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Streit um halbierte Klassen – NRW-Landesregierung sagt: Wir haben dafür nicht genügend Lehrer. Aber stimmt das überhaupt?

DÜSSELDORF. Die einen wollen Schulklassen zum Infektionsschutz teilen. Andere sind dagegen – etwa die nordrhein-westfälische Landesregierung. Sie sagt, dass die Lehrer dafür fehlten. Heißes Eisen: Wäre eine Aufstockung der Stundenzahl für Teilzeitkräfte machbar? Die von Familienminister Joachim Stamp (FDP) entfachte Diskussion lässt allerdings außer Acht, dass auch einfach das Unterrichtsangebot verringert werden könnte. Das Problem: Darauf haben sich die Kultusministerien nicht eingestellt. 

Arbeiten zu viele Lehrer in Teilzeit, um den Unterricht in Schichten anzubieten – oder geht die Debatte am eigentlichen Problem vorbei? Foto: Shutterstock

Eine flächendeckende Teilung von Schulklassen als Baustein zur Pandemie-Bekämpfung bleibt hoch umstritten. Nachdem Bund und Länder sich am Montag beim weiteren Vorgehen in den Schulen auf den 25. November vertagt hatten, war zunächst offen, ob auf Schüler und Lehrer ein sogenannter «Hybrid-Unterricht» zukommen könnte. Der stellvertretende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) zum Beispiel sprach sich erneut vehement gegen Klassenteilungen aus.

“Sie brauchen im Grunde genommen fast das Doppelte an Lehrerinnen und Lehrern, die wir nicht haben”

Stimmen für und gegen ein Lernen im Wechsel je zur Hälfte daheim auf online-Basis und im Klassenraum kamen am Dienstag aus Kommunen, Verbänden und Gewerkschaften. Die NRW-Regierung stehe in engem Austausch mit Kinderärzten und -psychologen, die mahnten, am Präsenzunterricht festzuhalten, sagte Stamp im ZDF-«heute-journal» am Montagabend. «Sie können nicht einfach sagen, wir machen jetzt mal halbe Klassen. Sie brauchen dann im Grunde genommen fast das Doppelte an Lehrerinnen und Lehrern, die wir nicht haben», argumentierte der FDP-Familienminister.

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Zu dem von der NRW-Regierung untersagten «Solinger Modell» meinte Stamp: «Solingen wollte eine flächendeckende Maßnahme treffen, die so auch nicht in Ordnung war, weil das auch gar nicht alle Schulen dort wollten.» Die Kommune hatte vor zwei Wochen angekündigt, dass in allen weiterführenden Schulen wechselweise eine Hälfte einer Klasse im Präsenzunterricht und die andere Hälfte daheim lernen soll. Die Stadt sei digital gut gerüstet, habe sich mit den Schulen beraten, die bereits Vorbereitungen getroffen hätten, hieß es. Ein Stadtsprecher hatte am Montag gesagt, man halte das Modell weiter für richtig und hoffe, dass es landesweit komme.

Der Landesregierung gehe es um die Bildungschancen jener Schüler, die Zuhause nicht auf Unterstützung bauen könnten, «wenn sie da allein vor dem Gerät sitzen», beteuerte Stamp. Auch der Philologen-Verband sprach sich gegen eine flächendeckende Klassenteilung aus. Das setze eine entsprechende digitale Ausstattung der Schulen voraus. «Und diese ist nicht flächendeckend vorhanden», sagte der Vize-Vorsitzende des Landesverbands, Ulrich Martin. Man müsse sich das lokale Infektionsgeschehen und die einzelne Schule genau ansehen und Schulleitungen die Möglichkeit geben, im Einzelfall hybrid zu unterrichten.

Zur Frage nach zusätzlich nötigem Lehrpersonal meinte Martin, Teilzeitkräfte um eine Stunden-Aufstockung zu bitten, lasse aber kaum Ressourcen erwarten. In NRW arbeiteten im Schuljahr 2019/20 von rund 194.000 hauptamtlichen Lehrkräften gut 74.300 in Teilzeit.

Schulministerium: Bei Teilzeit-Lehrern besteht in der Regel nicht die Möglichkeit, kurzfristig den Stundenumfang zu erhöhen

Aus dem Schulministerium hieß es, da oft wegen familiärer Verpflichtungen in Teilzeit gearbeitet werde, bestehe in der Regel bei diesen Fällen nicht die Möglichkeit, kurzfristig den Stundenumfang zu erhöhen. Handele es sich um eine «voraussetzungslose» Teilzeit, könne der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit erhöht werden, «soweit zwingende dienstliche Belange dies erfordern.» Hier wiege aber bei sehr kurzfristigen Änderungen der Vertrauensschutz stark: «Denn auch wenn die Teilzeit nicht an Voraussetzungen geknüpft ist, sind von der Lehrkraft für die freien Zeiten ja Planungen erfolgt.» Und gegen den Willen von Teilzeitkräften «dürfte ein sehr kurzfristiger Widerruf nur in Ausnahmefällen möglich sein».

