Website-Icon News4teachers

Schon jetzt an der Belastungsgrenze, und die Zukunft scheint düster – Grundschullehrerinnen berichten

WIESBADEN. Grundschullehrer oder gar Grundschulleiter scheint mehr und mehr ein „Höllenjob“ zu werden. Immer lauter artikulieren Pädagogen ihren Frust über stetig steigende Belastung, schlechte Arbeitsbedingungen und mangelnde Unterstützung seitens der verantwortlichen Schulpolitiker. Daran wird sich wohl so schnell nicht viel ändern. Vielerorts drohen stattdessen schon in naher Zukunft weitere Engpässe an qualifiziertem Personal. Ob Einsatz von Quereinsteigern, arbeitswilligen Pensionären, Referendaren oder Studenten: Die Versuche der Politiker, dem Mangel zu begegnen, wirken mitunter wie hilfloses Stückwerk. Die Alltagsprobleme der Grundschullehrer drohen dabei noch weiter aus dem Blick zu geraten.

Lehrkräfte an Grundschulen sind stark belastet. Foto: Fabio Gismondi / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

Der Brandbrief von Frankfurts Grundschulleitern Anfang Februar,hatte für Aufsehen gesorgt. Er bildet einen weiteren traurigen Meilenstein in einer ganzen Reihe von Brandbriefen, mit denen deutschlandweit verzweifelte Lehrer versuchen, „ihre“ verantwortlichen Politiker aufzurütteln. Zuletzt kam ein Schreiben von Wiesbadener Lehrern hinzu. Laut Medienberichten haben sich nun auch 56 Schulleiter von Grundschulen aus Darmstadt und dem Landkreis Darmstadt-Dieburg an Hessens Kultusminister Alexander Lorz gewandt.

Schon seit Längerem bezeichnen Grundschullehrer und – leiter ihre Arbeitsbelastung als kaum zu bewältigen nicht erst mit dem Flüchtlingszuzug. Und aus Sicht der Pädagogen ändert sich daran nur wenig. «Wir sind zwar an der Belastungsgrenze angekommen, aber trotzdem wird es für die Grundschullehrer immer schwerer», sagt etwa Manon Tuckfeld vom GEW-Bezirksverband Südhessen.

Anzeige

Was Lehrer alles leisten sollen – der „Traumberuf“ wird zusehends aufreibend

Nach Einschätzung der Gewerkschaft wird die Arbeitsbelastung der Grundschullehrer in den kommenden Jahren noch weiter steigen, weil es auf absehbare Zeit nicht ausreichend ausgebildete Grundschullehrer gebe. Kultusminister Alexander Lorz (CDU) hatte bereits eingeräumt, dass im kommenden Schuljahr bis zu 300 Pädagogen im Land fehlen werden.

Angesichts des leergefegten Arbeitsmarktes hat das Kultusministerium unter anderem rund 1.600 Ruheständlern einen befristeten Vertrag angeboten, mit höherer Entlohnung als im regulären Dienst. Weiteren knapp 600 Kollegen kurz vor der Pensionsgrenze sollte ein längerer Dienst an den Schulen schmackhaft gemacht werden. Ähnliche Pläne hegt Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann.

Eisenmanns Notlösung gegen drohenden Lehrermangel: Kollegen sollen länger im Schuldienst bleiben

Abgesehen davon, dass selbst ein massenweises Hinausschieben des Ruhestandes das Problem nur verschieben würde, beurteilen besonders Lehrerverbände die Erfolgsaussichten entsprechender Aufrufe als gering. Nicht zuletzt die Erfahrungen mit dem Versuch, Pensionäre zur Beschulung von Flüchtlingskindern zu reaktivieren, machten wenig Hoffnung.

Auch die Wiesbadener Grundschullehrerin Erika Meyer winkt ab, auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnte, ihren Dienst über den Ruhestand zu verlängern. Im gemeinsamen Gespräch mit drei Kolleginnen schildert sie die Probleme im Alltag.

Wann, wenn nicht jetzt? Gebt Lehrern endlich die Unterstützung, die sie brauchen!

