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Macht diese Gesellschaft ihre Kinder kaputt? Immer mehr Schüler klagen über zu hohen Leistungsdruck in der Schule

MAINZ. Schüler schlagen Alarm. Die Landesvertretung der Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz (LSV) beklagt wachsenden Schulstress – und sieht zunehmend Schlafprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, Bauch- und Kopfschmerzen oder Panikattacken unter Kindern und Jugendlichen. Anfang der Woche hatte bereits die Landesschülervertretung Hessen erklärt, dass psychische Belastungen für Schüler mittlerweile ein allgegenwärtiges Thema seien. Sind das berechtigte Klagen über tatsächlich zunehmenden Druck? Nicht jeder sieht das so. Die Schülerschaft fühlt sich oftmals bei diesem Thema nicht ernstgenommen. Dabei gibt es wissenschaftliche Befunde, die wachsende Probleme bestätigen.

Auch die Hausaufgaben werden von vielen Schülern als Belastung enmpfunden – die Landesschülervertretung Hessen fordert ihre Abschaffung. Foto: Shutterstock

«Gerade jetzt, in der Klausurenphase, kommen viele kaum mehr zur Ruhe», kritisierte der LSV in Mainz. Es sei keine Seltenheit, dass der gesetzliche Rahmen von drei Kursarbeiten pro Woche voll ausgenutzt werde, erklärte LSV-Vorstandsmitglied Miriam Weber. Für den hohen Leistungsdruck sei vor allem die Schule verantwortlich. Weber fordert mehr Freiräume für Musik, Sport, Freunde und ehrenamtliches Engagement. Problemverschärfend kämen jedoch auch «erwartungsvolle und leistungsorientierte Eltern» hinzu, merkte LSV-Vorstandsmitglied Lucas Fomsgaard an. Leider würden Beschwerden meist nicht ernstgenommen. Die rheinland-pfälzische Schülervertretung fordert deshalb zunächst einmal mehr Unterstützung durch Profis: Die bisher ungenügende Schulsozialarbeit müsse weiter ausgebaut werden. Zudem sei für jeweils fünf Schulen eine psychologische Vollzeit-Fachkraft einzustellen.

Ein Schulpsychologe ist für mehr als 6.000 Schüler zuständig

Anfang der Woche war die Landesschülervertretung Hessen bereits an die Öffentlichkeit getreten (News4teachers berichtete). Die LSV verwies auf eine Umfrage unter 50.000 hessischen Schülern, wonach dass mehr als jeder Zweite in Mittel- und Oberstufe durch Hausaufgaben gestresst sei. Manche beklagten sogar Schlafstörungen oder Burnout. Nicht einmal die Hälfte erhalte Hilfe. Die Schülervertreter kritisierten, dass in Hessen ein Schulpsychologe für mehr als 6000 Schüler zuständig sei.

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Kopfschmerzen, Magendrücken und am Ende erschöpft und depressiv: Tatsächlich leiden immer mehr Schüler an psychischen Erkrankungen und klagen über Beschwerden, die keine organischen Ursachen haben. Das geht aus einer Datenerhebung der KKH Kaufmännische Krankenkasse aus dem vergangenen Jahr hervor. Rund 26.500 Sechs – bis 18-jährige KKH-Versicherte sind demnach bundesweit betroffen. Hochgerechnet auf ganz Deutschland sind das etwa 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche.

Ein zentraler Grund: Stress. Hoher Leistungsdruck durch Schule, Eltern und eine dauerbeschleunigte Gesellschaft, digitale Reizüberflutung, Mobbing in sozialen Netzwerken, Versagensängste: Viele Kinder kommen mit ihrem Leben nicht mehr klar, weil sie überfordert und verzweifelt sind, so berichtete die Krankenkasse.

Die Auswertung  ihrer Daten sei alarmierend: 2017 litten allein rund 8.300 Sechs- bis 18-Jährige unter sogenannten Anpassungsstörungen, also unter depressiven Reaktionen aufgrund körperlicher und seelischer Belastungen wie sie etwa bei hohem Leistungsdruck und Mobbing entstehen. Den größten Anstieg mit 90 Prozent im Vergleich zu 2007 gab es hier bei den 13- bis 18-Jährigen. Das zeigt laut Krankenkasse: Der Stress nimmt mit den Schuljahren und den Anforderungen zu.

Die Symptome bei Anpassungsstörungen reichen dem Bericht zufolge vom „Gedankenkarussell“ bis hin zu Frustration, Reizbarkeit und Mutlosigkeit. Von Angststörungen wie Panikattacken waren außerdem rund 3 .400 Schüler betroffen. Auch hier gab es bei den Älteren laut KKH den größten Anstieg mit 76 Prozent. Nicht selten münden permanenter Stress, Druck und Mobbingerfahrungen in eine Depression. Erschreckend: In der Altersgruppe der 13- bis 18-jährigen Schüler verzeichnete die Krankenkasse bei Depressionen von 2007 auf 2017 den größten Anstieg überhaupt – um fast 120 Prozent.

Immer mehr Schüler fühlen sich ausgebrannt

Immer häufiger stellen Ärzte außerdem schon im Schulalter die Diagnose Burnout. Auch da registriert die KKH im selben Zeitraum einen enormen Anstieg – sowohl bei den Jüngeren als auch bei den Älteren um jeweils mehr als das Doppelte. Statistisch betrifft dies bisher nur eine kleine Gruppe von rund 1.000 jungen Versicherten, doch der drastische Anstieg der Fälle zeigt, dass immer mehr Schüler Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung haben und ausgebrannt sind.

„Tatsächlich scheint es, als seien die Anforderungen an die Kinder höher geworden“, so erklärt Prof. Dr. Marcel Romanos, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg. „Das liegt nicht unbedingt daran, dass etwa die Schule an sich schwerer geworden ist. Vielmehr werden immer bessere Leistungen erwartet. Normale, durchschnittliche Leistungen werden dagegen oft abgewertet oder problematisiert.“ News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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