KÖLN. Digitale Medien lösen immer wieder eine Diskussion über den Stellenwert der Handschrift bei Kindern und Jugendlichen aus. Können sich Schüler Inhalte besser merken, wenn sie mit der Hand schreiben und schlechter, wenn sie diese mit der Tastatur oder anderen digitalen Endgeräten verfassen? Macht es einen Unterschied, ob Schüler Druckschrift oder eine verbundene Schrift lernen? Wissenschaftlich fundierte Antworten auf diese und weitere Fragen liefert das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln in einem neuen Faktencheck – der in einer eindeutigen Empfehlung mündet.
Smartphones, Tablets und andere digitale Geräte spielen im Alltag von Kindern und Jugendlichen eine große Rolle. Kritiker sehen darin eine Gefahr für die Handschrift. Sie nehmen an, dass das Schreiben mit der Hand mehr Vorteile für die Kinder und Jugendlichen mit sich bringt als das Tastaturschreiben. Der Faktencheck zeigt, dass es darauf keine eindeutige Antwort gibt. „Es gibt Hinweise darauf, dass das Schreiben mit der Hand zu besseren Gedächtnisleistungen führt und sich positiv auf die Entwicklung feinmotorischer und kognitiver Fähigkeiten auswirkt“, sagt Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator-Instituts.
Insbesondere schwache Handschreiber können aber auch vom Tastaturschreiben profitieren. In Untersuchungen verfassten Schüler, die Computer und Programme zur Textverarbeitung einsetzten, zum Beispiel längere, sprachlich richtigere und inhaltlich sinnvollere Texte. „Auf Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse ergibt es daher keinen Sinn, das Handschreiben und Tastaturschreiben gegeneinander auszuspielen. Anstatt die Entweder-oder-Frage zu stellen, sollten Lehrkräfte besser beide Techniken fördern und fordern“, betont Michael Becker-Mrotzek.
Druckschrift oder verbundene Schrift in der Schule? “Nicht entscheidend”
Der Faktencheck räumt auch mit dem Mythos auf, dass Lehrkräfte die Handschrift in einigen Staaten, etwa Finnland, gar nicht mehr unterrichten. „Die Handschrift wurde dort nicht abgeschafft“, stellt Necle Bulut, wissenschaftliche Beraterin des Mercator-Instituts und Autorin des Faktenchecks, klar. „Die Lehrkräfte bringen den Kindern immer noch die Druckschrift bei. Ihnen ist es aber freigestellt, ob sie den Kindern die Schulausgangsschrift vermitteln. Diese Regelung gilt auch für Lehrkräfte einiger Bundesländer in Deutschland.“ Bei der Schulausgangsschrift sind die Buchstaben miteinander verbunden, während sie bei der Druckschrift unverbunden nebeneinanderstehen. „Das Schreiben mit der Hand spielt in der Grundschule eine wichtige Rolle und sollte den Kindern weiterhin vermittelt werden. Ob sie aber die Druckschrift oder die Schulausgangsschrift erlernen und nutzen, ist für den Schreibprozess und die Entwicklung der Schreibfähigkeiten nicht entscheidend.“
Damit positionieren sich die Wissenschaftler in dem Streit, ob der Erwerb einer verbundenen Schrift zu einer leserlicheren, flüssigeren und persönlichen Handschrift führt oder ob es reicht, sich auf die Druckschrift zu beschränken, aus der sich dann eine persönliche Handschrift entwickeln kann. „Betrachtet man den Schreibprozess jedoch genauer und wertet die Handbewegungen aus, scheint die Unterscheidung zwischen verbundener Schulausgangsschrift und Druckschrift eher eine fiktive zu sein: Denn bei der Druckschrift verbinden die Schreibenden die Buchstaben zwar nicht auf dem Papier, dafür aber in der Luft“, so heißt es in dem Bericht.
