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G8/G9-Streit: Das Gymnasium wird in NRW zum Wahlkampfthema – und: Wahlfreiheit für Schulen soll es nicht geben

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DÜSSELDORF. NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann machte jetzt klar: Eine grundsätzliche Änderung des „Turbo-Abiturs“ wird vor der Landtagswahl im Mai nicht mehr eingeleitet. Der G8/G9-Streit wird im Wahlkampf also in Nordrhein-Westfalen ein Aufreger-Thema bleiben. Die GEW fordert dabei „eine breite und im Ergebnis offene schulpolitische Debatte, wie die ‚Reform der Reform‘ aussehen soll“ – hat aber durchaus eine eigene konkrete Vorstellung.

Mag vor der Wahl im Mai den G8/G9-Streit nicht mehr entscheiden: NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann. Foto: Maik Meid / flickr (CC BY-SA 2.0)

Die Entscheidung über das Turbo-Abitur in Nordrhein-Westfalen bleibt offen. Knapp sieben Monate vor der Landtagswahl will die rot-grüne Landesregierung keine neuen Weichen für das Abitur nach acht oder neun Jahren Gymnasium stellen. «Es ist nicht sinnvoll, dass der jetzige Landtag in dieser Legislaturperiode darüber noch eine Entscheidung trifft», sagte Löhrmann am Dienstagabend in Düsseldorf.

Die Grünen-Politikerin hatte Akteure aus Verbänden, Parteien und Initiativen zum vierten Mal seit 2014 an einen Runden Tisch zur Schulzeitverkürzung geladen, um über die Zukunft des umstrittenen «Turbo-Abiturs» zu diskutieren. Rund 50 Gäste nahmen teil. CDU und Piraten boykottierten die Veranstaltung.

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“Die Regierung taucht ab”

Die Bürgerinitiative «G-ib-8» gegen das achtjährige Gymnasium warf Löhrmann vor, eine klare Entscheidung aus wahltaktischen Gründen zu vermeiden. «Die Regierung taucht ab», sagte die Sprecherin der Initiative, Anja Nostadt. Ihr Eindruck nach der dreistündigen Konferenz: «Es gibt eine eindeutige Tendenz weg von G8».

Darüber sei aber in der Runde nicht abgestimmt oder entschieden worden, stellte Löhrmann klar. «Natürlich nicht.» Den meisten sei klar gewesen, dass eine mögliche Entscheidung gründlich vorbereitet werden müsse. Immerhin würde ein Gesetzgebungsverfahren rund sechs Monate dauern.

Viele Einzelfragen seien zu klären, erklärte die Ministerin. Etwa: Welches Stundenvolumen ist gewollt? Soll die zweite Fremdsprache weiter in der 6. oder künftig lieber in der 7. Klasse beginnen und welche Auswirkungen hätten Änderungen am Gymnasium auf Schulträger und andere Schulformen?

Die Unzufriedenheit mit dem «Turbo-Abitur» ist in den vergangenen Jahren bei Schülern, Eltern und Lehrern gewachsen. Ende 2015 hatten sich die Teilnehmer an Löhrmanns drittem «Rundem Tisch» noch mehrheitlich auf Entlastungen der Schüler im «Turbo-Abitur» geeinigt. Jetzt fordert die Landeselternschaft der Gymnasien die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium (G9).

CDU will eigenes Konzept vorstellen

CDU-Fraktionschef Armin Laschet kündigte im WDR-Fernsehen für Ende des Monats ein eigenes Konzept der CDU an. Die größte Oppositionsfraktion nahm nicht am Runden Tisch teil, weil sie kein diskussionswürdiges Konzept der Landesregierung sah. Für die Piraten kommt nur eine konsequente Rückkehr zu G9 infrage. Die FDP möchte die Schulen wählen lassen.

Das Treffen habe aber gezeigt, dass viele eine staatliche Leitentscheidung über ein Grundsystem an den Gymnasien erwarteten statt jede Schule entscheiden zu lassen, ob sie G8 oder G9 wolle, sagte Löhrmann. Die Ministerin hatte im vergangenen Monat selbst flexiblere Lernzeiten für Schüler in allen Schulformen vorgeschlagen.

