BONN. „Lehrkräfte zweiter Klasse“ mit Qualitäts- und Akzeptanzproblemen aufgrund unzureichender Qualifikation dürfe es nicht geben. Die Standards in der Lehrerbildung seien beim Seiteneinstieg in das Lehramt „nicht verhandelbar“ – dies hat aktuell der Senat der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einer aktuellen Stellungnahme unterstrichen. Der Verband bak Lehrerbildung, in dem bundessweit Ausbilderinnen und Ausbilder organisiert sind, schlägt in dieselbe Kerbe. „Wir haben hier ein großes, ernsthaftes Problem“, sagt Bundesvorsitzender Helmut Klaßen gegenüber News4teachers.
Dass sich die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) jetzt zu Wort meldet, ist kein Zufall. Bis 2025 werden in Deutschland voraussichtlich 32.000 Lehrkräfte an den Schulen fehlen, schätzt die HRK – und: Die Corona-Krise verschärft den Lehrermangel noch einmal drastisch; Schätzungen zufolge dürften mindestens zehn Prozent der Lehrer aufgrund persönlicher Gesundheitsrisiken für den Präsenzunterricht ausfallen. Schon jetzt unterrichten immer mehr Lehrer, die als Seiten- oder Quereinsteiger zuvor keinen Lehramtsstudiengang an einer Hochschule absolviert haben. Das notwendige pädagogische und fachliche Rüstzeug sollen sie durch begleitende Betreuung und kurzfristige Qualifizierungsmaßnahmen erhalten, die sich je nach Bundesland unterscheiden.
Beispiel Berlin: Im zu Ende gehenden Schuljahr unterrichten 2.168 Quereinsteiger an Berliner Schulen, vor allem an Grundschulen. Wie auf eine Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der SPD hervorgeht, sind das ereits b6,6 Prozent aller Lehrkräfte in der Hauptstadt – also jede fünfzehnte. Im Schuljahr 2018/19 lag die Quote noch bei 5,7 Prozent. An 45 Schulen in Berlin unterrichten sogar mehr als 20 Prozent Quereinsteigende. Das ist ebenfalls eine Steigerung: Denn im vergangenen Schuljahr waren es noch 27 Schulen. An einer Grundschule in Wedding haben bereits mehr als ein Drittel des Kollegiums (36 Prozent) nicht auf Lehramt studiert.
“Schleichende De-Akademisierung des Lehramts zu verhindern”
Dass es ihm nicht darum geht, Quereinsteiger per se abzuqualifizieren, machte HRK-Präsident Prof. Peter-André Alt bei der Vorstellung der Stellungnahme deutlich: „Wir wissen, dass Quer- und Seiteneinsteigende in den Lehrberuf sich engagiert für diese Aufgabe entscheiden und häufig Erfahrungen und Fähigkeiten mitbringen, die ihnen und den Schülerinnen und Schülern bei diesem Wechsel zu Gute kommen. Jede Art von Nachqualifizierung muss aber auf die Expertise der hochschulischen Lehrkräftebildung zurückzugreifen, um eine schleichende De-Akademisierung und damit De-Professionalisierung des Lehramts zu verhindern. Die wissenschaftliche Nachqualifizierung betrifft die fachlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Anteile der Lehrkräftebildung.“
Der HRK-Senat betont, dass jede Phase der Lehrerbildung ihre eigene spezifische Aufgabe habe. So finde die wissenschaftsbasierte Grundlegung professioneller Kompetenzen und deren erste reflektierte Anwendung an der Hochschule statt, während im Vorbereitungsdienst – dem Referendariat also – deren Umsetzung im Sinne von Expertise-Entwicklung im Mittelpunkt stehe. Von wissenschaftlich begründeten Konzepten profitiere dann auch die Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften. Die Aktualisierung der wissenschaftlichen Grundlagen sichere kompetente Erziehungsarbeit unter sich ändernden Rahmenbedingungen. Als aktuelles Beispiel sei die Covid-19-Pandemie zu nennen.
