MÜNCHEN. Bayerns Kultusminister Piazolo will den Lehrermangel an Grund-, Mittel- und Förderschulen abpuffern. Er setzt dafür auf Freiwilligkeit – aber auch auf Zwangsmaßnahmen. Bei den betroffenen Lehrern macht er sich damit nicht beliebt.
Der Zoff ist programmiert: Viele Grundschullehrer müssen nach dem Willen von Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) ab dem kommenden Schuljahr mehr arbeiten. Außerdem dürfen sie ebenso wie ihre Kollegen aus den Real- und Förderschulen künftig nur noch in Ausnahmefällen vor dem 66. Lebensjahr in Rente gehen. Bei Teilzeitverträgen steigt die Mindeststundenzahl, und Sabbatjahre werden abgeschafft. So soll der erwartete Lehrermangel abgefangen werden.
Der größte bayerische Lehrerverband BLLV reagierte am Dienstag umgehend: Man lehne die Pläne strikt ab, die Maßnahmen seien kontraproduktiv und demotivierend – und der BLLV werde «massiven Widerstand» leisten (siehe Statement unten). Die GEW zeigt sich gleichermaßen empört. Auch von der Landtags-SPD hagelt es Kritik.
Im nächsten Schuljahr werden 1.400 Lehrerstellen unbesetzt bleiben
Nach Berechnungen des Kultusministeriums wird im nächsten Schuljahr der Umfang von etwa 1400 Vollzeitstellen nicht zu besetzen sein. Um diese Lücke von circa einem Prozent des Bedarfs abzufangen, sollen Grundschullehrer, die jünger als 58 Jahre sind, nach Altersgruppen gestaffelt im Rahmen eines Arbeitszeitkontos vorübergehend 29 statt 28 Unterrichtsstunden pro Woche halten müssen. In einer «Rückgabephase» werde dies durch eine Verringerung der Unterrichtspflichtzeit im selben Umfang ausgeglichen, betonte Piazolo. Diese Phase werde voraussichtlich in fünf Jahren beginnen.
Zudem dürfen Förderschullehrer im Rahmen einer Antragsteilzeit höchstens noch auf 23, Grund- und Mittelschullehrer auf 24 Wochenstunden reduzieren. Ein vorzeitiger Ruhestand wird künftig in der Regel erst ab 66 Jahren möglich sein. Längere Auszeiten («Sabbaticals») werden nicht mehr genehmigt. Im Gegenzug sollen die Lehrkräfte unter anderem von Verwaltungsaufgaben entlastet werden.
Jeder Lehrer soll “im Rahmen der Solidargemeinschaft” etwas geben
Piazolo setzt darüber hinaus auf die freiwillige Bereitschaft, vorzeitig aus Beurlaubungen zurückzukehren, den Ruhestand hinauszuschieben oder den Umfang der Teilzeit aufzustocken. «Jede Stunde zählt, jeder Kopf zählt», sagte der Minister. Jeder Lehrer möge sich deshalb überlegen, «ob er nicht hier im Rahmen der Solidargemeinschaft was tun kann».
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bayern sieht durch die angekündigten Maßnahmen “eine rote Linie überschritten”, wie es in einer Pressemitteilung heißt. “Die jetzige hoch problematische Personalsituation ist durch eine desaströse Bildungspolitik entstanden. Die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen sollen dafür die Rechnung zahlen – durch Arbeitszeiterhöhung und weitere Arbeitsbelastung. Die schon jetzt grenzwertigen Belastungen der Kolleginnen und Kollegen werden dadurch ins Unerträgliche gesteigert, was einen erhöhten Krankenstand und dadurch weitere Ausfälle zur Folge haben wird.”
Dies sei von Piazolo “am Personalrat vorbei” öffentlich angekündigt worden, beklagt Johannes Schiller, Mitglied des Hauptpersonalrats beim Kultusministerium – und hält das für „besonders skandalös“. Die GEW werde die angekündigten Maßnahmen nicht hinnehmen. Die Gewerkschaft kündigt wie der BLLV “massiven Widerstand” an.