Schüler unterscheiden zwischen Unterricht und Kommunikation mit Freunden
Weil Jugendliche gerne und häufig über internetbasierte Chatdienste kommunizieren, kommen immer wieder Bedenken darüber auf, ob sich das negativ auf ihre Schreibleistungen auswirkt. „Das muss noch eingehender untersucht werden. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Schüler wissen, dass sie in einem Deutschaufsatz zum Beispiel die Groß- und Kleinschreibung und Zeichensetzung beachten und diesen anders verfassen müssen, als eine WhatsApp-Nachricht an ihre Freunde“, sagt Dr. Necle Bulut. Der Expertin zufolge lernen die Schüler, sich den jeweiligen Anforderungen anzupassen. „Aber natürlich ist es ratsam, dass Lehrkräfte den Schülern auch im Unterricht die unterschiedlichen Ansprüche von Texten deutlich machen und sie dafür sensibilisieren, wie sie Sprache in welchen Situationen nutzen.“
Soll die Handschrift in der Schule überhaupt noch vermittelt werden? Das Fazit der Forscher fällt eindeutig aus: “Ja, die Handschrift sollte weiterhin in der Schule vermittelt werden, damit Schreiben auf einem ökonomischen Weg möglich ist, ohne dass die ausführende Hand dabei verkrampft. Das Schreiben von Notizen, das Verfassen von Texten und das Ausfüllen von Formularen sind mittels Handschrift jederzeit und ohne aufwendige Werkzeuge möglich.”
“Die Entwicklung der Handschrift ist wesentlich komplexer”
Das Erlernen der Handschrift sei aber nicht nur aus ökonomischen Gründen sinnvoll, sondern auch, weil es eine wichtige Rolle für die Entwicklung fein-motorischer und kognitiver Fertigkeiten spiele. “Denn beim Schreiben mit der Hand werden große Netzwerke im Gehirn aktiviert, die für das Lernen förderlich sind. Die Entwicklung der Handschrift ist wegen der Strichführungen im Vergleich zum Tastaturschreiben wesentlich komplexer. Auch die Haptik und Motorik unterscheiden sich in beiden Schreibfertigkeiten erheblich: Während die Schreiberin oder der Schreiber bei der Handschrift jeden einzelnen Buchstaben motorisch ausführt, sind die Bewegungen beim Tastaturschreiben für alle Buchstaben identisch. Aufgrund der benötigten Feinmotorik bei der Handschrift ist zu vermuten, dass sich durch das unterschiedliche Bewegungsempfinden beim Handschreiben die Buchstabenformen nachhaltiger im Gedächtnis einprägen. Demzufolge nützt die Handschrift über eine sichere Verknüpfung von Lauten und Buchstaben dem Schriftspracherwerb mehr als das Tippen auf der Tastatur.” News4teachers
Hier geht es zum Faktencheck des Mercator-Instituts.
Die große Mehrheit der Lehrkräfte in Deutschland sieht eine Verschlechterung der für die Entwicklung einer Handschrift notwendigen Kompetenzen beziehungsweise der Handschrift der Schülerinnen und Schüler allgemein. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) gemeinsam mit dem Schreibmotorik Institut im April veröffentlicht hat. Die Studie trägt den Titel STEP 2019 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben”).
Danach sind nur vier Prozent der befragten Lehrerinnen und Lehrer im Sekundarbereich sind mit der Handschrift ihrer Schüler zufrieden. Grundschullehrkräfte sagen, dass mehr als ein Drittel der Kinder (37 Prozent) Probleme hat, eine gut lesbare, flüssige Handschrift zu entwickeln. Lehrkräfte von weiterführenden Schulen sehen im Schnitt sogar bei 43 Prozent ihrer Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten.
In der Befragung wurde auch darauf eingegangen, ob das Schreiben mit digitalen Endgeräten geeignet ist für den Unterricht. Während über 90 Prozent der Lehrkräfte Stift und Papier als (sehr) gut geeignete Schreibmedien empfinden, tun dies mit Blick auf Tastatur und Computer 22 Prozent der Grundschullehrkräfte und 61 Prozent der Sekundarschullehrkräfte. Immerhin fast jede fünfte Grundschullehrkraft und fast die Hälfte der Sekundarschullehrkräfte findet die Kombination aus Tablet und Stift (sehr) gut geeignet. Das Smartphone fällt jedoch durch: Drei Viertel der Grundschullehrkräfte und 59 Prozent der Sekundarschullehrkräfte hält es für (sehr) schlecht bis kaum geeignet. Hier geht es zum Beitrag auf News4teachers.
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