„Die Annahme, Kinder würden ohne Ziffernnoten nicht ausreichend lernen, ist längst überholt“, erklärt nun die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende des Kinderschutzbundes, Irene Johns. „Im Gegenteil: Studien belegen, dass gerade in der Grundschule Ziffernnoten die Leistungsmotivation beeinträchtigen – und das nicht nur bei leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern. Sie verstärken Leistungsängste und verringern die Lernfreude“, sagt Johns. Ziffernnoten würden den nötigen Gütekriterien für Messverfahren oft nicht gerecht. Empirische Erhebungen bewiesen, dass nicht selten fachfremde Gesichtspunkte wie der Leistungsstand der Klasse, der Bildungs- und Migrationshintergrund und das Geschlecht, bei der Notenvergabe eine wichtige Rolle spielten.
„Genauso gibt es keine nachvollziehbare Begründung für die Wiedereinführung von schriftlichen Empfehlungen zum Besuch der Schularten Gemeinschaftsschule oder Gymnasium, auch wenn diese keine bindende Wirkung haben sollen“, sagt die Kinderschutzbund-Vorsitzende zu den aktuellen Plänen der Jamaika-Koalition in Kiel. „Die aktuelle Verordnung bietet Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, den für sie adäquaten Bildungsweg zu verfolgen. Eine schriftliche Schulübergangsempfehlung hingegen droht benachteiligten Kindern, den Zugang zu Gymnasien wieder zu erschweren – das wäre ein Rückschritt in Sachen Bildungsgerechtigkeit“, warnt Johns.
“Schulfriede wird gestört”
Astrid Henke, Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, stößt ins gleiche Horn: „Die geplanten Veränderungen stören den Schulfrieden. Alte, überflüssige und nur Kraft kostende Diskussionen brechen wieder auf. Wer individuelle Förderung und Inklusion ernst nimmt, darf die Schülerinnen und Schüler nicht über einen Kamm scheren. Das geschieht aber bei der Vergabe von Ziffernnoten. Individuelle Rückmeldungen und Förderhinweise eignen sich daher viel besser als Instrumente der Leistungsbewertung.“
Auch die Wiedereinführung von schriftlichen Empfehlungen hält Henke für einen falschen Weg. „Aus unserer Sicht reichen die bisherigen Beratungsgespräche von Lehrkräften, die den Bildungsweg der Kinder über vier Jahre begleitet haben, völlig aus. Studien belegen, dass trotz größter Gewissenhaftigkeit der Grundschullehrkräfte viele Schulartenempfehlungen daneben liegen. Bei gleicher Leistungsfähigkeit der Kinder, erhalten Kinder von studierten Eltern noch immer deutlich häufiger eine gute Empfehlung als Kinder von Eltern, die nicht studiert haben.“
Die beiden Landesvorsitzenden stimmen darin überein, dass sich die geplanten Änderungen der schulrechtlicher Verordnungen vor dem Hintergrund der erfreulichen Ergebnisse des IQB-Bildungstrends für Schleswig-Holstein nicht nachvollziehen ließen – tatsächlich: Schleswig-Holstein hatte beim Viertklässlervergleich im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern besser abgeschnitten. Die geltenden Regelungen hätten sich als förderlich für die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen und Schüler erwiesen, meinen nun GEW und Kinderschutzbund. Diese insgesamt erfolgsversprechende Entwicklung sollte nicht durch erwiesenermaßen unnötige Kurswechsel gefährdet werden, betonen Johns und Henke unisono. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
