MÜNCHEN. Guter Unterricht ist digital, aber nicht ausschließlich. In einer Studie zeigten Münchener Forscher jetzt, dass Schüler in Naturwissenschaften und Mathematik bessere Leistungen erzielten, wenn im Unterricht digitale Medien eingesetzt werden. Allerdings hängt der Erfolg von der Gestaltung der Mediennutzung ab. Ein weiteres Kernergebnis der Studie: Ohne den Lehrer geht’s nicht.
Selten zeigt sich der Charakter der Institution Schule, als ein der Gesellschaft gegenüber hochgradig offenes System so deutlich wie beim Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung des Unterrichts wird seit Jahren heiß diskutiert. Längst sind digitale Medien in den Unterricht eingezogen. In der Praxis hat sich allerdings noch kein Königsweg aufgetan.
Lehrer sind im Kern mit dem Problem alleine gelassen, flankiert von einer unüberschaubaren Zahl von Beratern mit unterschiedlichen Interessen. Wann, wie oft und welche Programme sollen Lehrer am Computer einsetzen? Welchen Nutzen haben sie? Welche Funktionen können sie im Unterricht übernehmen? Dazu gibt es eine schwer zu überschauende Fülle an Forschungsprojekten. Das Zentrum für internationale Bildungsvergleichsstudien (ZIB) an der Technischen Universität München (TUM) hat nun im Auftrag der Kultusministerkonferenz 79 Studien ausgewertet, die seit 2000 weltweit erschienen sind.
Die Untersuchung zeigt: Schüler aus Klassen, in denen mit digitalen Unterrichtsmedien gearbeitet wird, erzielen bessere Leistungen als Kinder und Jugendliche aus Klassen, die traditionell unterrichtet werden. Außerdem sind sie motivierter für das jeweilige Fach. Dies gilt für alle Jahrgangsstufen höherer Schulen (Sekundarbereich) und für alle untersuchten Fächer, im Rahmen der Studie Mathematik, Biologie, Chemie und Physik.
Allerdings garantieren digitale Materialien an sich noch keinen Erfolg. Ihre Wirkung auf Leistung und Motivation hängt nach Meinung der Forscher davon ab, wie sie im Unterricht eingesetzt werden:
Kinder und Jugendliche profitierten von digitalen Unterrichtsmedien stärker, wenn sie nicht allein, sondern in Paaren arbeiten. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass Computerprogramme in besonderer Weise Gespräche zwischen ihnen anregen, die das Lernen fördern.
Schüler erzielen außerdem bessere Leistungen, wenn sie bei der Arbeit mit Digitalmaterial von Lehrkräften begleitet werden. Arbeiten sie vollkommen selbstständig mit Computerprogrammen, sei deren positiver Effekt gering geblieben. Digitale Medien steigerten dabei die Leistungen stärker, wenn sie von professionell geschulten Lehrern in den Unterricht integriert wurden.
Die erwünschte Wirkung digitaler Medien war größer, wenn sie klassische Unterrichtsmaterialien nicht vollständig ersetzten. Erfolgversprechend sei besonders gewesen, sie ergänzend zu analogen Methoden zu verwenden.
„Digitale Medien sollten im Unterricht mit Augenmaß eingebaut werden“, sagt Prof. Kristina Reiss, Leiterin des ZIB und Dekanin der TUM School of Education. „Es würde über das Ziel hinaus schießen, bewährte analoge Formate zu verbannen. Außerdem sehen wir, dass auch sehr gut gemachte Lernprogramme nicht die Lehrerinnen und Lehrer ersetzen können.“
Bei einem durchdachten Einsatz könnten die Vorteile digitalen Materials gerade bei komplexen und abstrakten Inhalten in Naturwissenschaften und Mathematik voll zur Geltung kommen, beispielsweise mit der Visualisierung chemischer Verbindungen und geometrischer Formen.
„Wenn mit neuen Unterrichtsmethoden darüber hinaus die Motivation der Schüler erhöht wird, ist das eine große Chance für die MINT-Fächer“, betont Reiss. Die jüngste PISA-Studie habe gezeigt, dass Jugendliche in Deutschland vergleichsweise wenig an Naturwissenschaften in Schule und Beruf interessiert sind.
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Die Metastudie zielte auch darauf ab, zu erkunden, welche Typen digitaler Medien besonders erfolgversprechend für den Unterricht nutzbar sind. Die größte positive Wirkung hatten demnach sogenannte intelligente Tutorensysteme. Dabei handelt es sich um Programme, die Inhalte in kleinen Einheiten vermitteln und Übungen ermöglichen.
Entscheidend sei, dass sich die Anwendungen mit Geschwindigkeit, Schwierigkeitsgrad und Hilfestellungen an die Kompetenzen der Nutzer anpassen. Vergleichsweise wenig wirksam hätten sich Hypermediasysteme gezeigt, die mit Video-, Audio- und Textmaterial auf ein freies Erkunden ausgelegt sind, ohne dass die Anwendungen ein Lernziel vorgeben.
Der Auftrag für die Publikation geht auf die Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring zurück. Aufbauend auf der aktuellen Studie sollen in den nächsten Jahren weitere Forschungssynthesen erstellt werden, um auch zu anderen Themen wissenschaftliche Erkenntnisse für die Schulpraxis nutzbar zu machen.
Das ZIB hat die Metastudie in einer Broschüre aufbereitet. Neben der Darstellung der Ergebnisse werden Beispiele für den erfolgreichen Einsatz digitaler Medien geschildert. Der Broschürentext kann auch kostenfrei heruntergeladen werden. (zab)
• Die Studie zum Download steht auf der Internseite des Waxman Verlags zur Verfügung.
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