Die SPD möchte zurück zu sechs Jahren Schulzeit in der Sekundarstufe I. Dies würden auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Verband Bildung und Erziehung begrüßen. Andere hätten hingegen die Meinung vertreten, dass an drei Jahren Oberstufe festgehalten werden sollte, sagte Löhrmann.

Zentrales Reformziel müsse die Rückkehr zu einer sechs Jahre umfassenden Sekundarstufe I sein, betonte dann auch die GEW in einer Pressemitteilung. Diese Schulstufe müsse künftig für alle Schulformen gleich lang sein und auch am Gymnasium mit einem mittleren Schulabschluss beendet werden können. Die Bildungsgewerkschaft lehne es ab, den einzelnen Schulen die Wahl zwischen G8 und G9 zu überlassen. Auch G8 und G9 an einer Schule seien nicht sinnvoll. „Die anstehende Reform darf nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte umgesetzt werden. Bei allen notwendigen Veränderungen muss nicht jedes Gymnasium ein eigenes Konzept entwickeln. Das würde die Schulen und unsere Lehrerinnen und Lehrer sinnlos überfordern. Wir wollen eine sechsjährige Sekundarstufe I, verbunden mit einer flexiblen Oberstufe, die in zwei, drei oder vier Jahren durchlaufen werden kann“, erklärte GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer.

Die Schulzeitverkürzung von neun auf acht Jahre Gymnasium hatten 2005 alle Landtagsparteien im Prinzip befürwortet. Die rot-grüne Koalition musste allerdings ein zuvor unter schwarz-gelber Regierung beschlossenes Modell umsetzen, das den Unterricht in der Sekundarstufe I verdichtete. SPD und Grüne wollten eigentlich die Schulzeit in der Oberstufe verkürzen. dpa

Zum Bericht: Wildes Wende-Manöver: von Fans zu Feinden des G8 – die Landeselternschaft der Gymnasien NRW

Hintergrund: GEW gegen ein schlichtes „Roll Back“

Das SPD-Modell mit einer sechsjährigen Sekundarstufe I und einer Doppelfunktion für die Klasse 10 komme, so die Landesvorsitzende der GEW, Dorothea Schäfer, den Vorstellungen der Bildungsgewerkschaft schon sehr nahe. Aus Sicht der GEW müssten die bislang vorliegenden Modelle aber noch konkretisiert werden. Schäfer: „Es muss aber klar sein, was in Klasse 10 praktisch passiert. Wenn die Schülerinnen und Schüler sich eben nicht bereits im vierten Schuljahr für den acht- oder neunjährigen Bildungsgang entscheiden müssen, sondern erst später, muss genau geklärt sein, zu welchen Zeitpunkten Weichenstellungen nötig sind.“ Das Konzept einer Individualisierung der Lernzeit – wie von Schulministerin Löhrmann ins Gespräch gebracht –  bedürfe sicher weiterer Konkretisierung.

Mit der Einführung einer einheitlich langen Sekundarstufe I muss aus Sicht der GEW die Wiederherstellung der Orientierungsstufe mit den Klassen 5 und 6 einhergehen, und zwar an allen Schulformen. „Das erfordert auch das Einsetzen der zweiten Fremdsprache beziehungsweise des Wahlpflichtbereichs I erst in Klasse 7“, sagte die GEW-Landesvorsitzende.

Kritik äußerte Schäfer am geplanten Volksbegehren der Elterninitiative „G9 NRW jetzt“: „Abitur nach 13 Jahren ohne Pflicht zum Nachmittagsunterricht – das klingt nach bildungspolitischem Roll Back. Dass gerade gebundene Ganztagsschulen zu mehr Chancengleichheit führen, leuchtet dieser Initiative nicht ein und dass auch Eltern über die Vorschläge der Parteien diskutieren wollen, scheint hier nicht zu interessieren.“

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