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„Planen Sie Ihre nächste Sitzung doch mal in einem Klassenraum“: Eltern schreiben an die KMK – und bekommen eine Antwort

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STUTTGART. Eine Elterninitiative wollte von der Kultusministerkonferenz wissen, warum sich die Bundesländer im Schulbetrieb nicht an die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts halten – und schrieb einen Brief. Sie bekam tatsächlich eine Antwort aus Berlin, den sie ihrerseits beantwortete. Die Korrespondenz, die wir in Auszügen veröffentlichen, ist lesenswert. Sie macht anschaulich, wie weit auseinander die Positionen von Bildungspolitikern und Betroffenen mittlerweile liegen.

In Klassenräumen ist es voll – und immer noch gilt vielerorts im Unterricht keine Maskenpflicht. Foto: Shutterstock

Die Elterninitiative „G9-jetzt!“ hat eine beachtenswerte Korrespondenz mit der Kultusministerkonferenz geführt, die wir hier in Auszügen veröffentlichen. Hintergrund der Initiative: Die Eltern fordern, jetzt auch mit Blick auf das durch Corona beeinträchtigte Schuljahr, die sofortige Umstellung des gymnasialen Bildungsgangs von acht auf neun Jahre. In dem Briefwechsel geht es aber nicht darum, sondern um den fehlenden Corona-Schutz im Unterricht, der alle Schulen betrifft.

Im ersten Brief der Elterninitiative an die Kultusministerkonferenz heißt es (unter Bezug auf eine KMK-Sitzung am 15. Oktober):   

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„Mit Erstaunen konnten wir Eltern kürzlich lesen, dass Sie sich zuletzt mit der bundesweiten Vereinheitlichung der Schulabschlüsse bis zum Jahre 2025 befassten (Das war tatsächlich Thema der Sitzung am 15. Oktober – News4teachers berichtete über die KMK-Beschlüsse dazu, d. Red). Eigentlich ja eine gute Sache. Allerdings werden Schüler, Eltern und Lehrer derzeit täglich mit ganz anderen schulischen, sogar gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, die einer zeitnahen Lösung bedürften – darunter beispielsweise die massiven Unterrichtsdefizite unserer SchülerInnen und das absolut besorgniserregende Absinken der Bildungsqualität, aber auch ganz alltagspraktische Schwierigkeiten und Belastungen.

“In keiner Studie haben sich Kultus- und Bildungsminister als Treiber der Infektion herausgestellt”

Es ist natürlich verständlich, dass sich diese Probleme aus der Ferne nicht immer gut nachvollziehen lassen und so empfehlen wir Ihnen das folgende, sicher lehrreiche Experiment: Verlassen Sie Ihre wohltemperierten, klimatisierten Schreibtische oder Konferenzräume und planen Sie Ihre nächste Sitzung einfach einmal in einem durchschnittlich großen Klassenzimmer einer durchschnittlich ausgestatteten deutschen Schule – davon stehen jetzt in den Herbstferien ja viele leer. Die Anreise sollte unbedingt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen.

Machen Sie sich keine Sorgen, ein regelmäßiges Lüftungskonzept wird Ihre Sicherheit im Klassenzimmer gewährleisten, am besten lassen Sie das oder die Fenster die ganze Zeit geöffnet. Den Ängstlichen unter Ihnen sei hier ausdrücklich versichert: In keiner Studie haben sich Kultus- und Bildungsminister als Treiber der Infektion herausgestellt.“

Im Antwortschreiben der Kultusministerkonferenz, unterzeichnet von einer Referentin, steht zu lesen:

„Ich verstehe Ihre Sorge um Ihre Gesundheit und die Ihrer Familie und kann Ihnen versichern, dass die Kultusministerinnen und Kultusminister diese Sorgen ernst nehmen und jeden Tag aufs Neue vor einem herausfordernden Abwägungsprozess mit anderen Aspekten der bildungspolitischen Entscheidungsfindung in einer bisher so nicht dagewesenen Krise stehen. Insofern möchte ich auch von ihrer Seite den Versuch eines Perspektivwechsels anregen ohne damit ihre Kritik unterbinden zu wollen.

Gerne nehme ich aus Perspektive der Kultusministerkonferenz zu Ihrem Schreiben Stellung und weise gleichzeitig darauf hin, dass die konkrete Ausgestaltung des Bildungswesens verfassungsgemäß Ländersache ist. Außerdem möchte ich vorab darauf hinweisen, dass in ihrem Schreiben auch Bereiche kritisiert werden, die nicht in erster Linie in der Verantwortung der Kultusministerien sondern der Kommunen liegen (bspw. Schultransport).

