BERLIN. Die Länder wollen mit einer Strategie zur «Bildung in der digitalen Welt» mehr Computer-Kompetenz in die Schulen bringen, und zwar schnell. Der Philologenverband und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßten das heute verabschiedete Papier – stellten allerdings fest, dass das Ziel einer Umsetzung bereits ab dem Schuljahr 2018/2019 ehrgeizig sei. Es fehle vor allem noch an Fortbildungen für Lehrkräfte.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) wird nach Worten des Hamburger Bildungssenators Ties Rabe einen ehrgeizigen Vorstoß unternehmen, um Schüler in Deutschland rasch für die digitale Welt fit zu machen. «Wir haben uns die Messlatte sehr hoch gelegt: Wer nächstes Jahr in die Schule kommt, soll bis zum Ende seiner Schulzeit eine umfassende Medienbildung im Rahmen des Unterrichts durchlaufen», sagte der SPD-Politiker in Berlin. «Der Zeitdruck ist hoch. Daher sollten wir 2022, 2023 in jeder Schule entsprechende Konzepte implementiert haben.»
Die Bildungsminister und -senatoren der 16 Bundesländer haben an diesem Donnerstag in Berlin die KMK-Strategie zur «Bildung in der digitalen Welt» verabschiedet. Darin wird unter anderem festgelegt, welche Computer-Kompetenzen Schüler künftig erwerben sollen. Rabe verwies auf Studien, wonach Jugendliche in Deutschland zwar im hohen Maße mit Smartphones und Computern ausgestattet sind, diese aber zu selten sinnvoll etwa für die Schule nutzen. «Ein großer Teil der Schüler begnügt sich mit sozialen Netzwerken und Computerspielen.»
Endlich! Die Schulen stehen vor der digitalen Revolution – Wankas Milliardenpaket macht’s möglich
Rabe sagte, die KMK wolle mit ihrer Strategie passgenaue, spannende und lehrreiche digitale Medien in den Unterricht einbinden, «ohne aber Buch, Heft und Stift damit zu ersetzen». Die Debatte in den Ländern solle sich auch «nicht beschränken auf den sinnlosen Ansatz eines Pflichtfachs Informatik». Vielmehr sollten digitale Medien wie Laptops, Smartphones oder Lernprogramme «in jedem Schulfach, in jedem Unterricht zum Einsatz kommen».
Der Bildungssenator skizzierte eine Reihe von Handlungsfeldern für die Länder, aber auch für den Bund: die Überarbeitung von Lehrplänen, eine auf das digitale Klassenzimmer vorbereitende Lehrerfortbildung – dies sei eindeutig Ländersache. Den komplizierten Bereich der Technik – digitale Infrastruktur an den Schulen, aber auch deren Wartung – müssten die Länder gemeinsam mit dem Bund schultern. Zudem gehe es um die Frage, ob man eine Vollausstattung mit Computern an den Schulen brauche oder ob Schüler im Unterricht verstärkt mit ihren eigenen Smartphones arbeiten sollen. Schließlich brauche man «gut funktionierende Lernprogramme» und eine großzügige Regelung bei den Urheberrechten – «ein dorniges, schwieriges Kapitel», betonte Rabe.
“Muss etwas im Geschenkpapier drin sein”
Die KMK nimmt mit ihrer Digitalstrategie einen Ball auf, den vor einigen Wochen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) in ihr Feld gespielt hatte. Demnach sollen alle rund 40.000 Schulen in Deutschland mit einem Fünf-Milliarden-Euro-Programm für digitale Bildung ausgestattet werden. Während der Bund das gesamte Geld geben will, müssten sich die für Schulpolitik zuständigen Länder verpflichten, pädagogische Konzepte, Aus- und Fortbildung von Lehrern sowie gemeinsame technische Standards umzusetzen, so Wanka.
