Eine Überstunde im Lehrerberuf ist nicht mit Mehrarbeit gleichzusetzen. Die gibt es sowieso, etwa wenn Pädagogen kurzfristig für erkrankte Kollegen einspringen müssen. In der Regel gilt, dass bis zu drei Unterrichtsstunden monatlich zusätzlich zum eigentlichen Wochenstunden-Soll zu leisten sind, ohne dass es dafür einen Ausgleich gäbe. Das Soll für Lehrkräfte entspricht je nach Schulform und Bundesland zwischen 22 und 28 Unterrichtsstunden pro Woche.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Unterrichtsstunden sind keine Zeitstunden – der zeitliche Aufwand für die Vor- und Nachbereitung kommt zum eigentlichen Unterrichtsgeschehen obendrauf. Eine Arbeitszeituntersuchung im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministeriums kam unlängst auf eine wöchentliche Belastung der Vollzeit-Lehrerinnen und -Lehrer an Grundschulen, Gesamtschulen und Gymnasien von 48 (Zeit-)Stunden und 18 Minuten wöchentlich außerhalb der Ferienzeiten.
Angesichts des sich ausweitenden Lehrermangels änderte Sachsen-Anhalt bereits im November die Regeln. Lehrer, die Überstunden angesammelt haben (mehr als 80 Unterrichtsstunden waren eigentlich nicht erlaubt, kamen trotzdem oft vor), können sich dafür Geld auszahlen lassen – pro Stunde je nach Schulform zwischen 23 und 33 Euro. Tatsächlich ist die Nachfrage der Betroffenen groß, weil sie wissen, dass das eigentlich vorgesehene Abbummeln der Überstunden im nächsten Schuljahr ohnehin kaum möglich sein wird. Entsprechend kritisch sieht die GEW das Auszahlungsmodell. „Wenn Lehrer wegen Überlastung aussetzen müssen, hilft auch das zusätzliche Geld auf dem Konto nicht weiter“, so heißt es bei der Gewerkschaft.
“Kleiner Schritt” gegen den Unterrichtsausfall
Das hindert Thüringen allerdings nicht daran, die Regelung des Nachbarn zu übernehmen. Nach dem Willen von Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sollen sich auch Lehrer in Thüringen ihre Überstunden bald auszahlen lassen können. Das Thema sei Bestandteil der Verhandlungen über den Landeshaushalt 2020, teilte das Ministerium mit. Holter bezeichnete das Vorhaben neben den größeren Maßnahmen als einen der „kleinen Schritte“, um dem Unterrichtsausfall entgegenzuwirken. „Da brauchen wir mehr Flexibilität“, erklärte er. Aus der Praxis werde zu Recht darauf hingewiesen, dass bei den Überstunden der Lehrer „ein Abbummeln kaum möglich ist“. Hier beugt sich die GEW offenbar dem Sachzwang. Der Vorrang des Freizeitausgleiches müsse aufgegeben werden, erklärte die Landesvorsitzende Kathrin Vitzthum. Dies sei gerade in Zeiten des hohen Unterrichtsausfalls geboten.
Auch Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) will Lehrer dazu bringen, Überstunden zu machen. Nach einem Bericht der „Stuttgarter Nachrichten“ sollen diese entweder gleich bezahlt oder in einem Vorgriffmodell in späteren Jahren wieder abgebaut werden. „Die Rückmeldungen von Lehrkräften zeigen mir deutlich, dass beide Angebote auf Interesse stoßen“, sagte Eisenmann dem Blatt. Die Kultusministerin will dem Bericht zufolge das Angebot aber nicht allen 117.000 Lehrkräften im Land unterbreiten, sondern nur in Gegenden und Bereichen, wo Mangel herrscht: Momentan seien 560 Lehrerstellen nicht besetzt. Darunter sind 300 an Grundschulen und viele im ländlichen Raum. Einen hohen Bedarf gebe es auch für naturwissenschaftliche und technische Fächer an den weiterführenden Schulen und Berufsschulen.
Dem Bericht zufolge hat das Finanzministerium Bedenken gegen das Bezahlen von Überstunden. Eisenmann will aber verhandeln und die bezahlte Mehrarbeit bereits zum kommenden Schuljahr anbieten.
In anderen Bundesländern ist man offenbar geräuschlos längst zum Bezahlmodell übergegangen – wie in Nordrhein-Westfalen. So erklärt das NRW-Schulministerium laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“, Freizeitausgleich sei „im Schuldienst in der Regel nicht möglich. Weil dadurch Unterrichtsausfall an anderer Stelle verursacht würde, wird Mehrarbeit überwiegend vergütet”. Ähnlich verhalte es sich in anderen Bundesländern. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
STUTTGART. Gerhard Brand, Landesvorsitzender des VBE Baden-Württemberg, mahnt, „dass ein Modell der freiwilligen Überstunden „auf keinen Fall dazu führen darf, die reguläre Arbeitszeit von Lehrkräften durch die Hintertür zu erhöhen“. Oberstes Primat müsse „die Freiwilligkeit sein“.
Der VBE fordert daher, dass für jede Lehrkraft, die freiwillig Überstunden leisten will, ein Einzelvertrag über die genauen Konditionen abzuschließen ist. Außerdem muss geklärt sein, was passiert, wenn es in der Rückgabephase zu Komplikationen kommt, eine Lehrkraft etwa krankheitsbedingt aus dem Dienst ausscheidet. In solchen Fällen muss klar sein, dass die betreffende Lehrkraft für ihre freiwillig geleisteten Überstunden dennoch entlohnt wird. Keinesfalls darf das Land das Geld selbst einbehalten.
Da das Angebot, freiwillige Überstunden zu leisten, auf Lehrkräfte einen gewissen Druck ausüben kann, einer solchen Forderung nachzukommen, muss aus Sicht des VBE zudem unbedingt der Personalrat eingebunden werden.
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