BERLIN. Für manche Schülerinnen und Schüler klingt das super, für viele Eltern ist es ein echtes Problem: In Deutschland sind die Schulen dicht, bis mindestens zum Ende der Osterferien. Aber mit großen Ferien hat das alles nichts zu tun. Schließlich ist Verreisen keine Option mehr, und wegen des Ansteckungsrisikos sind sogar Besuche bei Oma und Opa tabu. Für berufstätige Mütter und Väter kommt noch ein anderes Problem hinzu: Wer kümmert sich um die Kinder, wenn Schulen und Kitas dicht sind? «Eltern sind gerade am Arsch!», lautet deshalb das Fazit von Anna-Luisa Kitzerow in ihrem Blog «Große Köpfe». Die These der Berliner Mutter von drei Kindern: Familien trifft die Corona-Krise am härtesten.
Die 57.000 Kitas in Deutschland sind zu – die 43.000 Schulen ebenso. Was sollen die Kinder und Jugendlichen machen? Die Sportvereine haben ihren Betrieb eingestellt, Schwimm- und Spaßbäder sind geschlossen. Sogar auf Spielplätze sollen Kinder nicht mehr gehen. Lediglich für Minderjährige mit Eltern etwa im Gesundheitswesen gibt es eine Notbetreuung.
Millionenfach beraten Eltern jetzt: Sollen die Kinder sich privat treffen? Etwa zu Hause oder irgendwo draußen? Wie kann es zu Hause so laufen, dass kein Lagerkoller ausbricht und Minderjährige nicht vor allem mit Smartphone und Onlinespielen beschäftigt sind? Wer kann es daheim begleiten, dass die Töchter und Söhne von der Schule etwa per Mail mitgegebene Aufgaben erledigen? Die Familien sind im Stresstest – und rücken notgedrungen zusammen.
Tochter auf dem Gymnasium, Sohn auf der Grundschule
Anna-Luise Kitzerow ist Mutter von drei Kindern im Alter von 13, 9 und 3 Jahren. Als sie Ende vergangener Woche von der Schulschließung erfahren hat, habe sie gedacht: „Das wird schon“, erzählt die Bloggerin, die mit Mann und Kindern in Pankow lebt. Aber sie sieht auch viel Arbeit auf sich zukommen. „Jetzt wird auch noch erwartet, dass man als Lehrerin arbeitet“, sagt sie. Das sei noch eine Rolle mehr als bisher schon. Ihre größere Tochter geht aufs Gymnasium, ihr Sohn zur Grundschule. „Wir haben nur einen PC für die Kinder. Wenn die beide damit arbeiten wollen, müssen wir mal gucken.“ Kitzerow überlegt nun, wie sie die unterrichtsfreie Zeit mit drei Kindern zu Hause am besten organisieren soll.
Ihr Mann gehe morgens schon früh ins Büro, sagt sie. Bis er nachmittags zurück ist, muss sich Kitzerow, die studiert, allein um die Kinder kümmern – und darum, dass die beiden Größeren die Schule nicht vergessen und sich regelmäßig um die Aufgaben kümmern, die zu erledigen sind. „Ich mache mir schon Sorgen“, sagt Kitzerow. „Aber wir müssen da durch.“
“Es fehlt an Lösungen im Einzelfall”
Die Schulschließungen bedeuten für die Eltern einen enormen Zusatz-Stress – sagt auch der Vorsitzende des Landeselternbeirats Hessen, Korhan Ekinci. «Das stellt für ganz viele Familien eine ganz große Herausforderung dar.» Die Eltern verstünden die Notwendigkeit, die Sozialkontakte der Kinder zu minimieren: «Das Verständnis ist da. Es fehlt aber an Lösungen im Einzelfall.»
Keiner erwarte, dass die Kinder in den Schulen beaufsichtigt würden, sagte der Vater zweier Grundschulkinder. Es gebe aber eine große Gruppe von Eltern, die sich nicht zu helfen wüssten – weil sie weder Berufe hätten, mit denen sie die Notbetreuung in Anspruch nehmen könnten, noch Homeoffice machen könnten. Die hätten sich zum Teil «bitterlich beschwert». Ein Patentrezept hat Ekinci auch nicht: Keine Lösung sei, Kinder in Gruppen zu betreuen oder zu den Großeltern zu bringen, das würde den Sinn der Schulschließungen konterkarieren. Die Politik müsse aber darüber nachdenken, wie man den Eltern helfen könne.
Zu der Schwierigkeit, die Kinder zu betreuen, komme noch die Aufgabe, sich um die Lernaufträge der Kinder zu kümmern: „Das macht den Eltern zusätzlichen Stress.“ Die Schulen hätten sehr unterschiedliche Modelle gefahren: Einige hätten die Eltern in Schichten in die Schule gerufen, andere Aufgaben per Mail verschickt, manche nutzten Online-Tools, manche Lehrer hätten die Aufgaben nach Hause gebracht. Insgesamt hätten die Positiv-Beispiele überwogen, sagte Erkinci – bislang. Ein Problem sieht er bei Eltern, die nicht gut Deutsch könnten oder technisch nicht ausreichend ausgestattet seien. «Die müssen wir mehr an die Hand nehmen.
“Schule ist für viele unserer Schüler ein sicherer Hafen”
Dass für manche Kinder eine besonders harte Zeit anbricht, erwartet auch Lehrerin Nadine M.. „Ich arbeite an einer Brennpunktschule mitten in der Stadt. Viele unserer Schüler kommen aus schwierigen Verhältnissen und die Schule ist für viele von ihnen ein sicherer Hafen zum Lernen und gemeinsamen Spielen“, so berichtet sie auf der Facebook-Seite von News4teachers.
„Zu Hause beschäftigt sich kaum jemand mit ihnen, da ist nix mit raus in den Garten gehen oder gemeinsam als Familie etwas zusammen machen. Es gibt Familien, da ist auch ohne Corona täglich Stress. Jetzt sind diese Schüler zu Hause, müssen überwiegend ohne die Unterstützung der Eltern (geringes Bildungsniveau, teilweise selbst nie in der Schule gewesen, der deutschen Sprache kaum mächtig etc.) die Materialien bearbeiten. Dann ist es selten ruhig genug, dass die Schüler arbeiten könnten. Jüngere Geschwister, Smartphone, Tablet und Co, die verlockender sind, genervte Eltern, wahrscheinlich so schon nicht immer netter Umgangston. Gibt kaum Ausweichmöglichkeiten, jetzt wo Spielplätze und andere Einrichtungen für Kinder nicht mehr aufgesucht werden sollen/dürfen“, schreibt sie.
Und weiter: „Ich freu mich über jede Familie, die diese Zeit trotz der Einschränkungen gemeinsam und schön für alle Beteiligten gestalten kann. Dafür muss man aber auch in der Lage sein, die bestehenden Möglichkeiten und Angebote zu nutzen. Das können aber viele dieser Familien nicht, weil sie es nie gelernt haben zum Beispiel ein Brettspiel zu spielen, kreativ zu sein, oder auch nur Sendungen für Kinder einzuschalten, bei denen sie auch mal was lernen können.“ Ihre düstere Vorhersage: In den nächsten Wochen werde es wohl mehr Fälle häuslicher Gewalt geben. News4teachers / mit Material der dpa
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers kommentiert.
