BERLIN. „Bild“ hatte in der vergangenen Woche einen vermeintlichen Scoop gelandet: „Fragwürdige Methoden – Drosten-Studie über ansteckende Kinder grob falsch! Wie lange weiß der Star-Virologe schon davon?“, so titelte das Blatt und drängte in der Folge auf sofortige weite Schulöffnungen. Schnell wurde klar: Von einem Skandal kann keine Rede sein. Allerdings waren, wie der gemeinte Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité einräumte, in der vorab veröffentlichten Studie recht grobe statistische Methoden angewendet worden, die es zu verbessern galt. Jetzt hat er die Untersuchung überarbeitet – und hält an seinen Ergebnissen fest.
In einer überarbeiteten Fassung seiner Studie zur Infektiosität von Kindern in der Corona-Krise hält das Forscherteam um den Berliner Virologen Christian Drosten an seiner grundlegenden Aussage fest. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Kinder im Bezug auf Sars-CoV-2 nicht genauso ansteckend seien wie Erwachsene, heißt es in der aktualisierten Version der Studie. Sie ist noch nicht in einem begutachteten Fachjournal erschienen, sondern wurde als sogenannter Preprint veröffentlicht.
A new version of our viral loads manuscript is live. Thank you colleagues for all the helpful comments! https://t.co/0Aie4WWjGY
— Christian Drosten (@c_drosten) June 2, 2020
Ein erster Entwurf der Untersuchung war Ende April veröffentlicht worden und hatte Kritik und teils heftige Auseinandersetzungen nach sich gezogen. Die Aussage bereits damals: Kinder tragen eine ebenso hohe Viruslast wie Erwachsene – und sind mithin vermutlich genauso ansteckend. Die Forscher hatten aufgrund dieser Ergebnisse vor einer uneingeschränkten Öffnung von Schulen und Kindergärten in Deutschland gewarnt. In der neuen Fassung heißt es dazu: «Die uneingeschränkte Öffnung dieser Einrichtungen sollte sorgfältig mit Hilfe von vorbeugenden diagnostischen Tests überwacht werden.»
Wissenschaftliche Kritiker loben die Überarbeitung
Kritik hatte es vor allem an der statistischen Auswertung der Daten gegeben. Die angewandten Methoden seien nicht geeignet, hieß es von Wissenschaftlern unter anderem. Die “Bild”-Zeitung hatte die Studie daraufhin skandalisiert – und Drosten unterstellt, getäuscht, getrickst und vertuscht zu haben (News4teachers berichtete ausführlich über die Vorwürfe und die Reaktionen darauf – hier geht es hin). Allerdings betonten die Kritiker später, dass solche Diskussionen in der Wissenschaft normal seien und Kritik an der Methode nicht zwangsläufig das Ergebnis infrage stelle. Drosten räumte ein, die statistischen Methoden seien eher grob gewesen, hielt aber an der Aussage der Studie fest.
«In der neuen Version der Studie werden die Kommentare, die es zur statistischen Analyse der ersten Fassung gab, aus meiner Sicht überzeugend eingearbeitet», urteilt Christoph Rothe, Statistiker von der Universität Mannheim auf Anfrage nach einer ersten Durchsicht der überarbeiteten Ergebnisse. Er gehörte zu den Forschern, die die statistischen Methoden in der ursprünglichen Analyse kritisiert hatten.
Der Statistiker Dominik Liebl von der Uni Bonn, der sich ebenfalls mit der ersten Version der Drosten-Studie auseinandergesetzt hatte, schreibt auf Anfrage: Der methodische Teil der statistischen Analyse in der neuen Version sei aus seiner Sicht deutlich verbessert worden. Und Liebl ergänzt: «Auch die neue Version des Preprints wird sicherlich weiterhin in der Wissenschaft diskutiert werden, und dies ist auch gut so.»
Hohe Viruslast auch unter Kita-Kindern
In der vorgestellten Überarbeitung hat das Team die Daten von insgesamt 3303 Sars-CoV-2-Infizierten analysiert. Sie fanden demnach bei 29 Prozent der Kindergartenkinder (0 bis 6 Jahren), bei 37 Prozent der Kinder zwischen 0 und 19 Jahren sowie bei 51 Prozent der über 20-Jährigen eine Virusmenge, die für eine Ansteckung wahrscheinlich ausreichend ist. Die Unterschiede zwischen den Gruppen könnten auch auf unterschiedliche Anwendung der Tests zurückzuführen sein. «Wir schlussfolgern, dass ein erheblicher Anteil infizierter Personen aller Altersgruppen – auch unter denen mit keinen oder milden Symptomen – eine Viruslast trägt, die wahrscheinlich Infektiosität bedeutet.»
Lob für die Überarbeitung kam sogar vom Virologen Prof. Alexander Kekulé vom Uniklinikum Halle – der öffentlich in einem Gastbeitrag im “Tagesspiegel” Drosten aufgefordert hatte, seine Arbeit komplett zurückzuziehen (News4teachers berichtete auch darüber). «Ich finde die neue Arbeit sehr gut», sagte Kekulé nun im Podcast von MDR Aktuell. Sie liefere auch neue interessante Ergebnisse, die jetzt von der Politik genutzt werden könnten. Zwischen Kekulé und Drosten war es zu einem medialen Schlagabtausch gekommen. Im Podcast sagte Kekulé nun jedoch: «Ich habe gestern über eine Stunde mit ihm telefoniert. Ich hatte nicht den Eindruck, dass da irgendwie persönliche oder auch inhaltliche Diskrepanzen da sind.» Man könne fachliche Diskussionen führen, müsse aber aufpassen, dass es nicht auf die persönliche Ebene abrutsche. News4teachers / mit Material der dpa
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