Meyer ist seit 1978 Grundschullehrerin. In dieser Zeit habe sich eine Menge verändert, sagt sie und wirkt resigniert. «Die Überlastungsanzeigen wurden nicht erst nach Ankunft der Flüchtlinge gestellt, sondern es ist allgemein ein Problem, wie mit uns Grundschullehrern umgegangen wird. Wir werden nicht wertgeschätzt.»

«Wir haben an unserer Schule mehr als 90 Prozent Kinder, die einen Migrationshintergrund aufweisen. Es gibt nur noch ganz wenige, die aus einer deutschen Familie stammen», erzählt Meyer und ihre Kollegin Rita Müller ergänzt: «Wir haben fast keine Mittelschichtkinder bei uns.» Viele Schüler kommen aus Familien, deren Heimatländer Marokko, Russland, Albanien, arabische Länder und EU-Länder sowie die Türkei sind.

«Auf dem Schulhof sprechen unsere Schüler Deutsch, aber ein Deutsch, das immer schlechter wird, obwohl die Kinder zum Teil schon zur dritten Generation in Deutschland gehören», schildert Meyer das Dilemma. Zuhause würden die Kinder weder die Heimatsprache noch die deutsche Sprache richtig sprechen. Ihre Kollegin Alexandra Schmidt ergänzt: «Wir haben aber leider das Gefühl, dass wir nur wenig vorwärts kommen, denn die Sprachdefizite sind einfach enorm.»

Die sprachlichen Defizite seien jedoch nur ein Teil des Problems, versichern die drei Kolleginnen. «Theoretisch würden einige Kinder schon verstehen, was wir sagen, aber sie hören gar nicht mehr zu. Zuhause läuft von morgens bis abends der Fernseher, einige Kinder schauen schon morgens vor der Schule fern.» Ihre Aussage ist klar: Die Eltern kümmern sich gar nicht oder falsch um ihren Nachwuchs.

Aus dem Teufelskreis der Armut heraus: Kinderschutzbund will mit dem “Lernhaus” Aufstiegschancen bieten

«Wenn die Kinder spüren, meine Eltern haben Interesse an meinen schulischen Leistungen, dann kann es gelingen, dass es in der Schule gut läuft», sagt Lehrerin Schmidt. «Wir können in der Schule die Defizite bei den Kindern Zuhause nicht wirklich auffangen. Das habe ich mir abgeschminkt.» Man merkt ihr die Frustration an. «Ich bin seit 40 Jahren Lehrerin. Wir sind aufgebrochen, soziale Ungleichheiten zu beseitigen», sagt sie und gesteht dann ein: «Wir können den Vorsprung von anderen Schulen nicht aufholen.»

«Viele unserer Kinder haben später große Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden und eine Lehre zu machen», ergänzt Meyer. Ein weiteres Problem ist ihrer Einschätzung nach, dass es immer mehr verhaltensauffällige Kinder gibt. «Das Aggressionspotenzial ist gewaltig gewachsen, woher das auch immer kommt», bestätigt Müller. «Wir haben massive Prügeleien auf dem Schulhof, die weit über das normale Maß hinausgehen.»

Für die vielen Sonderschüler gebe es an ihrer Schule nur einen einzigen Lehrer zusätzlich, berichtet Müller. Das sei viel zu wenig. «In meiner Klasse habe ich ein verhaltensauffälliges Kind, das mir vor einer Woche das Mobiliar zerstört hat. Ich habe mich dann mit den anderen Schülern vor dem Kind in Sicherheit gebracht.»

Solche extremen Fälle kennt Daniela Grün nicht. Sie unterrichtet in einer Grundschule in Darmstadt. Aber auch dort liege einiges im Argen. «Wir haben so viele Aufgaben dazu bekommen, dass die Qualität des Unterrichts massiv leidet», sagt sie. Die Integration behinderter Kinder und der Flüchtlingskinder sei kaum zu bewältigen. «Wir arbeiten weit über unsere bezahlte Arbeit hinaus. Wer da gesund bleibt, der hat Glück gehabt», erklärt die 45-Jährige. (News4teachers, Robert Maus, dpa)

Lehrermangel an Grundschulen: Kultusminister Lorz lockt jetzt Pensionäre – mit höherem Gehalt als im regulären Dienst

Die mobile Version verlassen