Von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
DÜSSELDORF. Über die Digitalisierung der Schulen wird viel geredet, gerade in der Coronakrise. Vor Ort geschieht allerdings wenig. Geld ist da – aber es wird nicht abgerufen. Den Schwarzen Peter sollen dafür (mal wieder) die Schulen zugeschoben bekommen. Sie würden es nicht schaffen, die im Digitalpakt geforderten “Medien-Entwicklungspläne” vorzulegen, heißt es. Tatsächlich aber ist der Anspruch an die Kollegien völlig überzogen – eine bürokratische Kopfgeburt.
Die Mittel aus dem Fünf-Milliarden-Euro-Digitalpakt fließen nur zäh in Richtung der Schulen. Insgesamt seien bisher Anträge im Umfang von gerade mal rund 125 Millionen Euro bewilligt worden. Beantragt worden seien Fördergelder in Höhe von 284 Millionen Euro. Das geht aus einer Umfrage unter den 16 Kultusministerien hervor, die der «Focus» im Juni veröffentlichte. Die langsame Umsetzung werde immer wieder damit begründet, dass die Schulen zuerst schlüssige Medienkonzepte vorlegen müssten, um an die Fördergelder heranzukommen, heißt es. Da ist tatsächlich etwas dran.
Christoph Gerwers, Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Stadt Rees und Vorsitzender des Bildungsausschusses im Deutschen Städte- und Gemeindebund, bestätigt gegenüber der „Rheinischen Post“: Es sei kompliziert, das Geld zu beantragen. „Voraussetzung ist ein technisch-pädagogisches Einsatzkonzept, das die Schulträger gemeinsam mit den Lehrerkollegien ausarbeiten müssen“, sagt er.
Lehrer stellen Anforderungen, die nicht immer zu erfüllen sind
Keine leichte Aufgabe. Da träfen nicht selten zwei Welten aufeinander. „Die IT-Experten der Kommunen kennen sich in ihrem Fach aus, aber nicht mit Pädagogik. Und die Lehrer stellen pädagogische Anforderungen an die digitalen Geräte, die nicht immer zu erfüllen sind.“ Auf Seiten der Schulen mangele es an digitalem Know-how. „Sehr problematisch ist das fehlende IT-Wissen einiger Lehrer“, sagt Gerwers.
Das wirft die Frage nach dem Sinn des Konstrukts auf: Woher sollen Lehrer denn fundierte Kenntnisse über den Einsatz digitaler Technik im Unterricht bekommen, wenn sie diese noch gar nicht praktisch einsetzen können? Das Ergebnis der Digitalisierung wird also zur Voraussetzung gemacht – wie soll das funktionieren? Gerwers fordert mehr Fortbildungen für Lehrer, um das Problem zu lösen. Gibt’s eine Ausbildung zum Rettungsschwimmer auf dem Trockenen?
Der Bürgermeister mahnt in Richtung der Kollegien: „Es hilft auch nichts, die Medienkonzepte anderer Schulen abzuschreiben. Überall sind die Voraussetzungen andere, die digitale Ausstattung muss dem pädagogischen Konzept folgen.“
Was damit gemeint ist, macht ein Blick ins Internet deutlich, genauer: in das Download-Angebot des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg. Dort steht ein Blanko-“MEP” (also “Medienentwicklungsplan”) parat, der unausgefüllt bereits 37 Seiten umfasst (wovon aber nur sechs verpflichtend auszufüllen seinen, wie das Landesmedienzentrum versichert). Vorgesehen sind darin unter anderem:
- Die Schule soll ihr “Zukunftsbild” entwerfen (“Unsere Schule in fünf Jahren”) und beschreiben, wie das “Lernen der Zukunft” aussieht. Veranschlagter Aufwand allein dafür: „1 Pädagogischer Tag oder mehrere 2-3-stündige ‘Runde Tische’ mit Arbeitsaufträgen zwischen den Terminen, zusätzlich ein öffentlicher Präsentationstermin”.
- Sie soll – möglichst unter Einbeziehung von Schülern und Eltern – den Ist-Zustand der Digitalisierung ermitteln. Veranschlagter Aufwand: “2-4 Wochen”.