„Wir sprechen uns dafür aus, ergänzende Professionalisierungswege stärker zu systematisieren”, so Alt. „Die Wissenschaftlichkeit der Eingliederungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Seiten- und Quereinsteigende muss sichergestellt werden. Nur so kann das Potenzial von Seiten- und Quereinsteigenden in den Lehrberuf tatsächlich produktiv für die Weiterentwicklung des Selbst- und Rollenverständnisses aller Lehrkräfte aufgegriffen werden.“
Unterricht ohne Vorabqualifikation? Keine Seltenheit
Doch die Rahmenbedingungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland, wie der Bundesvorsitzende des bak Lehrerbildung Helmut Klaßen weiß. „In den Ländern gibt es viele verschiedene Modelle für die Qualifizierung von Seiteneinsteigern oder Quereinsteigern – von einem vollwertigen Referendariat mit ergänzendem pädagogischen Seminar bis hin zu einer eigenen Ausbildung über mehrere Jahre, die dann aber nebenher geschieht, während die Arbeit in der Schule schon läuft.“ Dass Seiteneinsteiger ohne jegliche Vorbereitung eine Schulklasse unterrichten müssen, ist also nach wie vor keine Seltenheit.
„Verschärfend“, so Klaßen, kommt hinzu: „Der Lehrermangel hat in einigen Regionen bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass dort eigentlich jeder Kandidat in den Schuldienst durchgewunken wird. Selbst diejenigen, die am Ende durchfallen, bekommen hinterher eine unbefristete Stellte im Lehramt.“
“Klare Tendenzen einer Deprofessionalisierung der Lehrerausbildung”
In einem Positionspapier bezieht der bak Lehrerbildung Stellung zum Seiteneinstieg. „Mit großer Sorge sind klare Tendenzen einer Deprofessionalisierung der Lehrerausbildung festzustellen, teils herrschen skandalöse Missstände an deutschen Schulen – und dies in vielen Bundesländern. Als Bundesverband der Lehrkräfte in der 2. Phase der Lehrerbildung (Referendariat bzw. Vorbereitungsdienst) beobachten wir, dass in sehr vielen Bundesländern der Lehrermangel dazu führt, dass Schüler*innen von Studierenden ohne Staatsexamen oder von Quereinsteiger*innen ohne entsprechende Zusatzqualifizierungen unterrichtet werden bzw. zukünftig unterrichtet werden sollen.“ In keinem ähnlich verantwortungsvollen Beruf – etwa unter Ärzten – wäre es denkbar, den Personalmangel mit dafür nicht ausreichend qualifizierten Kräften zu beheben.
„Nach Auffassung des bak gilt für alle Lehrämter, angefangen von der Primarstufe bis hin zur beruflichen Bildung, dass die Durchführung der Kernaufgaben eine hohe Anforderung darstellt, die auf jeden Fall eine qualifizierte Lehrerbildung erfordert. Diese Qualität der Lehrerbildung sieht der bak durch die flächendeckend steigende Zahl der Quereinstei-ger*innen erheblich gefährdet“ – insbesondere eben dann, wenn es zu keiner wirklich qualifizierten Auswahl und Nachqualifizierung komme. Aus Sicht des Verbands hat diese mindestens zwei Jahre zu dauern und beinhaltet in dieser Zeit keine ergänzenden Aufgaben im Arbeitsumfeld Schule. „Damit die Nachqualifizierung gelingt, müssen Schulen und die Seminare bzw. Studienseminare dafür mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden.“ News4teachers
Folgende Mindeststandards müssen aus Sicht des bak Lehrerbildung beim Seiteneinstieg eingehalten werden:
- Grundvoraussetzung: ein qualifiziertes universitäres Hochschulstudium in einem Fach (Zuordnung zu einem in der jeweiligen Schulform unterrichteten Fach muss gegeben sein); – Möglichkeit zur Entwicklung eines zweiten Fachs (mindestens 30% der erforderlichen Studienanteile vorhanden);
- Mindestens 3 bis 4-jährige berufliche Praxis im studierten Fach;
- Auswahlverfahren, das neben der Prüfung der Voraussetzungen auch die Eignung und das Vorhandensein der erforderlichen professionsbezogenen personalen Kompetenzen berücksichtigt;
- Sicherstellung der aktiven Verfügbarkeit der deutschen Sprache (schriftlich und mündlich);
- Beteiligung und deutliches Mitspracherecht (Vetorecht) der Ausbildungsinstitution an den Auswahlverfahren;
- Zweijährige begleitende Qualifizierung (fachliche und überfachliche Ausbildung im Umfang von 8 Stunden) durch die lehramtsbezogenen Seminare;
- Ausbildung in enger Kooperation zwischen Schule und Seminar, Orientierung der Ausbildung an den Standards und Kompetenzen der KMK.
