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Digitalkritiker Prof. Lembke im Interview: “Der Einsatz von digitalen Medien kann die Lerneffekte von Schülern, wenn überhaupt, nur eingeschränkt fördern”

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KAISERSLAUTERN. Um ein Interview miit Gerhard Lembke zu bekommen, muss man sich online in seinem Terminkalender anmelden. Auch hat man die Wahl, ob man das Gespräch telefonisch führen möchte – oder per Videokonferenz. Zeigt: Deutschlands schärfster Kritiker der Digitalisierung in Schulen ist durchaus kein digitaler Asket. Wie auch? Lembke ist schließlich Professor für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. Trotzdem schreibt er Bücher wie “Verzockte Zukunft”, in denen er vor den Folgen der Digitalisierung in der Bildung warnt. Kommende Woche tritt Lembke vor Lehrerausbildern beim Seminartag des Bundesarbeitskreises (bak) Lehrerbildung in Kaiserslautern auf. Wir sprachen mit ihm im Vorfeld.

Warnt vor den Folgen einer ungebremsten Digitalisierung der Schulen: Prof. Gerhard Lembke. Foto: privatr

News4teachers: Sie gelten als Deutschlands schärfster Kritiker von digitaler Bildung in der Schule. Medienkompetenz, also ein reflektierter und kritischer Umgang mit Medien, gilt als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts. Kann man Medienkompetenz ohne digitale Medien lernen?

Lembke: Medienkompetenz braucht nicht zwingend und automatisierend digitale Medien. Denn das, was für einen reflektierten und kritischen Umgang mit digitalen Medien benötigt wird, sind kognitive Fähigkeiten, eingebunden in vorhandenes Kontextwissen. Insofern: Medienkompetenz richtet sich zwar an Umgang mit Medien und deren aktiven Einsatz von Medien aus, ohne Frage, aber die Prozesse, die relevant sind, das sind doch tatsächlich basale, kognitive,  intellektuelle Leistungen, die erst einmal gelernt werden müssen, damit dann Medien sinnvoll bewertet und genutzt werden können.

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News4teachers: Vielfach wird beklagt, dass angehende Lehrerinnen und Lehrer nicht gut auf die Digitalisierung vorbereitet sind. Wie ist Ihre Einschätzung?

Lembke: Ich sehe das genauso – ob bei Vorträgen oder auch wenn ich an PHs unterwegs bin und dort mit dem Nachwuchs und den Fachleuten spreche, auch wenn ich die Klientel selber erlebe, dann nehme ich wahr, dass die jungen Leute von der Nutzung von digitalen Medien überaschenderweise nicht überzeugt sind. Ich spüre dort einen natürlichen Instinkt, dass diese Digitalisierung wohl doch nicht so der Bahnbrecher für einen guten Unterricht ist.

News4teachers: Das müsste Ihnen doch aus dem Herzen sprechen …

Lembke: Das spricht mir insofern aus dem Herzen, als dass ich die Auffassung vertrete, dass der Einsatz von digitalen Medien die Lerneffekte von Schülerinnen und Schülern, wenn überhaupt, nur eingeschränkt fördern können.

News4teachers: Kann es denn trotzdem aus Ihrer Sicht einen sinnvollen Einsatz digitaler Medien im Unterricht geben?

Lembke: Wenn die oben angesprochenen kognitiven, intellektuellen Fähigkeiten, erlernt, trainiert und sozialisiert sind – also in den mittleren bis höheren Altersstufen ab etwa zwölf bis 15 Jahren -, dann lassen sich digitale Medien begleitend einsetzen. Ich tue das selber ja auch in meiner Praxis als Hochschullehrer, indem ich Teile einer Vorlesung mit dem iPad gestalte. Ich zeige Videos und ich drehe auch selber welche, doch der Einsatz ist stets gezielt und niemals vorlesungsdominierend. Letztendlich ist es für meine Praxis mit Studierenden nur eine pädagogische Methode neben vielen anderen.

News4teachers: In der Grundschule und in der Sek I ist für Sie die Digitalisierung überflüssig oder sogar schädlich?

Lembke: Ich sehe das als eine vom Alter und der persönlichen Entwicklung abhängige Entscheidung. Bei Sechsjährigen in der Grundschule, in der ersten Klasse, bin ich der festen Überzeugung, haben digitale Medien nichts zu suchen. Hier sollte eine persönlichkeitsentwickelnde Pädagogik im Vordergrund stehen. Später, in der fortführenden Schule, wenn die Schülerinnen und Schüler zehn, elf sind, können diese langsam und altermäßig steigend eingesetzt werden – aber eben achtsam in Tempo und Umfang.

Vielleicht kann man auch in der fünften, sechsten Klasse zunächst noch auf digitale Medien verzichten. Meine Tochter kommt jetzt auf eine fortführende Schule. Da wird die zweite Fremdsprache auch erst in der sechsten Klasse eingeführt, warum nicht in der Fünften? Da sagt meine Direktorin: „Naja, weil in der fünften Klasse das Sprachgefühl und auch die kognitive Leistungsfähigkeit für eine zweite Fremdsprache noch nicht da ist.“ Und bei digitalen Medien ist das genauso.