Senator Rabe sagte zu Wankas als überraschend empfundenen Vorstoß: «Jeder politische Akteur ist herzlich eingeladen, auf diesem Feld zu agieren, da muss er andere nicht fragen – das gilt auch die Bundesbildungsministerin.» Allerdings müsse «auch etwas im Geschenkpapier drin sein – und da ist nichts drin. Das ist bisher kein ernst gemeintes Geschenk, sondern nur eine Ankündigung, sich in einer neuen Regierung als Ministerin um das Geld zu bewerben.» Bei einem ersten Treffen im Januar gebe es für die Länder daher «dringenden Gesprächsbedarf» mit Wanka. dpa
Als „sehr differenzierten, vernünftigen, aber auch zukunfts- und lösungsorientierten Ansatz“ hat der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, die heute in Berlin von der Kultusministerkonferenz vorgestellte Handlungsstrategie gewertet. Insbesondere begrüßte es der Verbandschef, dass hinsichtlich des Lehrens und Lernens in der digitalen Welt „das Primat des Pädagogischen“ von der KMK ausdrücklich betont werde.
„Natürlich gehört es zum heutigen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule, unsere Schülerinnen und Schüler angemessen auf das Leben in einer von der Digitalisierung aller Lebensbereiche gekennzeichneten Welt vorzubereiten. Dazu gehört, dass sowohl Chancen als auch Risiken in den Blick genommen werden!“, betonte Meidinger. Ebenfalls positiv sieht der Philologenverband das von der KMK formulierte Strategieziel, die für eine aktive, selbstbestimmte Teilhabe in einer digitalen Welt notwendigen Fähigkeiten nicht einem einzelnen Fach, also beispielsweise der Informatik, zuzuordnen, sondern als Querschnittsaufgabe aller Fächer zu verankern.
Vom Philologenverband unterstützt wird auch die Einschätzung in dem Strategiepapier, dass es gerade in einer von Digitalisierung geprägten Welt noch mehr auf Wissen ankomme, um Informationen einzuordnen, zu verknüpfen und zu bewerten. Als äußerst ambitioniert bezeichnete Meidinger das von der KMK formulierte Ziel, dass Schülerinnen und Schüler die in dem Strategiepapier formulierten Kompetenzen bereits ab dem Schuljahr 2018/19 verbindlich erwerben können. Er kommentierte dies abschließend: „Ich kann nur hoffen, dass die Bundesländer die dafür notwendigen personellen, finanziellen und ausstattungsbezogenen Ressourcen ab diesem Zeitpunkt auch wirklich zur Verfügung stellen!“ Ausdrücklich verwies er dabei auf das derzeit in diesem Bereich äußerst dürftige und unzureichende Fortbildungsangebot für Lehrkräfte.
Ähnliche Töne kamen vom VBE-Vorsitzenden Udo Beckmann. „Wir begrüßen ausdrücklich, dass sich die KMK auf die Positionen verständigt hat und damit in allen Bundesländern die Bedeutung der Digitalisierung für die Bildung anerkennt. Die KMK-Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘ bildet eine solide Grundlage. Was jetzt fehlt ist zweierlei: klare gesetzliche Regelungen, damit Lehrkräfte ihrem digitalen Bildungs- und Erziehungsauftrag geschützt nachkommen können und eine Qualifizierungsoffensive. Die Länder müssen sich verpflichten, die Lehrerinnen und Lehrer für die neuen Herausforderungen aus-, fort- und weiterzubilden. Diese Fortbildungen müssen in der Dienstzeit und nicht on top stattfinden“, erklärte er.
Zu dem Vorschlag der KMK, dass die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Smartphones in der Schule nutzen sollen, äußert sich Beckmann besorgt: „Es haben eben nicht alle Kinder und Jugendlichen ein Smartphone. Mit dem Vorschlag, das eigene Smartphone für Schulaufgaben zu verwenden, kann die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozio-ökonomischen Status zunehmen. Gerade erst hat die PISA-Studie gezeigt, dass Deutschland bei der Bildungsgerechtigkeit weiter zulegen muss. Ein solcher Vorschlag ist da eher kontraproduktiv.“ Auch das Zurückgreifen auf privates Engagement durch Sponsoring sei nicht zielführend. Beckmann betont: „Die aufgabengerechte Ausstattung der Schule ist Aufgabe des Staates.“