- Sie soll die bisherigen Fortbildungen aller Lehrkräfte zum Thema der vergangenen drei Jahre dokumentieren.
- Sie soll “Ziele und Maßnahmen” für die einzelnen Fächer benennen. Aufwand: “1-2 Monate je nach Art und Größe der Schule und der Kapazitäten der Fachschaften”.
- Sie soll die Unterrichtsentwicklung darstellen – unter Berücksichtigung der “sechs Kompetenzbereiche der KMK” sowie des “Digitalen Kompetenzrahmens für Lehrkräfte der Europäischen Kommission”.
- Sie soll konkrete digitale Pilotprojekte samt den dafür verantwortlichen Lehrern benennen.
- Sie soll darlegen, wie sie den Einsatz der digitalen Lernmittel zu evaluieren gedenkt. Zeitrahmen: “1 – 2 Wochen”.
- Sie soll einen verbindlichen Zeitplan erstellen, für dessen Entwicklung bereits “1 – 2 Wochen” veranschlagt werden.
Dabei wäre schnell zu klären – und in fünf Minuten aufzulisten -, was fehlt: Jede Schule braucht vor allem erst einmal einen Internetanschluss mit angemessener Geschwindigkeit, WLAN in jedem Klassenraum und genügend Endgeräte für Schüler und Lehrer, um arbeiten zu können. Vielleicht ein paar digitale Whiteboards. Sie benötigt ein seriöses Online-Lexikon, um Zugang zu verifiziertem Wissen zu haben. Ein Standardpaket mit vernünftiger Lernsoftware wäre für den Einstieg nicht schlecht. Sie braucht stabile und datenschutzgeprüfte Kommunikationswege.
Würde jede Schule auf Stand gebracht, wäre das Geld ohnehin schon weg
Würde jede Schule in Deutschland auf diesen Stand gebracht, wäre das Geld ohnehin schon weg: Fünf Milliarden Euro klingt nach viel. Umgerechnet auf jede Schule sind das aber gerade mal 150.000 Euro. Heißt also: Die Lehrer können in das geforderte Wünsch-Dir-Was schreiben, was sie wollen. Extra-Würste wird es ohnehin nicht geben.
Die GEW hat ausgerechnet, dass allein für die Mindestausstattung der allgemeinbildenden Schulen in den kommenden fünf Jahren 15,76 Milliarden Euro benötigt werden. Also wäre – statt der Schulen – zunächst mal die Politik gefordert, ein Konzept zu schreiben, konkret: ein “Finanzentwicklungsplan”, der darlegt, wie sie die ermittelte Ressourcenlücke zu schließen gedenkt. Und dann müsste dieser auch umgesetzt werden.
Ach ja, die Schulträger haben übrigens ebenfalls ihren Anteil daran, dass der Digitalpakt nicht aus dem Quark kommt. „Die Corona-Krise hat die Beantragung der Mittel in vielen Kommunen gebremst“, so räumt Gerwers ein. Seit Mitte März gehe es in den personell geschwächten Verwaltungen kaum voran. Das werde sich aber bessern, so stellt der Kommunalvertreter in Aussicht – im nächsten Jahr. Zynisch gedacht: Na, dann haben die Schulleitungen Zeit genug, ihren “Medienentwicklungsplan” zu entwickeln. Sie haben ja sonst nichts zu tun. Und die Digitalisierung der Schulen, die doch gerade mit Blick auf die Coronakrise vorangetrieben werden soll? Wird erstmal vertagt.
Der Journalist und Sozialwissenschaftler Andrej Priboschek beschäftigt sich seit 25 Jahren professionell mit dem Thema Bildung. Er ist Gründer und Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus – eine auf den Bildungsbereich spezialisierte Kommunikationsagentur, die für renommierte Verlage sowie in eigener Verantwortung Medien im Bereich Bildung produziert und für ausgewählte Kunden Content Marketing, PR und Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Andrej Priboschek leitete sieben Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit des Schulministeriums von Nordrhein-Westfalen.
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