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Sachsen zieht rassistisches Unterrichtsheft aus dem Verkehr – ein Einzelfall? Debatte um Antisemisitmus in Schulbüchern weckt Zweifel

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DRESDEN. Wie viel versteckter Rassismus lässt sich in Unterrichtsmaterialien finden? Das sächsische Kultusministerium hat nun laut einem Bericht von „Spiegel online“ ein älteres Arbeitsheft verboten, in dem von „negriden“, „europiden“ und „mongoliden Rassekreisen“ die Rede ist – spricht aber von einem „Einzelfall“. Ist das so? Die Debatte um Antisemitismus in Schulbüchern, die vor einigen Monaten für Aufregung sorgte, weckt zumindest Zweifel, ob die Einordnung rassistischer Vorurteile immer so gelungen ist.

Mit diesen Fotos wurden angebliche “Rassemerkmale” vermittelt. Sreenshot: Twitter

Welche Augen-, Gesichts- und Haarformen gehören zu welchen „Rassekreisen“? Mit solchen Fragen mussten sich Zehntklässler von sächsischen Oberschulen beschäftigen – noch in diesem Schuljahr. Zur Einordnung wurden ihnen im Heft „Naturwissenschaften: Biologie, Chemie, Physik – Farben” vermeintliche  Rassemerkmale genannt und Fotos angeblich typischer Vertreter vorgeführt. Über die angeblichen Angehörigen eines „Mongolischen Rassekreis“ erfuhren die Schüler: „Gelbton der Haut, untersetzter Körperbau mit langem Rumpf, flaches Mittelgesicht mit niedriger Nasenwurzel“. Zu einem „Negriden Rassekreis“ heißt es unter anderem: „breite Nasen, dicke Lippen“. Die Schüler hatten dann Fotos von Menschen anhand von Hautfarben oder Nasengrößen zuzuordnen.

Das 1998 beim früheren DDR-Verlag „Volk und Wissen“ erschienene Buch ist in dieser Form seit einigen Jahren nicht mehr im Handel erhältlich, wird aber offenbar immer noch im Unterricht eingesetzt. Jetzt soll damit Schluss sein: Das sächsische Kultusministerium wies gestern laut “Spiegel online” alle sächsischen Schulen an, ihre Bestände zu überprüfen. Das Buch dürfe nicht mehr verwendet werden. Der Cornelsen-Verlag, der den früheren DDR-Verlag „Volk und Wissen“ mittlerweile übernommen hat, gab via Twitter eine Stellungnahme heraus: „Das besagte alte Themenheft ‚Naturwissenschaften, Biologie, Chemie, Physik, Farben‘ des Verlages Volk und Wissen aus dem Jahr 1998 wird nicht mehr publiziert. Wir bedauern den abgebildeten Seitenausschnitt und billigen diesen in keiner Weise.“

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“Von antisemitischen Stereotypen geprägt”

Ist die Vermittlung rassistischer Vorurteile in Unterrichtswerken tatsächlich ein Einzelfall? Nein – meint jedenfalls Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. „Es gibt dort zuweilen Bilder, die von antisemitischen Stereotypen geprägt sind und damit eher an den ‚Stürmer‘ erinnern, als dass sie eine sachliche Darstellung bieten würden“, so erklärte Schuster im vergangenen August mit Blick auf das judenfeindliche Nazi-Propagandablatt. Zwar würden heute verbesserte Auflagen produziert. Trotzdem fänden sich die alten Schulbücher oft noch viele Jahre in den Schulen und würden weiter benutzt.

Bilder wie im „Stürmer“? Das halte er für „völlig übertrieben“, sagte Ulrich Bongertmann, Vorsitzender des Verbands deutscher Geschichtslehrer, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“. Dabei hält auch er laut Bericht die Darstellung von Juden in Schulbüchern für verbesserungswürdig. Immer wieder, sagt er, tauchten antisemitische Klischees auf. Zudem gebe es die Tendenz, Juden als Opfer darzustellen – und nicht als Akteure der deutschen Geschichte.

Tatsächlich durchzieht dies „die  gesamte  Darstellung  der  Juden“ in Geschichtsbüchern, wie eine Studie des Georg-Eckert-Instituts für Schulbuchforschung  ergeben hat. „Selbst  gut  gemeinte Hinweise  auf  integrative  wirtschaftliche  und  kulturelle  Leistungen  von  Juden,  die  im  Schulbuch  beschrieben  werden, dienen zugleich  als  Begründung  für  antisemitische  Abwehrhaltungen  in  der  nichtjüdischen  Bevölkerung   und  werden damit  nicht  positiv besetzt.“ So wandele sich die die „Sozialneid-These“, die den Antisemitismus mit dem angeblichen Reichtum „der“ Juden begründet, von einer Erklärung antisemitischer Haltungen schnell zu deren Legitimation.

„Die Gefühle der Schüler stehen quasi auf der Seite der Neider, die sie besser zu verstehen glauben als die Juden, die den Neid hervorrufen würden“, so heißt es in der Studie. Dem könne mit einer ausführlichen – aber eben leider oft fehlenden – Schilderung der Vielfalt  jüdischen Lebens entgegengewirkt  werden. da  so  Verständnis, Einsicht  und  Empathie für  das  Handeln der Juden in einer sie zum Teil ablehnenden Mehrheitsgesellschaft geweckt würden. Natürlich gab es immer auch arme Juden. Davon erfahren die Schüler aber nichts. Agentur für Bildungsjournalismus

Wissenschaftlicher Hintergrund

Zum Begriff der Menschenrassen heißt es im Biologie-Lexikon von Spektrum.de:

  • „Die heute lebenden Menschen stimmen zu 99,9 Prozent in ihren DNA-Sequenzen überein. Alle denkbaren genetischen Unterschiede betreffen also nur 1 Promille der genetischen Substanz.“
  • „Unterschiede zwischen Populationen des Menschen können zwar statistisch erfasst werden, sie sind aber entweder zu gering oder zu unbedeutend, um nach den Maßstäben der zoologischen Systematik Unterarten („Rassen“) unterscheiden zu können. Zwischen europäischen und asiatischen Populationen können statistisch signifikante genetische Differenzen festgestellt werden, aber auch zwischen Norddeutschen und Süddeutschen oder gar zwischen den Bevölkerungen verschiedener Stadtteile derselben Stadt.“
  • „Die auf Oberflächenmerkmalen beruhenden, typologisch erfassten Unterschiede sagen wenig oder nichts über die genetische Nähe oder Distanz von Menschen aus. Der größte Teil der genetischen Unterschiede ist nicht zwischen den geographischen Gruppen, sondern zwischen den Individuen ein und derselben Population zu finden.“

Die schärfste Zuspitzung und Radikalisierung erfuhr das rassenbiologische Denken im Nationalsozialismus, so heißt es in „Wikipedia“: „Dort war es nicht nur Bestandteil der Propaganda, sondern ein zentraler Punkt der Ideologie und der betriebenen Politik. Adolf Hitlers Buch Mein Kampf enthielt ein umfangreiches Kapitel über Eugenik, und den von ihm entfesselten Krieg einschließlich der sogenannten Konzentrationslager betrachtete er als einen Überlebenskampf zwischen Rassen.“

Unterrichtsmaterial für die 10. Klasse: Aufregung um altes Bio-Heft mit “Rassenlehre”

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