“Präsenzunterricht (…) muss oberste Priorität bei allen Entscheidungen haben”

Die Kultusministerinnen und Kultusminister sind sich einig, dass das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen am besten im Präsenzunterricht in der Schule verwirklicht werden kann und Schulen als Orte auch des sozialen Miteinanders von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Dies muss oberste Priorität bei allen Entscheidungen über einschränkende Maßnahmen haben, die aufgrund steigender Infektionszahlen zu ergreifen sind.“

Die Eltern schreiben zurück:

„Zweifellos – und hiermit nehmen wir Ihre Anregung eines Perspektivwechsels auf – stellt die momentane Pandemie Sie, also die verantwortlichen Politiker, vor eine Vielzahl schwieriger und auch grundsätzlicher Entscheidungen. Da wir alle solch eine Ausnahmesituation noch nicht erleben mussten, gibt es natürlich keine Handlungsvorlage. Auch aus diesem Grunde zollen wir Ihrer verantwortungsvollen Aufgabe selbstverständlich großen Respekt.

Andererseits bitten wir Sie zu überlegen, ob in der jetzigen Situation die momentan üblichen Regeln politischen Handelns nicht sehr streng hinterfragt werden sollten. Wir Eltern sind es eigentlich gewöhnt, dass die Verantwortung für viele Belange unserer Kinder beim Staat, Bundesland, der Kommune, unterschiedlichen Behörden oder sogar Firmen liegt. Kein Mensch kann die Sicherheit von Kindersitzen, die Schadstofffreiheit von Babybreien oder die Eignung jeder Erzieherin selbst überprüfen. Allerdings unterliegen diese Beurteilungen einem gemeinsamen Konsens, nämlich dem Schutz des Kindeswohls. Diesen meist unausgesprochenen, vertrauensbildenden Konsens stellen wir Eltern nun angesichts Ihres aktuellen coronabedingten Vorgehens an den Schulen in Frage.

Darf die Politik den Präsenzunterricht über das Recht auf körperliche Unversehrtheit stellen?

So schreiben Sie in Ihrer Antwort, der Präsenzunterricht müsse ‚….oberste Priorität bei allen Entscheidungen über einschränkende Maßnahmen haben….‘. Wer hat denn dieses Axiom aufgestellt? Natürlich ist Bildung fundamental wichtig, selbstverständlich spielt die Schule eine bedeutende soziale und gesellschaftliche Rolle. Aber darf die Politik daraus ableiten, das Recht auf Präsenzunterricht über das Recht auf körperliche Unversehrtheit unserer Kinder zu stellen? Oder – schier untrennbar damit verbunden – über das Recht der körperlichen Unversehrtheit von Eltern und Großeltern?

Aber hierbei geht es gar nicht um die Entscheidung für oder gegen Präsenzunterricht. Die Frage zum jetzigen Zeitpunkt lautet doch: WIE kann Präsenzunterricht möglichst sicher stattfinden? Das Robert-Koch Institut empfiehlt bereits seit längerem abgestufte Maßnahmen abhängig von den regionalen Inzidenzzahlen. Wir Eltern sehen nicht, dass diese umgesetzt werden. Ganz im Gegenteil werden Quarantäneregeln gelockert und werden Schulträger, die auf hohe Infektionszahlen mit Verkleinerung der Lerngruppen und Hybridunterricht reagieren möchten, von der Politik unter Druck gesetzt.

Augenscheinlich erkranken die meisten Kinder nur milde oder zeigen überhaupt keine Symptome. Aber kann man bei diesem unbekannten tückischen Virus wirklich ausschließen, dass es auch bei Kindern zu Folgeschäden führt? Weiß man sicher, dass häufig symptomlose infizierte Kinder nicht doch ihre Eltern oder Großeltern anstecken können, die einer Generation mit höherem Erkrankungsrisiko und sogar potentiell tödlichem Verlauf angehören? Macht es diese unklare, gefährliche Situation nicht nötig, bundesweit einheitliche Regelungen zu treffen, anstatt die Verantwortung an vollkommen überlastete Gesundheitsämter und an überforderte SchulleiterInnen zu übergeben, die existentielle Entscheidungen außerhalb ihres Kompetenzbereichs treffen müssen?“ News4teachers

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