbeit an Wochenenden. Die Hamburger GEW warnte deshalb vor einem strukturellen Problem: „Zwei Stunden pro Woche fehlen systematisch, neue Aufgaben summieren sich inzwischen auf über zehn Stunden wöchentlich“, erklärte Landeschef Sven Quiring. Von „echter Zeit“ für pädagogische Arbeit könne keine Rede mehr sein.

Anzeige

Ganz anders nun das Bild in Sachsen: Nach Angaben der vom Prognos-Institut, einer Unternehmensberatung, im Auftrag des Kultusministeriums durchgeführten Studie arbeiten Vollzeitkräfte im Jahresdurchschnitt leicht unter ihrer Sollzeit. Lediglich Teilzeitkräfte und Schulleitungen zeigen nennenswerte Mehrarbeit. „Diese Untersuchung setzt mit ihrer Detailtiefe neue Maßstäbe“, erklärte Kultusminister Conrad Clemens (CDU) bei der Vorstellung der Ergebnisse. Er kündigte die Einführung freiwilliger Arbeitszeitkonten an, mit denen Lehrkräfte ihr Deputat vorübergehend erhöhen und später wieder senken können (News4teachers berichtete).

Für die sächsischen Lehrerverbände ist das Ergebnis hingegen ein Anlass für Empörung. René Michel,  stellvertretender Landesvorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes (SLV), spricht von einer gezielten Irreführung: „Dass Kultusminister Clemens jetzt eine Teilauswertung veröffentlicht, um die Debatte in seinem Sinne zu steuern, ist ein Affront gegenüber den Lehrkräften. Das fühlt sich wie ein weiterer Schlag ins Gesicht an.“

„Der sehr fein ausdifferenzierte Aufgabenkatalog hat sicher zu Verwirrungen geführt und Eintragungsfehlern beigetragen“

Michel zweifelt die Aussagekraft der Daten an. Viele Lehrkräfte hätten erstmals minutengenau ihre Tätigkeiten in einer App erfassen müssen. „Der sehr fein ausdifferenzierte Aufgabenkatalog hat sicher zu Verwirrungen geführt und Eintragungsfehlern beigetragen. Diese Zahlen dürfen nicht missbraucht werden, um die Arbeitsbelastung kleinzureden“, warnt er. Tatsächlich zeigen die Rohdaten der Studie laut SLV, dass die Belastung im Laufe des Jahres stark zunimmt, die Zufriedenheit sinkt und zwei Drittel der Lehrkräfte ihre Ferien nutzen, um liegengebliebene Aufgaben nachzuholen.

Der Verband fordert daher die Rücknahme des gesamten Maßnahmenpakets des Ministers (News4teachers berichtete), die Senkung der Regelstundenzahl und eine Wiederherstellung der alten Arbeitszeitverordnung. Michel: „Lehrkräfte und Schulleitungen brauchen echte Entlastung – nicht neue Aufgaben. Das System fährt längst im roten Bereich.“

Kritik an der Methodik der Studie kommt auch von der GEW – sie geht von einer deutlichen Untererfassung der Arbeitszeit aus. Denn: „Statt lediglich Anfang und Ende der Arbeitszeit zu erfassen, mussten alle Tätigkeiten detailliert erfasst werden. Man kann sich vorstellen, dass im Schulalltag dafür häufig die Zeit fehlt. Gerade in den stressigsten Wochen des Schuljahres war die Studie das Letzte, was den Lehrkräften wichtig war.“

Zugleich habe das Kultusministerium bei Eintragungsfehlern Konsequenzen angedroht. „Das führte dazu, dass Zeiten gar nicht erst eingetragen wurden. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es weitere methodische Bedenken, die wir mit dem Abschlussbericht nun prüfen werden“, so kündigt die Gewerkschaft an.

Dazu kommt: „Der Aufwand für die verpflichtende Teilnahme der Lehrkräfte wurde bis heute nicht abgegolten oder honoriert. Die GEW Sachsen hatte gefordert, entweder eine finanzielle Entschädigung anzubieten oder im Nachgang auf freiwilligen Antrag einen Zeitnachlass im kommenden Schuljahr zu geben. Beides wurde vom Kultusministerium abgelehnt. Das passt zu dem systemischen Problem, dass es bei neuen Aufgaben grundsätzlich keine Entlastungen gibt.“

Der Philologenverband Sachsen (PVS) sieht in den Ergebnissen vor allem eine Bestätigung für die anhaltende Überlastung an Gymnasien. „Unsere Gymnasiallehrkräfte zeigen enorme Einsatzbereitschaft, aber sie arbeiten an der Belastungsgrenze“, erklärte Landesvorsitzender Thomas Langer. Nach der Studie arbeiten rund ein Drittel der Vollzeitkräfte mehr als 44 Stunden pro Woche, teils über 48 Stunden. „Wenn die hohe Qualität des sächsischen Abiturs erhalten bleiben soll, muss die Landespolitik endlich handeln“, fordert Langer.

„Die Schulart Gymnasium und insbesondere die Arbeit in der Oberstufe führen zu den höchsten Arbeitszeitbelastungen“

Konkret verlangt der Verband, dass die im Sommer gestrichenen K6–K9-Stunden – also jene Anrechnungsstunden, die Gymnasiallehrkräfte bisher für die zeitaufwändige Korrekturarbeit in den Klassenstufen 6 bis 9 erhielten – wieder eingeführt werden. Diese Streichung habe die Belastung spürbar erhöht. Zudem müsse die Landesregierung die ebenfalls gekürzten Anrechnungsstunden für Schulleitungen zurücknehmen. Langer: „Es wird nun immer deutlicher, dass das von Kultusminister Clemens geschnürte Maßnahmenpaket zur Unzeit gekommen ist und dringend überprüft werden muss.“

Unterstützung erhält der Verband aus Berlin: Die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Prof. Susanne Lin-Klitzing, sieht bundesweit dieselbe Tendenz. „Die Ergebnisse der sächsischen Untersuchung bestätigen die Befunde bisheriger Untersuchungen: Die Schulart Gymnasium und insbesondere die Arbeit in der Oberstufe führen zu den höchsten Arbeitszeitbelastungen. Vollzeit- wie Teilzeitlehrkräfte leisten deutliche Mehrarbeit“, betont sie. Ihr Appell an die Landesregierungen: „Senken Sie endlich unsere Belastungen! Entlasten Sie die Lehrkräfte! Senken Sie die Regelstundenzahl! Reduzieren Sie die Verwaltungsaufgaben! Für jede Zusatzaufgabe muss eine andere entfallen!“ News4teachers 

Kultusminister spielen Verstecken: Arbeitszeit-Erfassung für Lehrkräfte? Unmöglich – wegen “besonderer Anforderungen”!

Die mobile Version verlassen