Die bildungspolitische Sprecherin der SPD im Landtag, Simone Strohmayr, bezeichnete die Maßnahmen als völlig verfehlt und demotivierend. Sie forderte ebenfalls eine bessere Bezahlung und Aufwertung des Berufs statt Mehrbelastung. dpa
MÜNCHEN. „Seit Jahren weisen wir immer wieder auf die personelle Unterversorgung an den Schulen hin und haben auch viele Vorschläge zur Bekämpfung gemacht – dass nun die Lehrkräfte dafür büßen sollen, akzeptieren wir nicht“, erklärt BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Sie wirft dem Kultusministerium massive Versäumnisse vor, für die nun die Lehrkräfte gerade stehen sollen.
Geplante Maßnahmen wie verpflichtende Arbeitszeitkonten für Grundschullehrkräfte, Einschränkungen bei den Beurlaubungs- und Teilzeitmöglichkeiten, Erhöhung der Unterrichtsbelastung oder die Anhebung der Altersgrenze für den Antragsruhestand seien ausschließlich Maßnahmen, die die Belastungen der Lehrkräfte weiter erhöhen würden, so Fleischmann. „Davor kann ich nur warnen.“ Sie kündigt massiven Widerstand des BLLV an.
Es sei unerträglich, dass es ausgerechnet die Kolleginnen und Kollegen an den Grund- und Mittelschule treffe. „Sie haben bereits jetzt schon die höchste Unterrichtsverpflichtung und werden dafür auch noch schlechter bezahlt als andere Lehrkräfte“, moniert Fleischmann.
„Anstatt in der derzeitigen Notsituation diejenigen noch weiter zu belasten, die das System am Laufen halten, sollte vielmehr kritisch hinterfragt werden, ob es sinnvoll und unbedingt notwendig sei, ständig neue Aufgaben an die Schulen zu delegieren, wie beispielsweise die Digitalisierungsoffensive, das neue Pflichtfach Informatik, die Implementierung weiterer Alltagskompetenzen oder die Externen Evaluation. „Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Themen sind natürlich wichtig, doch sie kosten Ressourcen und die gibt es gerade nicht.“ Bevor man sich für Küraufgaben einsetze, müssten erst einmal die Pflichtaufgaben erledigt werden. „Und davon sind wir in Bayern an den Grund- Mittel- und Förderschulen gerade meilenweit entfernt.“
BLLV: A13 für alle Lehrer – auch an Grund- und Mittelschulen
Erneut forderte Fleischmann, die Attraktivität der betroffenen Lehrämter zu steigern. „Lehrkräfte an Grund- und Mittelschulen müssen endlich in der Besoldung den anderen Schularten angeglichen werden.“ Es sei nicht mehr vermittelbar, dass Lehrkräfte an Grund- und Mittelschulen weniger verdienen als die Lehrkräfte an allen anderen Schularten. Andere Bundesländer seien hier schon weiter und hätten diese Ungleichheit abgeschafft. Bayern gerate hier ins Hintertreffen. Ferner gelte es, die Lehrerbildung flexibler zu gestalten. „Hier muss endlich begonnen und der sogenannte Schweinezyklus durchbrochen werden.”
Die nun auf dem Tisch liegenden Maßnahmen des Kultusministeriums konterkarierten stattdessen alle Bemühungen, die Attraktivität des Grund-, Mittel- und Förderschullehramtes zu steigern. Fleischmann: „Die ohnehin schon an der Belastungsgrenze arbeiteten Lehrkräfte werden ein weiteres Mal demotiviert, der Mangel an Lehrkräften wird darüber hinaus nur an den Symptomen und nicht an seinen Ursachen bekämpft.” News4teachers
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