HANNOVER. Der niedersächsische Landtag hat mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD das neue Schulgesetz zur Inklusion beschlossen. Kritisiert wird vor allem, dass immer noch Kinder zwangsweise auf Förderschulen abgeschult werden können.
Ab dem übernächsten Schuljahr wird in Niedersachsen die Inklusion eingeführt, zunächst in den 1. und 5. Klassen. Bis 2018 soll dann die Gesamtheit der Schulen zu inklusiven Schulen umgestaltet und entsprechend ausgestattet sein. Die Förderschulen bleiben bestehen – bis auf die Förderschule Lernen, die im Grundschulbereich aufgegeben wird. Die Eltern eines behinderten Kindes haben dann grundsätzlich die Wahl, ob sie ihr Kind auf eine Förderschule oder eine Regelschule geben wollen. Behinderte Kinder zählen bei der Klassenbildung doppelt. Bei körperlicher oder geistiger Behinderung gibt es pro Kind eine individuelle Zuweisung von Sonderpädagogik. Für Förderbedarf im Bereich Lernen und Sprache bekommt jede Klasse eine generelle Zuweisung von zwei Stunden.
Das Elternwahlrecht wird allerdings eingeschränkt. So heißt es im Gesetzentwurf, der von den Regierungsfraktionen CDU und FDP sowie der oppositionellen SPD getragen wird: „Wenn aber Elternentscheidungen zu einer Über- oder Unterforderung der Kinder durch falsche Schulformwahl führen, dann müssen Kinder vor Scheitern, folgender Unlust oder gar völligem Schulversagen geschützt werden. Daher ist es notwendig, dass eine Schulwahlentscheidung der Erziehungsberechtigten im Interesse des Kindeswohls korrigiert werden kann.” Darüber hinaus kann ein Schüler gegen den Willen der Eltern an eine Schule eine anderen Schulform verwiesen werden, wenn die Sicherheit oder der Schulfriedens gefährdet sei.
Diese Regelungen widersprächen dem Gedanken der UN-Behindertenrechtskonvention, sagt die schulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Ina Korter. „Die UN-Konvention verlangt, dass kein Kind aufgrund einer Behinderung vom Besuch der Schule ausgeschlossen werden darf. Das bedeutet, die Schule muss sich für das Kind passend machen und die nötige Unterstützung gewährleisten und nicht das Kind wegschicken, wenn es nicht passt”.
Wer stellt das Kindeswohl fest?
In die gleiche Kerbe schlägt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Der Begriff des Kindswohls, der in dem Gesetzentwurf verwendet werde, stamme aus dem Bereich des Familien-und Jugendhilferechts und habe mit dem Bereich Schule nichts zu tun, heißt es in einer Stellungnahme der GEW zum Gesetzentwurf. Tatsächlich stellt sich die Frage: Wer legt das Kindeswohl fest? „Sehr problematisch“, meint dazu auch der Vorsitzende des niedersächsischen Landeselternrats, Pascal Zimmer. Gegenüber der „taz“ sagte er, ihn störe, dass nur Schule und Schulbehörde die Entscheidung über die Kinder treffen sollen. „Da ist der Draht zu kurz“, sagt Zimmer. Notwendig sei ein externes Gremium mit Kinderpsychologen als Korrektiv.
„Das Gesetz atmet weiter den Geist der Bedenken und der Zögerlichkeit, die Macher glauben offenbar selbst nicht, dass Inklusion funktioniert”, sagt Grünen-Politikerin Korte. Dass fast alle Förderschulen erhalten werden sollen, macht sie misstrauisch. „Ein so differenziertes Parallelsystem geht zu Lasten der Qualität der Inklusiven Schulen”, sagt sie und betont: „Man braucht so etwas nur, wenn man davon ausgeht, dass die meisten Kinder weiter zur Förderschule gehen.“ NINA BRAUN
(18.3.2012)