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Was muss noch passieren, damit Lehrer mal unterstützt werden? Als gewalttätig bekannter Zweitklässler sticht mit Messer auf Lehrerin ein

STUTTART. Lehrer beklagen immer mehr Verhaltensauffälligkeiten von Schülern. Nachdem die Debatte um sogenannte „Tyrannenkinder“ durch aktuelle Berichte aus Sachsen-Anhalt und Berlin hochkochte, wo Grundschulkollegien ihrer Schüler nicht mehr Herr werden (und dies in Brandbriefen beklagen), ist nun ein weiterer krasser Fall bekannt geworden, der das Problem in den Fokus rückt: An einer Grundschule in Tenigen (Breisgau) hat ein Siebenjähriger im Streit auf seine Lehrerin mit einem Messer eingestochen und sie dabei verletzt. Der VBE schlägt Alarm.

Sechs Prozent der Lehrer sind schon einmal Opfer eines körperlichen Angriffs geworden. Foto: Shutterstock

Die Polizei bemühte sich zunächst, die Geschichte – die sich bereits vor zwei Wochen ereignete – herunterzuspielen. Zwar bestätigte sie den „Vorfall“ bereits am Tag des Geschehens. Der Zweitklässler habe die Lehrerin mit einem Messer in der Größe eines Obstmessers „leicht verletzt“. „So wie es im Moment aussieht, war es keine gezielte Attacke des Jungens“, sagte aber ein Polizeisprecher gegenüber der „Badischen Zeitung“, die von einer Mutter von dem Fall erfahren hatte. Was der Auslöser des Streits war, sei noch unklar. „Sie haben einen Wortwechsel gehabt, das steht fest“, so berichtete der Sprecher. Wieso der Siebenjährige mit dem Messer hantierte, sei ebenfalls noch nicht geklärt. Unweit der Stelle, an der sich der Vorfall ereignete, gebe es eine Bastelecke für die Schüler. Die Polizei gehe davon aus, dass das Messer von der Schule stamme und nicht, dass es der Junge mitgebracht habe.

Später wurde der Ablauf präzisiert: Der Junge habe auf dem Flur gesessen, weil er den Unterricht gestört hatte und von seiner Lehrerin aus der Klasse verwiesen worden war. Als sie später nach ihm sehen wollte, habe er das Messer in der Hand gehalten. Als sie es ihm wegnehmen wollte, habe er zugestochen. Also, den Schluss muss man nun ziehen, hat der Junge die Pädagogin offenbar doch gezielt angegriffen.

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Stichwunde im Bauch

Mittlerweile haben sich auch andere Medien der Story angenommen – und sie stellt sich tatsächlich nun deutlich krasser dar. Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte ein Foto der Stichwunde im Bauch der Lehrerin, die sich einer Operation unterziehen musste. „Spiegel-Online“ wusste beizutragen, dass der Siebenjährige der Schule offenbar schon länger als gewalttätig bekannt sei.

Zitiert wird aus einem Brief der Schule an das zuständige Schulamt in Freiburg, datiert auf Januar. In den Schreiben heißt es, dass das Kind immer wieder auffalle. So habe er andere Kinder  geschlagen und gebissen und mit Stühlen umhergeworfen. Einmal zerschlug er den Angaben zufolge ein Lineal auf dem Kopf eines Mitschülers. „Aufgrund der täglichen Vorfälle und seiner stetigen Unberechenbarkeit“ könne die Sicherheit der übrigen Schüler nicht mehr garantiert werden, so heißt es in dem Brief. Es werde darum gebeten, das Verfahren zu beschleunigen, um den Schüler auf eine spezielle Schule zu überweisen, in der besser mit ihm umgegangen werden könne. Passiert ist nichts.

„Wir wünschen der betroffenen Lehrerin eine schnelle Genesung“, sagt nun Gerhard Brand, Vorsitzender des VBE Baden-Württemberg – und wird dann grundsätzlich: Der VBE habe mehrfach auf das Problem „Gewalt gegen Lehrkräfte“ aufmerksam gemacht. Vergeblich. „Gewalt gegen Lehrkräfte ist immer noch ein Tabuthema – auch beim Dienstherrn, der sich besser um den Schutz seiner Bediensteten kümmern sollte.“ Eine vom VBE in Auftrag gegebene Umfrage zum Thema ergab bereits 2016, dass bundesweit sechs von 100 Lehrern schon einmal körperlich von Schülern angegriffen worden. Hochgerechnet seien damit mehr als 45.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen aller Formen bereits Opfer von tätlicher Gewalt geworden, hieß es seinerzeit. Zu den körperlichen Angriffen gehörten etwa Fausthiebe, Tritte, An-den-Haaren-Ziehen oder das Bewerfen mit Gegenständen.

„Der VBE fordert immer wieder die bessere Ausstattung der Schulen mit Sonderpädagogen, Schulpsychologen und Sozialarbeiten. Also Personal, das helfen kann, Fällen von Gewalt präventiv zu begegnen. Aber nur 42 Prozent der Lehrkräfte konnten 2016 von einer solchen Zusammenarbeit berichten“, erklärt Brand. „Andere Maßnahmen können Lehrkräften aber auch helfen: Von den schulpsychologischen Beratungsstellen an den Schulämtern können Lehrkräfte professionelle Hilfe erhalten. Allerdings wird dieser Bereich an den Schulen nicht ausreichend kommuniziert. Lehrkräften sollte diese Hilfe auch proaktiv angeboten werden“, meint der VBE-Landesvorsitzende.

Keine Reaktion

„Und auch der Gesetzgeber hat auf unsere Umfrage nicht reagiert. Es gab keine Verschärfung der Sanktionen bei Gewaltanwendung gegen Lehrkräfte“, sagt Brand. „Wir fordern, dass der Dienstherr bei Gewaltanwendungen gegen Lehrkräfte das gleiche Instrumentarium anwendet, wie bei Gewalt gegen Polizisten.“ Der Verbandschef betont: „Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein klares Zeichen des Staates. Als Lehrkraft muss ich das Gefühl haben, dass der Dienstherr bei Vorfällen von psychischer oder physischer Gewalt ohne Wenn und Aber hinter mir steht. Gewaltvorfälle sind keine Privatangelegenheiten von Lehrkräften.“

Die Polizei in Tenigen versucht derweil, ihre erste Einschätzung des Falls zu rechtfertigen – und gerät dabei verbal ins Schlingern:  „Wir haben versucht, die Dramatik herunterzustufen, die letztendlich gar nicht vorhanden war, ohne es herunterzuspielen“, erklärt der Sprecher gegenüber der „Badischen Zeitung“. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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