Nichtsdestotrotz hängen dort im Klassenraum der Fünftklässler LCD-Bildschirme, auf denen dann auch mal elektronisch englische Vokabeln präsentiert werden. Da spricht nichts dagegen, das muss man nicht verteufeln. Aber man sollte doch deutlich Abstand davon nehmen, das zu glorifizieren und zu sagen: „Mit der Digitalisierung, mit den digitalen Medien, wird nun Schule und Lernen besser.“ Es wird vielleicht moderner und bedient eine politische Interessenlage, vielleicht gewinnt man damit auch Wählerstimmern, aber Lernen wird mit digitalen Medien kaum besser. Ganz im Gegenteil, die Risiken des Digitaleinsatzes wachsen, je mehr sie eingesetzt werden.

News4teachers: Brauchen dann Lehrerausbilder, vor denen Sie in der kommenden Woche beim Seminartag des bak Lehrerbildung sprechen, aus Ihrer Sicht überhaupt digitale Kompetenzen?

Lembke: Ja, sie brauchen auf jeden Fall digitale Kompetenzen. Denn nur dann, wenn sie Erfahrungen mit digitalen Medien erworben haben, können sie reflektiert damit umgehen. Ich distanziere mich von einer Pauschalisierung, entweder: alles raus in der Lehrerausbildung oder: es muss alles rein. Beides ist nicht richtig. Aber die Digitalisierung muss endlich konstruktiv und diskursiv diskutiert werden. Das Thema muss vom Modernisierungsparadigma entkoppelt werden. Dann sollte jede Lehrerin und jeder Lehrer den Versuch unternehmen, mit digitalen Medien einen wirklich guten Unterricht noch besser zu machen.

Nur wenn ein Lehrer mit bewährten pädagogischen Methoden im Klassenraum top performt, wird der digitale Medieneinsatz als weitere pädagogische Methode ein Hilfsmittel sein. Und das ist abhängig vom Fach. Es ist abhängig von der Schulform. Es ist abhängig von der Altersgruppe, vom Alter der Schülerinnen und Schüler. Es ist abhängig vom eigenen didaktischen Ansatz. Und es ist auch abhängig davon, wie versiert ein Lehrer beim Einsatz verschiedener pädagogischer Methoden  ist – und nicht nur auf eine schwört: nur frontal, nur Projektunterricht oder nur digital.

News4teachers: Allgemein sind die Erwartungen an die Digitalisierung der Schulen recht hoch – von Seiten der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft jedenfalls. Wie sind Ihre?

Lembke: Wahrscheinlich ist diese Digitalisierung, also die flächendeckende Informationstechnisierung in den pädagogischen Prozessen, gar nicht mehr zu stoppen. Es wird von politischer Seite extrem viel Geld in die Digitalisierung der Schulen investiert, auch in weiterer Zukunft. Sie wird von allen Seiten, auch von der Wirtschaft, massiv gefordert. Die Entwicklung wäre schon längst mal gestoppt worden, wenn die Protagonisten in den Entscheidungsgremien den wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen würden. Denn die sind eindeutig: dass der Einsatz von digitalen Medien Lernen im Klassenraum nicht besser macht.

Irgendwann werden wir einen Teil, vielleicht sogar den größten, robotisierten Unterricht haben. Viele Projekte, die von der EU im Forschungsbereich ausgeschrieben werden, gehen in Richtung des Roboterlernens („machine learning“). Es wird massiv viel Geld in diese Forschung gesteckt.  Daher werden wir wahrscheinlich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft bekommen. Es wird Schulen des Massenlernens geben, die stark elektronisch organisiert sind. Lernen wird überwiegend vor einem Bildschirm stattfinden, Interaktion ausschließlich digital organisiert mit einem Roboter und einer künstlichen Intelligenz.

Demgegenüber werden wir dann eine stärker privatisierte (Aus-)Bildung haben, in denen Eltern dafür zahlen, dass ihre Kinder noch mit einem richtigen Lehrer sprechen können, der auch noch richtige pädagogische Methoden und zudem noch Empathie einzusetzen vermag. In den Schulen des Massenlernens geht es dann darum, basale Fähigkeiten wie Rechnen, Lesen und Schreiben zu vermitteln und die jungen Menschen auf eine schnellst mögliche wirtschaftliche Verwertung fit zu machen. Das Zuarbeiten für digitale Konzerne und das Konsumieren von immer mehr digitalen Gütern werden Ihren zentralen Aufgaben sein – Hauptsache bequem. In den anderen Schulen findet Lernen und Umgang mit Komplexität in einem sozialen Lernprozess statt. Diese Absolventen werden Teile unseres Land führen und sich mit den unbequemen Dingen gesellschaftlicher Entwicklung beschäftigen müssen – weil es niemand anders mehr kann. News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek führte das Interview.

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

bak-Seminartag: Die Lehrerausbildung stellt die Weichen für die Digitalisierung der Schulen – aber: In welche Richtung?

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