Mit Blick auf die Studie „Demografische Rendite adé“ der Bertelsmann-Stiftung fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Sicherung des Lehrkräfte-Nachwuchses. „Die heute veröffentlichte Studie zeigt eindringlich, was Schulleitungen, Lehrerinnen und Lehrer und Personalräte an vielen Orten in Deutschland tagtäglich erfahren“, sagt GEW-Chefin Tepe und betont: „Ohne mehr Geld für Bildung – für mehr Lehrkräfte, weiteres pädagogisches Fachpersonal sowie Sanierung und Ausbau von Schulgebäuden – wird das nicht funktionieren.“
Besonders an Grundschulen sei das Problem gravierend. „Wenn die Arbeit mit kleinen Kindern weniger honoriert wird als die Arbeit mit den älteren, wird dieser Mangel nicht zu beheben sein“, kritisiert Tepe. Die Bildungsgewerkschaft fordert deshalb, die Lehrkräfte an allen Schularten gleich gut zu bezahlen. Derzeit verdienen Grundschullehrkräfte 400 bis 600 Euro weniger als die meisten Lehrkräfte an weiterführenden Schulen.
Tepe warnt davor, den Lehrkräftemangel allein auf die Zuwanderung zu schieben. „Die Kinder von Einwanderern – Arbeitsmigrantinnen und -migranten wie Geflüchteten – sind nur ein Baustein in einer komplexen Situation. Dass in diesen Jahren überdurchschnittlich viele Lehrkräfte altersbedingt ausscheiden, war den Verantwortlichen lange bekannt. Trotzdem waren die Länder nicht bereit, rechtzeitig mehr Geld für die Ausbildung von Lehrkräften in die Hand zu nehmen. Insbesondere die gravierenden Probleme an den Schulen im Osten sind eine Katastrophe mit Ansage“, so die GEW-Vorsitzende.
Die Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sagt für das Jahr 2025 rund eine Million mehr Schülerinnen und Schüler voraus als die letzte KMK-Prognose aus dem Jahr 2013. Allein an den Grundschulen würden 25.000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt. Dabei seien dringend nötige pädagogische Verbesserungen wie der Ausbau eines qualitativ hochwertigen Ganztagsangebots oder eine bessere personelle Ausstattung für Inklusion noch gar nicht berücksichtigt, so Tepe. Die Erhebung basiere allein auf der steigenden Schülerzahl.
10.000 Lehrkräfte mehr allein fürs Gymnasium
Dringenden Handlungsbedarf attestiert der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, der Politik. Allein für den Bereich der Gymnasien schätzt Meidinger den Mehrbedarf an Gymnasiallehrern, der zusätzlich zum jährlichen Ersatzbedarf bis 2030 notwendig ist, auf über 10.000 Lehrkräfte. „Es ist allerhöchste Zeit, dass die Politik auf diese aktualisierten Schülerzahlenprognosen reagiert. Die Konsequenz kann nur heißen, alle auf den bisherigen Annahmen basierenden Streichungen von Lehrerstellen in einzelnen Bundesländern sofort zu stoppen und durch zusätzliche Investitionen in den Bildungsbereich dafür zu sorgen, dass steigende Schülerzahlen nicht wieder wie in den 80-er und 90-er Jahren zu Verschlechterungen bei der Bildungsqualität, etwa steigenden Klassengrößen, führen“, betonte der Verbandsvorsitzende.
Neben den Bundesländern, die für die Einstellung von Lehrkräften zuständig sind, sieht Meidinger jetzt auch verstärkt die Kommunen in der Pflicht: „Vor allem in den Ballungsgebieten, wo der Schüleranstieg am stärksten ist, aber nicht nur dort, müssen zeitnah milliardenschwere Neubauprogramme von Schulhäusern aufgelegt werden!“
Der Philologen-Chef appelliert an die Politik, die aktualisierten Prognosen für die Schülerzahlentwicklung nicht als Last und Bedrohung, sondern als große Chance zu sehen: „Wir sollten uns über die Tatsache, dass es in Deutschland deutlich mehr junge Menschen, Schülerinnen und Schüler geben wird, zunächst einmal freuen, weil darin auch bessere Zukunftschancen für unsere Gesellschaft stecken. Die Politik hat aber jetzt auch eine große Verantwortung, der sie gerecht werden muss. Ich kann nur davor warnen, die gleichen Fehler wie vor 30 Jahren nochmals zu machen und zu versuchen, durch Sparmaßnahmen ´Schülerberge zu untertunneln’. Wer so etwas ins Kalkül zieht, setzt die Zukunftschancen unserer Jugendlichen aufs Spiel!“
“Lehrermangel zu lange schöngeredet”
In die gleiche Kerbe schlägt der VBE. „Die Situation des Lehrermangels wurde von der Politik viel zu lange schöngeredet, Pensionierungswellen nicht ausreichend ausgeglichen und nun zeigt sich auch noch, dass die KMK mit falschen Zahlen rechnet“, erklärt VBE-Vorsitzender Udo Beckmann. Er betont: „Schule verändert sich. Inklusion und Integration stellen Herausforderungen für das pädagogische Personal dar. Jedes Kind soll individuell entsprechend seiner Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert werden. Auch der Ganztagsbetrieb macht zusätzliches pädagogisches Personal unabdingbar. Zugleich wachsen die Erziehungsaufgaben an. Dies zu bewältigen, kann nur in kleineren Lerngruppen, mit der Unterstützung durch multiprofessionelle Teams und in Inklusionsklassen mit einer weitestgehenden Doppelbesetzung gelingen. Da die Politik die Inklusion aber jahrelang als Sparprogramm erachtet hat, steht sie nun mit Fragezeichen im Gesicht da und verkündet, Klassen nicht kleiner machen zu können, da Personal fehlt. Das sind hausgemachte Probleme, die auf dem Rücken von Schülerinnen und Schülern und den Lehrkräften ausgetragen werden!“
Der VBE-Chef fordert die Politik auf, zur Bekämpfung des Lehrermangels an zwei Stellen anzusetzen: „Erstens braucht es eine Lehrerausbildungsoffensive. Wer sich heute über steigende Geburtsraten freut, muss in sechs Jahren mehr Lehrkräfte ausgebildet haben. Dafür muss das Ausbildungskontingent massiv erhöht werden. Gleichzeitig sollte sich jedes einzelne Bundesland endlich verpflichten, mindestens entsprechend des eigenen Bedarfes auszubilden. Zweitens muss der Lehrerberuf attraktiver gestaltet werden. Dazu gehört nicht nur eine entsprechende Bezahlung, sondern auch die Bereitstellung von Gelingensbedingungen, um Schule in die Lage zu versetzen, das, was die Gesellschaft von ihr fordert, einlösen zu können. Nur so werden junge Menschen zu einem Pädagogik-Studium motiviert.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus