BERLIN. Man kann die neueste PISA-Studie so oder so lesen. Immerhin, die Leistungen der Schüler in Deutschland sind weiterhin überdurchschnittlich – das klingt erst mal gut. Der Maßstab ist allerdings die Gesamtheit der OECD-Staaten, zu denen auch Entwicklungsländer wie die Dominikanische Republik oder die Philippinen gehören. Der Abstand zur internationalen Spitzengruppe ist groß. Und: Die Schüler in Deutschland haben sich in allen drei Kategorien verschlechtert.
Nach mehrjährigem Aufwärtstrend bis 2013 erlebt Deutschland nun den zweiten PISA-Knick in Folge. Die deutschen Schüler haben sich in allen drei Bereichen der internationalen Vergleichsstudie – Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – leicht verschlechtert. Sie erzielten jeweils etwas weniger Punkte als bei der vorherigen Untersuchung, die 2016 veröffentlicht wurde. Auch damals waren die Werte in zwei Bereichen schon gesunken.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wies bei der Vorlage der Zahlen am Dienstag in Berlin aber auch darauf hin, dass die deutschen Schüler leistungsmäßig weiterhin über dem OECD-Durchschnitt und damit auf einem guten Niveau lägen. In Mathematik und Naturwissenschaften sei Deutschland sogar deutlich besser als der Durchschnitt der OECD-Länder. Der Abstand zur Spitzengruppe in Europa und Asien mit Singapur, Hongkong, Japan, Estland, Kanada oder Finnland bleibt dennoch groß.
Bundesbildungsministerin: “Andere Staaten ziehen an uns vorbei”
Nach Ansicht von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek kann Deutschland mit den Ergebnissen nicht zufrieden sein. «Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein», sagte die CDU-Politikerin laut einer gemeinsamen Mitteilung ihres Ministeriums und der Kultusministerkonferenz vom Dienstag. Karliczek hob hervor, dass Deutschland ein gutes Schulsystem habe und auch in dieser PISA-Studie leicht über dem OECD-Durchschnitt liege. «Damit können wir aber nicht zufrieden sein. Andere Staaten ziehen an uns vorbei.»
«Einer der Faktoren hinter dem Leistungsrückgang können die seit der Flüchtlingskrise gestiegenen Ansprüche an das Bildungssystem sein», hieß es von der OECD. Der Anteil von Schülern «mit eigener Migrationserfahrung» sei seit der letzten PISA-Erhebung deutlich gestiegen, und deren Integration in das Bildungssystem sei eine große Herausforderung.
Die Integration der Flüchtlingskinder erklärt den Rückgang nur zum Teil
Allerdings, so heißt es im begleitenden Bericht, reicht diese Begründung nicht aus, um den Leistungsrückgang im vollen Umfang zu erklären. Von insgesamt 11 Punkten Differenz zu 2015 bei der Lesekompetenz schreiben die Bildungsforscher nur 5 den „Veränderungen des demografischen Profils der Schüler in diesem Zeitraum“ zu. Darüber hinaus heißt es: „Die demografischen Veränderungen können jedoch nur einen geringen Teil der umfassenderen negativen Trends erklären, die seit 2012 in Mathematik und Naturwissenschaften zu beobachten sind.“ Anders ausgedrückt: Auch ohne die Flüchtlingskinder hätten sich die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Deutschland verschlechtert.
Die Pisa-Studie ist die größte internationale Schulleistungsvergleichsstudie. Dieses Mal nahmen rund 600.000 Schülerinnen und Schüler aus 79 Ländern teil, in Deutschland knapp 5500. Es war die mittlerweile siebte Runde. Seit dem Jahr 2000 werden für den Vergleichstest alle drei Jahre weltweit Hunderttausende Schüler im Alter von 15 Jahren in den Bereichen Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften getestet.
Schwerpunktmäßig wird jeweils ein Bereich stärker abgefragt. Diesmal ging es vor allem um die Lesekompetenz. Die Tests finden inzwischen vor allem am Computer statt. Die Schüler müssen sich durch verschiedene Aufgaben klicken.
Jeder fünfte 15-jährige Schüler liest nur auf Grundschulniveau
Die Zahlen im Einzelnen: Im Bereich Lesen erreichten die deutschen Schüler einen Punktwert von 498 (2016: 509), in Mathematik 500 (2016: 506) und in Naturwissenschaften 503 (2016: 509). Zum Vergleich: Die Spitzenländer kamen auf Werte zwischen 550 und 590, Länder am Ende der Skala wie die Dominikanische Republik oder die Philippinen auf Werte zwischen 325 und 340.
Vergleicht man die Ergebnisse der aktuellen Studie mit dem Schwerpunkt Lesen mit der letzten Schwerpunktstudie Lesen, die 2010 veröffentlicht wurde, erreichen die 15-Jährigen in Deutschland heute ähnliche Ergebnisse.
In Deutschland – so wie auch in allen anderen OECD-Staaten – schnitten die Mädchen bei der Lesekompetenz deutlich besser ab als die Jungen. In Mathe sind die Jungen vorne. Bei den Naturwissenschaften sehen die Autoren in Deutschland keine Unterschiede. Als bedenklich eingestuft wird, dass jeder fünfte 15-Jährige beim Lesen nur ein sehr geringes Leistungsniveau erreicht. Das heißt, er oder sie kann mit ganz einfachen Leseanforderungen nicht umgehen. Auch in Mathe und Naturwissenschaften liegt der Anteil der leistungsschwachen Schüler bei rund 20 Prozent.
Dass jeder fünfte 15-Jährige nicht einmal auf Grundschulniveau lesen könne, sei „besonders bedenklich“, sagte Bundesbildungsministerin Karliczek. Bund und Länder seien gemeinsam gefordert, das Bildungssystem weiter zu verbessern, «jeder in seinem Verantwortungsbereich». So werde der Bund Programme zur frühkindlichen Leseförderung «noch konsequenter weiterverfolgen».
Schulerfolg hängt in Deutschland stark von der sozialen Herkunft ab – noch immer
Die Autoren kritisierten bei der Vorlage der Ergebnisse ein altbekanntes Problem in Deutschland: Der Schulerfolg hänge in der Bundesrepublik weiterhin stärker von der sozialen Herkunft der Schülerinnen und Schüler ab als im Durchschnitt der OECD-Länder. Privilegierte Schüler hätten einen deutlichen Leistungsvorsprung zu denen, die «sozioökonomisch benachteiligt» seien. Der Befund ist so alt wie die PISA-Studie selbst. Schon bei der allerersten, 2001 veröffentlicht, präsentierte sich Deutschland als “Weltmeister” in Sachen Bildungsungerechtigkeit.
Neben den Tests, die die Schüler absolvieren mussten, wurde auch das Thema «Lesefreude» abgefragt. Im Zehnjahresvergleich wird dabei sichtbar, dass das Interesse der Jugendlichen am Lesen abnimmt. Jeder zweite befragte 15-Jährige in Deutschland sagte: Ich «lese nur, wenn ich lesen muss» oder «um Informationen zu bekommen, die ich brauche». Lesen als liebstes Hobby gab nur jeder Vierte an. Mehr Schüler (34 Prozent) sagten dagegen, für sie sei Lesen Zeitverschwendung. News4teachers / mit Material der dpa
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