Nach Einschätzung der Lehrergewerkschaft GEW leisten viele Lehrer «unbezahlte oder unterbezahlte» Mehrarbeit. «Es liegt an der Landesregierung, in der jetzigen Situation mit klugen Anreizmodellen der Bereitschaft von Lehrkräften zur Stundenaufstockung entgegenzukommen», sagte die Landesvorsitzenden Maike Finnern. Unterschiedliche Konzepte seien denkbar, etwa ein Ansparmodell, um früher weniger zu arbeiten oder früher in den Ruhestand zu gehen. «Grundsatz muss die Freiwilligkeit bleiben.»

Schulleitervereinigung: Ein normales Unterrichtsprogramm ist unter Pandemie-Bedingungen ohnehin Illusion

Aber geht die Diskussion um teilzeitbeschäftigte Lehrer überhaupt in die richtige Richtung? Die Schulleitervereinigung NRW benennt einen anderen Weg, um Klassen teilen zu können – nämlich: das Unterrichtsangebot auf den Kern herunterfahren. Ein «normales Fortkommen» im Unterrichtsstoff sei unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie ohnehin nicht möglich, schilderte der Vorsitzende Harald Willert. Die Schulpolitik solle das klar benennen, die Lerninhalte müssten reduziert werden.

Willert warb für eine grundsätzliche Teilung der Klassen. «Überall gelten Abstandsregeln, nur in den Schulen sind sie aufgehoben», kritisierte der Vorsitzende Harald Willert. Man wisse inzwischen durch Studien, dass sich definitiv auch Kinder anstecken und das Virus weitertragen. Eine Entzerrung in Klassenräumen und auf den Verkehrswegen sei geboten.

Das Problem ist allerdings dabei, dass das Schulministerium NRW – wie die anderen Kultusminsterien in Deutschland auch – sich seit Mai auf Regelunterricht festgelegt hat. Einen Plan B gibt es nicht. Für ein Schuljahr im Wechselbetrieb sind die Schulen kaum vorbereitet. Es wäre den Lehrerinnen und Lehrern nicht mal klar, welche Inhalte sie dann unterrichten sollen – und welche verzichtbar sind. Notfall-Lehrpläne liegen ihnen nicht vor.

VBE-Chef Beckmann: “Die Politik muss klären, wo wir Abstriche machen können, ohne die Bildungschancen zu beeinträchtigen”

Ein Problem, das auch der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann benennt: «Die Politik muss sich ehrlich machen”, so sagte er im Interview mit News4teachers. «Sie muss mal sagen, was mit den vorhandenen Ressourcen, die schon vor Corona auf Kante genäht waren, unter den gegebenen Bedingungen jetzt noch möglich ist. Sie muss klären, wo wir Abstriche machen können, ohne dass es die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder dauerhaft beeinträchtigt. Allerdings möchte ich davor warnen, sich nur noch auf die Kernfächer zu konzentrieren. Gerade in diesen schwierigen Zeiten braucht es auch Zeit für Kreativität. Deshalb ist es der falsche Weg, jetzt mal schnell den Rotstift bei den musisch-kreativen Fächern anzusetzen. Die Anforderungen an die Kultusministerkonferenz ist, jetzt ganz klar und deutlich zu definieren, was unter Corona-Bedingungen machbar ist – ohne gleich alles über Bord zu werden, was nicht Lesen, Schreiben und Rechnen ist.» (Hier geht es zum vollständigen Interview mit dem VBE-Vorsitzenden Udo Beckmann.)

Dann wäre wohl auch ein Unterricht im Wechsel machbar.

Sonst könnten Schulschließungen drohen. Tatsächlich schlägt sich die Pandemie auch an den Schulen in NRW deutlich nieder: Zum Stichtag am 11. November befanden sich laut Schulministerium mindestens 73.840 Schüler in Quarantäne – 3,6 Prozent aller Schüler. Mindestens 4.700 Lehrer – 3,0 Prozent – waren in Quarantäne. Landesweit seien 19 Schulen geschlossen und an knapp 19 Prozent der Einrichtungen – 826 Schulen – gebe es Teilschließungen. News4teachers / mit Material der dpa

Das Thema “Hybrid-Unterricht” wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

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