Der Verband „Gemeinsam leben, gemeinsam lernen“ sowie der Kölner Verein „Mittendrin“ setzen sich für einen möglichst weitgehenden gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung ein, sehen aber massive Probleme bei der Umsetzung in der Praxis.
Bisher sei vom Versprechen von NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), die Qualität der Inklusion zu verbessern, „an der Basis nichts Spürbares angekommen“, sagt Elternvertreter Kochanek mit Blick auf Nordrhein-Westfalen. „Wenn das Ministerium die Verbesserung inklusiver Bildung will und sich das nicht von allein entwickelt, bedarf es einer stärkeren zentralen Steuerung, zum Beispiel durch gezielte, verpflichtende Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, auch in den Ferien.“ Aus Schulen, von Lehrerverbänden und aus dem Ministerium sei zu hören, „dass Fortbildungsangebote nicht flächendeckend angenommen werden und in Teilen inhaltlich am Ziel vorbeigehen“, sagt Kochanek der „Rheinischen Post“ zufolge. Insbesondere nutzten die Schulleiter die Angebote nicht konsequent „zur Herstellung inklusiver Unterrichtskompetenz und zur Verankerung von Inklusion im Schulprogramm“.
Die zentralen Grundfragen des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Schülern sind bis heute ungeklärt. Inwieweit sind die Gymnasien verpflichtet, sich zu beteiligen? Wo sind die Grenzen der Inklusion? Was ist überhaupt das von der Politik anvisierte Ziel – eine Radikal-Inklusion oder eine Inklusion light? Und was davon ist mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar? Niemand weiß das so recht. Klar ist nur: So fährt die Inklusion vor die Wand.
News4teachers hat nun ein Dossier herausgegeben – Titel: „Das Inklusions-Chaos“ –, das die Probleme journalistisch beleuchtet und versucht, Antworten auf offene Fragen zu geben. Uns geht es darum, eine öffentliche Diskussion anzustoßen, die der Inklusion endlich den Rang gibt, der ihr gebührt: Es ist kein exotisches Nischenprojekt, um das es hier geht, sondern die größte Bildungsreform der vergangenen Jahrzehnte. Unser Ansatz ist kritisch, aber konstruktiv. Wir suchen nach Wegen, wie die Inklusion doch noch gelingen kann. Diskutieren Sie mit! Das Dossier ist auf netzwerk-lernen.de gratis herunterladbar – hier geht’s hin.
Eva-Maria Thoms, Vorsitzende des Vereins „Mittendrin“, kritisiert laut Bericht, nur die Hälfte der weiterführenden Schulen, die inklusiv zu arbeiten hätten, habe überhaupt ein Konzept für den gemeinsamen Unterricht. Die meisten Lehrer fühlten sich für die Inklusion nicht kompetent, aber nur die wenigsten bildeten sich fort. „Dann ist es nicht verwunderlich, dass es mit der Qualität der inklusiven Bildung hapert, und deshalb muss es verpflichtende Fortbildungen geben.“ Die „Mittendrin“-Vorsitzende schlägt vor: „Um das ganze Kollegium fortzubilden, müsste man die unterrichtsfreie Zeit nutzen. Ein guter Termin für verpflichtende Inklusionsfortbildungen wäre die letzte Woche der Sommerferien.“
Doppelbesetzungen gefordert
Der VBE wehrt sich gegen die Vorwürfe. „Die Mehrheit der Lehrkräfte spricht sich für die Inklusion aus“, sagt Anne Deimel und verweist auf eine Umfrage im Auftrag ihres Verbandes, nach der allerdings fast alle Lehrerinnen und Lehrer für die inklusive Beschulung die Doppelbesetzung aus Regelschullehrkraft und Sonderpädagoge fordern (News4teachers bereichtete). Die gebe es jedoch nur äußerst selten. „Lehrkräfte und Eltern sollten sich für angemessene Rahmenbedingungen stark machen“, meint Deimel. Die Anforderungen an Lehrkräfte sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Deshalb gelte: „Fortbildungen müssen in der Dienstzeit erfolgen.“
Um die Inklusion erfolgreich umsetzen zu können, fordert der VBE – neben der Doppelbesetzung – eine Unterstützung durch multiprofessionelle Teams etwa aus Schulpsychologen, Sozialarbeitern und Lerntherapeuthen, geeignete bauliche Voraussetzungen, kleinere Klassen sowie eine „bessere Vorbereitung durch angemessene Aus-, Fort- und Weiterbildung“. Damit gibt der VBE den Elternverbandsvertretern zumindest in einem Punkt indirekt Recht: Die Fortbildungsangebote zum Thema Inklusion sind offenbar wirklich qualitativ und quantitativ ausbaufähig. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
Auch auf der Facebook-Seite von News4teachers wird das Thema Inklusion hitzig diskutiert.
