Website-Icon News4teachers

Experiment: Gendergerechte Sprache schadet dem Textverständnis nicht

BRAUNSCHWEIG. Um geschlechtergerechte Sprache wird seit Jahrzehnten heftig gerungen, oft ideologisch hochgradig aufgeladen. Braunschweiger Wissenschaftler haben nun in einem Experiment herausgefunden, dass geschlechtergerechte Sprache durch Beidnennung der Geschlechter der Verständlichkeit von Texten nicht schadet. Allerdings ist kaum zu erwarten, dass damit ein Schlusspunkt unter die Debatte gesetzt wird. Auch die Bedeutung für die Schule bleibt offen.

Geschlechterrollen werden schon früh besetzt. Foto: Shutterstock

Keine Autorin und kein Autor kann sich heutzutage der Frage entziehen, wie sie oder er es mit den Geschlechtern hält. Viele Texte beginnen mit Generalklauseln wie „Aus Gründen der Verständlichkeit werden im Text nur männliche Formen verwendet. Frauen sind selbstverständlich immer mitgemeint.“ Auch News4teachers benutzt wegen der besseren Lesbarkeit häufig die männliche Form für beide Geschlechter betreffende Bezeichnungen (News4teachers berichtete).

Befürworter des sogenannten „generischen Maskulinums“ argumentieren im Allgemeinen, dass es eine im Deutschen gut etablierte Regel sei, männliche Formen zu verwenden und dass die Texte dadurch einfacher und verständlicher würden. Die Befürworter geschlechterbewusster Sprache argumentieren hingegen, dass die Verwendung männlicher Formen für beide Geschlechter die Rechte, Interessen und Leistungen von Frauen weniger sichtbar macht.

Anzeige

In einer Studie sind Dr. Marcus Friedrich und Prof. Elke Heise von der TU Braunschweig der Sache auf den Grund gegangen. Tatsächlich belegten zahlreiche Studien, so die Wissenschaftler in einer Pressemeldung, dass die Verwendung männlicher Formen bei den Lesenden vor allem Vorstellungen von Männern hervorrufe. Wenn im Text hingegen sowohl männliche als auch weibliche Formen oder neutrale Formen verwendet werden, rufe dies deutlich ausgewogenere Vorstellungen von Männern und Frauen hervor.

Das hat zum Teil weitreichende Folgen. Experimente zeigten zum Beispiel auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau für eine Position im Management als passend und geeignet angesehen wird, signifikant höher ist, wenn in der Stellenausschreibung sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet wird – verglichen mit einer identischen Stellenausschreibung, die nur männliche Formen verwendet.

Friedrich und Heise haben mit einem Experiment geprüft, ob geschlechterbewusste Sprache Texte tatsächlich weniger verständlich macht. Untersucht wurde ein authentischer Stromliefervertrag eines deutschen Stromversorgers. Der Original-Text besteht aus 938 Wörtern und verwendet nur männliche Formen. An 39 Stellen steht „Kunde“, „Kontoinhaber“ oder „er“. Um den Text in eine geschlechterbewusste Sprache zu übersetzen, wurden diese Stellen einfach systematisch durch sogenannte Beidnennungen ersetzt, z. B. „Kunde oder Kundin“. Dieser Text besteht aus 1.013 Wörtern.

Zwei Experten für Textverständlichkeit bewerteten allerdings bereits den Originaltext als unnötig kompliziert. Sie erarbeiteten daher eine verständlichere Version des Originaltextes, die Anzahl der Wörter erhöhte sich dadurch auf 1.364. Auch von dieser optimierten Version des Stromliefervertrags wurde eine geschlechterbewusste Version erzeugt mit 1.519 Wörtern.

In einem Experiment wurde dann 355 Studierenden per Zufall eine der vier Versionen des Stromliefervertrags vorgelegt. Anschließend bewerteten die Versuchspersonen die Verständlichkeit des Textes, den sie vorher gelesen hatten. Im Ergebnis fanden sich keine Unterschiede zwischen den Versionen, die nur männliche Formen verwendeten, und den Versionen, die sowohl männliche als auch weibliche Formen verwendeten.

Es zeigten sich allerdings große Unterschiede zwischen den zwei Versionen des Original-Textes und den beiden optimierten Versionen: Die optimierten Versionen wurden als deutlich verständlicher bewertet. Die Ergebnisse stünden im Einklang mit früheren Studien zum Einfluss geschlechterbewusster Sprache und Textverständlichkeit und sprächen dafür, dass eine geschlechtergerechte Sprache – durch Beidnennungen – Texte nicht unverständlicher macht.

Ähnliche Ergebnisse auch bei Schülern?

Friedrich und Heise sind sich bewusst, dass mit dem Experiment noch kein Schlusspunkt um die Debatte über geschlechterbewusste Sprache gesetzt ist. Dazu etwa, inwieweit weitgehendere geschlechtsneutrale Formen, die der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten stärker Rechnung tragen, einen Einfluss auf die Verständlichkeit von Texten haben, äußerten sich Friedrich und Heise in der Meldung zur Studie nicht explizit. Hinzu kommt, dass Elemente wie das Gendersternchen oder das Binnen-I, den Lesegewohnheiten stärker zuwider laufen als die Benutzung männlicher oder weiblicher Benennungen.

Doch auch bei einer Beschränkung auf den männlich-weiblich Dualismus stehen die Befürworter des „generischen Maskulinums“ noch nicht auf verlorenem Posten. Auch den Unterschied zwischen Verständlichkeit und Lesbarkeit thematisieren allenfalls am Rande. Gerade im schulischen Zusammenhang, kann jedoch auch die Lesbarkeit eines Textes ein entscheidender Faktor sein. Ob Schüler in gleicher Weise wie Studenten auf unterschiedliche Versionen von Texten reagieren, ist ebenfalls mit dem Experiment noch nicht geklärt. Die Ergebnisse sollen daher in Zukunft mit Schülern und anderen Personengruppen noch einmal geprüft werden. (zab, pm)

• Die Ergebnisse der Studie wurden in der aktuellen Ausgabe des „Swiss Journal of Psychology“ veröffentlicht und können kostenpflichtig heruntergeladen werden.

GEW fordert geschlechtergerechte Sprache schon in der Schule. Wie in Hannover: Dort nutzt die Verwaltung ab sofort das Gendersternchen

Die mobile Version verlassen