LINZ. Die größte Bildungsmesse der Welt, die deutsche “didacta”, hat einen neuen Ableger: die “didacta Digital Austria”. Die Alpenrepublik präsentiert sich – abseits der aktuellen politischen Wirren – als überaus empfänglich für Innovationen, die mithilfe der IT in die Schulen getragen werden. Ein Vorbild für Deutschland?
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz kam doch nicht. Auch Bildungsminister Heinz Faßmann hatte seine Teilnahme kurzfristig absagen müssen. Augenscheinlich nehmen die aktuellen Regierungswirren die Spitzenpolitiker der Alpenrepublik so sehr in Anspruch, dass ihnen keine Zeit für einen Messebesuch bleibt. Gleichwohl: Die ursprünglichen Zusagen von Kurz und Faßmann für Auftritte auf der „didacta Digital Austria“ in Linz lassen schon erkennen, wie hoch Österreich das Thema digitale Bildung hängt. Zum Vergleich: Seit Jahren macht die jeweils amtierende Bundesbildungsministerin einen großen Bogen um die didacta in Deutschland, zuletzt mit 100.000 Fachbesuchern – vor allem Erziehern und Lehrern – immerhin die größte Bildungsmesse der Welt.
“Chief Digital Officer” im Bildungsministerium
Jetzt gibt’s also einen auf das Thema Digitalisierung spezialisierten didacta-Ableger in Austria – nicht zuletzt deshalb, wie didacta-Hauptgeschäftsführer Reinhard Koslitz versicherte, weil sich die Politik so liebevoll um das Projekt gekümmert habe. Die war denn auch immer noch prominent vertreten: in Gestalt der Digitalisierungsministerin Margarete Schramböck sowie der „Chief Digital Officer“ (so der offizielle Titel im titelverliebten Österreich) aus dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Heidrun Strohmeyer. Auch hier lohnt ein Vergleich mit dem Nachbarn Deutschland: Der hat zwar nach langem Gewürge den Digitalpakt endlich auf die Gleise gebracht – einen eigens benannten Digitalbeauftragten, der die Konzepte der Bundesländer zur Digitalisierung der Schulen koordiniert, sucht man im Berliner Bundesbildungsministerium jedoch vergebens.
Tatsächlich hat Österreich Deutschland in Sachen Digitalisierung der Schulen längst abgehängt. Wie eine repräsentative Umfrage im vergangenen Jahr einem Bericht der „Presse“ zufolge ergab, sind 70 Prozent der Schüler, 68 Prozent der Lehrer und sogar 75 Prozent der Eltern mit der technischen Ausstattung in der Schulen „zufrieden“ oder sogar „sehr zufrieden“ – Werte, von denen deutsche Bildungspolitiker nur träumen können. Dabei hat die Alpenrepublik nicht mal überaus viel Geld in die Hand genommen, um ihre über 6.000 Schulen mit Informationstechnologie auszustatten. Wien ist vielmehr pragmatisch vorgegangen – und setzt vor allem auf schülereigene Geräte. So arbeiten im Unterricht nur zwölf Prozent der Schüler mit schuleigener Technik. Aber mehr als die Hälfte nimmt den eigenen Laptop in die Schule mit. Probleme bereitet das praktisch nicht (anders als in Deutschland befürchtet wird). Die allermeisten Familien übernehmen die Finanzierung klaglos.
Darüber hinaus hat das Bildungsministerium beim Unterricht Nägel mit Köpfen gemacht – und das Fach „Digitale Grundbildung“ eingeführt mit jeweils zwei Wochenstunden in den Jahrgangsstufen 5 bis 8. Dafür gebe es einen eigenen Lehrplan, so Strohmeyer, der von der Medienbildung, über den sicheren Umgang mit dem Smartphone bis hin zum Programmieren alles vorsieht, was zu den sogenannten „21. Century Skills“ gehöre – und das auch noch kollaborativ, kommunikativ und kreativ. Kein Wunder also, dass sich für die insgesamt mehr als 100 Aussteller zahlreiche Anknüpfungspunkte zur schulischen Praxis bieten, um mit den Besuchern – vor allem Lehrern und Schulleitungen – ins Gespräch zu kommen.
Zwei deutsche Hochschulen – die Universität des Saarlandes und die Universität Osnabrück – präsentieren eine Ausstellung „Digitale Innovationen“, in der Prototypen für Lernsoftware ausprobiert werden können. Mittels VR-Brillen („virtual reality“ – virtuelle Realität) lässt sich die Grabkammer der ägyptischen Königin Nefertari erkunden oder in einer Rakete durch einen digital animierten Weltraum fliegen. Auch zahlreiche Newcomer sind vertreten. Auf der Start-up-Area von eduvation zeigen rund 20 junge Unternehmen ihre Angebote, von der Geschichtsapp „History Voices“ über das „robo wunderkind“ , mit dem sich spielerisch Programmieren lernen lässt, bis hin „brainyou“ fürs mobile Lernen zwischendurch und zur Kommunikationsplatform „Sdui“ für Lehrer, Eltern und Schülern, die aus einem Jugend-forscht-Projekt erwachsen ist. Als Partner von eduvation ist die Agentur für Bildungsjournalismus, Herausgeber von News4teachers, ebenfalls auf der Start-up-Area vertreten.
Paradiesische Bedingungen also fürs digitale Lernen in Österreich? Noch nicht ganz. Die Bereitschaft der Lehrer, sich auf die neuen Lernmedien einzulassen, ist zwar nach eigenem Bekunden groß. So gaben bei der Umfrage 87 Prozent der Lehrer an, sich zu bemühen, diese in ihrem Unterricht einzusetzen. Allerdings sehen das viele Schüler noch anders: Nur 45 Prozent von ihnen können die Bemühungen ihrer Lehrer auch erkennen. Ebenfalls beklagen Österreichs Lehrer, dass ihnen digitale Grundfertigkeiten kaum vermittelt werden. Drei von vier Pädagogen fühlen sich durch Aus- und Weiterbildung eher schlecht auf die Digitalisierung vorbereitet. Das erinnert dann doch wieder an Deutschland. Andrej Priboschek / Agentur für Bildungsjournalismus
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