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Was macht einen guten Lehrer aus – und was eine gute Schule? Precht provozierte auf der didacta Digital. Und erntete Applaus

LINZ. Der Philosoph Richard David Precht trat auf der didactia Digital Austria auf – um Lehrern die Leviten zu lesen. Passend zum Messethema nahm er die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung in den Fokus. Die gute Nachricht: Lehrer und Erzieher werden auch künftig gebraucht. Die schlechte: Die Schulen sind heute noch kaum dafür gerüstet, den absehbaren Herausforderungen zu begegnen.

Mit Charme brachte Richard David Precht seine Botschaften ans Publikum. Foto: Gregor Fischer/ re:publica / Wikimedia Commons / (CC BY-SA 2.0)

Precht zieht. Bei seinem Auftritt auf der didactia Digital Austria, die am Wochenende zu Ende ging, drängelten sich im großen Saal des Linzer Design Centers Hunderte von Menschen, um sich den Vortrag des fernsehbekannten Philosophen und Beststeller-Autoren anzuhören, der sich (wie sollte es auf einer Bildungsmesse anders sein?) mit einem seiner Lieblingsthemen zu Wort meldete: einer Generalabrechnung mit dem traditionellen Schulsystem deutscher und österreichischer Prägung. Die Pointe vorweg: Obwohl Precht nichts Geringeres als eine Bildungsrevolution forderte („Das Schulsystem ist in einer Zeit entstanden, als die Verantwortlichen nichts von Kindern wussten und vor allem funktionierende Untertanen brauchten“), erntete er für seine mutigen, aber umstrittenen Thesen langen Applaus. Wohlgemerkt: Das Publikum bestand größtenteils aus Lehrern und Erziehern.

Precht hatte zu Beginn seiner Ausführungen keinen Zweifel daran gelassen, dass die Welt – und mit ihr die Schulen – vor einer Zeitenwende stehen. „Eins ist sicher: Wir leben in revolutionären Zeiten“, befand der Publizist mit Blick auf das Messethema: Digitalisierung. Technischer Fortschritt sei der größte Motor in der Geschichte der Menschheit und (anders als zum Beispiel politische Umwälzungen) unumkehrbar.

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Das Zeitalter der Industrialisierung sei gerade mal 200 Jahre alt, habe die bürgerliche Lohnarbeits- und Leistungsgesellschaft hervorgebracht – und stehe nun möglicherweise vor ihrem Ende. Maschinen ersetzten nicht mehr „die Hand“, sondern „das Gehirn“. Intelligente Systeme, die selbstständig lernfähig sind, werden zunehmend in Bereiche drängen, die bislang hochqualifizierten Menschen vorbehalten sind. „Zwar ist es nicht Aufgabe der Schule, Kinder passgenau für die Wirtschaft zu formen“, erklärte Precht, „aber es wäre fahrlässig, das völlig aus dem Blick zu nehmen“.

Studien zur Zukunft der Arbeit kämen zu dem Schluss, dass gut die Hälfte der heute noch bestehenden Beschäftigungsverhältnisse ein großes Risiko trage, wegrationalisiert zu werden. Auch die Bildungsbranche sei von solchen Vorhersagen betroffen. So gebe es Zukunftsforscher, die bereits in absehbarer Zeit Roboter an der Stelle von Lehrern und Erziehern sähen – er, Precht, allerdings nicht. Zwar sei richtig, dass reine Wissensvermittlung künftig besser durch Maschinen erfolgen könne. Sogenannte „Empathieberufe“ aber, bei denen es eben in mindestens ebensolchen Maße um Gefühle gehe, würden künftig sogar stärker nachgefragt werden. Und dazu zählen eben Lehrer und Erzieher.

Was bedeutet dieser Befund für die Bildungsdebatte? Zumeist die Forderung, in der Schule verstärkt Kreativität zu fördern, betonte Precht. Darin seien sich dann schnell alle einig. Der Philosoph warnte allerdings vor einem verkürzten Kreativitätsbegriff. So verstünden Digitalminister unter Kreativität zumeist nur  einen sicheren Umgang mit der Informationstechnologie, die sogenannte Problemlösungskompetenz. Ein Großteil der Kreativität habe aber mit Problemen und Lösungen gar nichts zu tun. „Welche Probleme haben denn Mozart und Rembrandt gelöst?“, fragte Precht.

Prechts Gegenbild: Harry Potters Schule

Um sich dann der Schule zu widmen, wie sie (noch) ist, aber nicht sein sollte: eine Schule aus dem „preußischem Sozialismus“ des 19. Jahrhunderts, in der alle Schüler zur gleichen Zeit das Gleiche lernen sollen. Prechts Gegenbild: Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei aus der Welt von Harry Potter. Die ist in vier Häuser aufgeteilt, die in spielerischer Konkurrenz zueinander stehen – für Precht eine kindgerechte Art, Grundwissen zu vermitteln. Dann aber, nach einigen Jahren der Grundbildung, solle sich eine „Interessensseparation“ anschließen, eine Trennung der Schülerschaft nach Neigung und Talent. Ohne diese würden viel zu viele Schüler mit Themen gequält, für die sie weder ein Herz hätten, noch dass sie sie jemals benötigen würden.

Beispiel Sprachen. Precht: „Kein Mensch lernt irgendeine Sprache, indem er Wissen über ihre Grammatik ansammelt. Das braucht kein Mensch.“ Als Beleg forderte er das Publikum zum Handzeichen auf: Wer wisse, zu welcher Wortgruppe der Begriff „manche“ gehöre? Ein einziger wusste es: ein Pronomen. Beispiel Chemie. Wer könne den Begriff „Molmasse“ erklären? Auch hier: eine Wortmeldung („Molekulargewicht in Gramm“).

Precht lächelte siegesgewiss – na, bitte. Wenn’s nicht mal Lehrer präsent haben, wie sollen Schüler sich solches Wissen dauerhaft aneignen? „Wissen Sie, warum Sie diese Sachen vergessen haben“, fragte Precht, um sogleich zu antworten: „Weil Sie von Anfang an gewusst haben, das brauchen Sie nicht.“ Statt Schüler beispielsweise mit Jambus und Trochäus zu quälen, sollten Lehrer lieber „echte Dichter“ in die Schulen holen, um die Schüler anzusprechen, die sich auch tatsächlich für Literatur interessieren. Das würden die dann ihr Leben nicht vergessen. Minutenlanger Beifall.

Epilog. Precht, der früher auch als Lehrerausbilder tätig war, ließ das Publikum wissen, was aus seiner Sicht einen guten Lehrer ausmacht. Durch die Fachdidaktik jedenfalls werde man’s nicht (“Sie werden auch kein guter Liebhaber dadurch, dass Sie einen Sexualkundeatlas auswendig lernen”). Dadurch, dass man Kinder mag? “Glaube ich auch nicht.” Ein guter Lehrer, so Precht, wird nur ein Mensch, dem andere gerne zuhören. Andrej Priboschek / Agentur für Bildungsjournalismus

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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