BERLIN. Darf der Staat Schüler in die Schulen zwingen, obwohl er dort die von ihm selbst verfügte Abstandsregel von 1,50 Metern dort nicht einhält? Nach Ansicht des Berliner Verwaltungsgerichts lautet die Antwort: Ja. Um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden, habe das Land den Mindestabstand in den Schulen aufheben dürfen, teilte das Gericht zum Schulstart am Montag mit. Die Schulpflicht von zwei Schülern, die mit ihren Eltern geklagt hatten, bleibt davon unberührt. Entschieden hatte die 14. Kammer demnach bereits am Freitag im Eilverfahren. (Az. VG 14 L 234/20)
Im Berliner Verwaltungsgericht herrschen strenge Regeln zum Infektionsschutz. „Um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und am Verwaltungsgericht möglichst auszuschließen, gelten innerhalb des gesamten Gerichtsgebäudes sowie im Eingangsbereich die allgemein empfohlenen Abstands- und Hygienemaßnahmen des Robert-Koch-Institutes“, so heißt es auf der Homepage des Gerichts. Dazu gehört wie selbstverständlich „die Wahrung eines Mindestabstandes von 1,5 Metern zu anderen Personen“. Der Betrieb ist nach wie vor eingeschränkt. Anträge und Klagen werden zum Beispiel nur nach telefonischer Terminvereinbarung angenommen – was werktags lediglich in der Zeit von 9 Uhr bis 13 Uhr möglich ist.
Zwei Schülerinnen wollten von der Schulpflicht befreit werden
Dass in den Schulen dieser Mindestabstand nicht mehr gelten soll, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts gleichwohl in Ordnung. Die Richter lehnten den „Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes“ von zwei Schülerinnen und ihren Eltern ab, wie es heißt. Diese hatten geltend gemacht, dass zum effektiven Schutz von Schülern und Lehrern vor einer Corona-Infektion auch in der Schule ein Mindestabstand von 1,5 Meter eingehalten werden müsse. Weil sie sich in der Schule nicht sicher fühlen, wollten die beiden Schülerinnen von der Schulpflicht befreit werden.
Doch daraus wird nichts, vorerst jedenfalls nicht. In dem Beschluss heißt es: „Es kann zunächst keine Rede davon sein, dass die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen gegen das Risiko einer Coronavirus-Infektion von Schülerinnen und Schülern in Schulen überhaupt nicht treffen würde. Vielmehr hat die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie einen landesweiten Musterhygieneplan erstellt, auf dessen Grundlage jede Schule einen individuellen Hygieneplan zu erstellen hat. Nach diesem Musterhygieneplan ist eine Vielzahl von Schutzvorkehrungen vorgesehen.“
Der Plan enthalte Vorgaben für die persönliche Hygiene, „wobei vorgegeben ist, dass trotz Aufhebung des Mindestabstands von 1,5 Metern in der Schule und im Rahmen schulischer Veranstaltungen der Mindestabstand, wo immer es möglich ist, gleichwohl eingehalten werden soll“. Zudem gelte in allen Schulen bis auf den Unterricht und die Durchführung außerunterrichtlicher ergänzender Förderung und Betreuung die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung. „Ferner sollen sich die Klassenverbände/Lerngruppen, soweit dies organisatorisch möglich ist, nicht untereinander vermischen, sondern als feste Gruppen im Lehrbetrieb zusammenbleiben.“
Eine Prüfung der Schulpraxis fand im Eilverfahren nicht statt
Dass dies organisatorisch gar nicht funktionieren kann, wie die Vereinigung der Schulleiter von integrierten Sekundarschulen in Berlin am Wochenende mit Blick auf das herrschende Kurs- und Fachlehrerprinzip einwandte (News4teachers berichtete), focht die Richter nicht an. Eine auch nur oberflächliche Überprüfung der Schulpraxis fand im Rahmen des Eilverfahrens nicht statt.
Die Richter stellten sich stattdessen uneingeschränkt auf die Seite der Bildungsverwaltung. „Der Unterricht an allgemeinbildenden Schulen kann jedoch offenkundig nur dann effektiv erfolgen, wenn er unter Berücksichtigung des Lehrplans als Präsenzunterricht erfolgt. Aufgrund personeller und sächlicher Zwänge kann dies wiederum nur gewährleistet werden, wenn der Präsenzunterricht in voller Klassenstärke stattfindet, was nur unter Verzicht auf den Mindestabstand möglich ist“, so meinen die Richter. „Der Verordnungsgeber und die Verwaltung sehen sich deshalb der Notwendigkeit ausgesetzt, zwischen der mit Verfassungsrang ausgestatteten Schutzpflichtenerfüllung und der Erfüllung des ebenfalls verfassungsrechtlich fundierten Bildungsauftrags einen Ausgleich zu finden.“
Heißt: Im Zweifel für die Schulpflicht. Gegen den Beschluss kann noch Beschwerde eingelegt werden. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich der vollständige Beschluss herunterladen.
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