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Affäre um mutmaßlich vertuschte Studie: Rabe räumt ein, frühzeitig informiert gewesen zu sein – und er verstrickt sich in Unwahrheiten

HAMBURG. In der Affäre um eine mutmaßlich vertuschte Studie über einen Corona-Ausbruch an der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule verstrickt sich Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) in Unwahrheiten – er behauptet, die Öffentlichkeit frühzeitig darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass sich bei dem Ausbruch „viele Schüler“ in der Schule infiziert hätten. Das stimmt so nicht, wie Recherchen von News4teachers zeigen. Darüber hinaus hat Rabe mittlerweile eingeräumt, bereits vor dem 19. November über die Studie informiert gewesen zu sein. Das hatte seine Pressestelle bislang bestritten.

Schule ein Stück weit überschätzt wird in Bezug auf die Gefahren“: Rabe in den ARD-Tagesthemen am 25. November 2020 – hier geht es zum Interview. Screenshot

An jenem 19. November – sechs Tage vor dem Bund-Länder-Gipfel, bei dem über Wechselunterricht entschieden werden sollte – veranstaltete Rabe eine Pressekonferenz. „Die Infektionsgefahr ist in den Schulen erheblich geringer als in der Freizeit“, so behauptete er darin und präsentierte angebliche Daten der Hamburger Bildungsbehörde, denen zufolge sich in den acht Wochen zwischen den Sommer- und Herbstferien 372 Mädchen und Jungen infiziert hätten. „Von ihnen haben 292 sich vermutlich gar nicht in der Schule infiziert“, meinte Rabe dazu. Das habe die genaue Prüfung eines jeden Falles ergeben. Wissenschaftler waren nicht in die Erhebung einbezogen. Bei der Pressekonferenz verlor Rabe kein Wort über eine Studie, die von der Hamburger Gesundheitsbehörde zu einem Ausbruch an der Hamburger Heinrich-Hertz-Schule in Auftrag gegeben hatte – und die die Infektionsgefahr an Schulen sehr wohl deutlich macht.

Bei dem Ausbruch handelt es sich um das erste dokumentierte Superspreader-Event in einer deutschen Schule

Wie die Hamburger Gesundheitsbehörde am 22. Dezember mitteilte (genauer: auf die Anfrage eines Bürgers unter Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz mitteilen musste), geht aus der Studie hervor, dass die „Infektionen/Übertragungen in der Schule stattgefunden“ haben. Weiter heißt es: Von den untersuchten und verwertbaren Proben ist eine hohe Anzahl von identischen Genomsequenzen identifiziert worden. Daher ist die überwiegende Mehrzahl der Übertragungen höchstwahrscheinlich auf eine einzige Infektionsquelle zurückzuführen. Die Möglichkeit, dass der Ausbruch aus unabhängigen Einträgen resultiert, kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.“ Heißt also: Bei dem Ausbruch handelt es sich um das erste dokumentierte Superspreader-Event in einer deutschen Schule. Die Studie wurde nach Angaben der Autoren bereits Ende Oktober fertiggestellt.

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Schon um weitere solcher Ausbrüche zu vermeiden, hätte eine genaue Untersuchung der Umstände durch die Schulbehörde erfolgen müssen. Passiert ist aber – nichts. Die Studie ist bis heute nicht vollständig veröffentlicht.

Rabe behauptet nun (in der NDR-Sendung „Hamburg Journal“ vom 29. Dezember 2020 – auf die die News4teachers-Redaktion von einem Leser hingewiesen wurde): „Wir haben immer deutlich gemacht, dass es an Schulen sehr wohl auch Infektionen gibt, dass auch dort Corona weiter übertragen wird, dass aber die meisten Schüler sich außerhalb der Schule anstecken. Und gerade bei der Heinrich-Hertz-Schule haben wir von Anfang an auch die Öffentlichkeit informiert, dass hier viele Schüler sich in der Schule infiziert haben, wir waren sogar immer von 34 Schülern ausgegangen, die sich in der Schule angesteckt haben, jetzt wird aufgrund der Untersuchung deutlich, es waren 25 Schüler. Das ist insofern keine überraschende Nachricht, ganz im Gegenteil, die ursprünglich sehr schlechte Nachricht wurde ein Stückchen gemildert.“

“Für diese in Hamburg noch nie dagewesene Häufung von Fällen an einer Schule gibt es offensichtlich mehrere Ursachen”

Dies ist falsch. News4teachers berichtete am 9. September über einen Auftritt Rabes vor der Presse, in dem er laut Deutscher Presse-Agentur „eine positive Zwischenbilanz zur Rückkehr zum Präsenzunterricht für alle Hamburger Schüler“ nach den Sommerferien zog – und den Ausbruch an der Heinrich-Hertz-Schule kleinzureden versuchte. Bis auf eine Ausnahme hätten sich bisher in allen bekannten Corona-Fällen die Schüler oder Schulbeschäftigten nicht an den Schulen infiziert, sagte der Senator. «Abweichend davon gibt es jetzt allerdings in der Heinrich-Hertz-Schule in Winterhude eine ungewöhnliche Häufung von Infektionen.» Bei den dort bislang positiv getesteten 26 Schülern und 3 Schulbeschäftigten müsse davon ausgegangen werden, dass sich zumindest zwei von ihnen innerhalb der Schule angesteckt haben könnten. Einige Kinder hätten das Virus aber auch von außen eingetragen.

In der Pressemitteilung der Schulbehörde vom 9. September heißt es wörtlich zum Ausbruch in der Heinrich-Hertz-Schule: „Für diese in Hamburg noch nie dagewesene Häufung von Fällen an einer Schule gibt es offensichtlich mehrere Ursachen. So haben sich gleich mehrere Schüler unabhängig voneinander zu Hause in ihren Familien infiziert und das Virus in die Schule getragen. Darunter waren wohl einige Kinder, die trotz eindeutiger Symptome nicht zu Hause geblieben sind, andere dagegen hatten trotz der Infektion keine Symptome. In der Schule selbst ist die Krankheit vermutlich aber ebenfalls auf weitere Personen übertragen worden. Der Umfang der häuslichen und der schulischen Infektionen wird zurzeit ermittelt. Auch die möglichen Ursachen der Übertragungen innerhalb der Schule werden in diesem Zusammenhang erforscht. Bislang wurden an einzelnen Hamburger Schulen zwar immer wieder infizierte Schüler oder Lehrkräfte entdeckt, anders als in der Heinrich-Hertz-Schule kam es aber dabei niemals zu Übertragungen innerhalb der Schule.“

Mit der Studie, die Anfang Oktober fertiggestellt wurde, wurde die Darstellung, wonach sich „gleich mehrere Schüler unabhängig voneinander zu Hause in ihren Familien infiziert und das Virus in die Schule getragen“ hätten, widerlegt. Eine Korrektur der Pressemitteilung durch die Bildungsbehörde erfolgte allerdings nie.

Rabe räumt ein, bereits vor dem 19. November über das Ergebnis der Studie informiert gewesen zu sein

Auf die Frage, die Opposition behaupte, dass Rabe die Studie seit diesem 19. November kenne – „stimmt das?“ – antwortet Rabe jetzt im “Hamburg Journal” wörtlich: „Nein, ich kenne es schon vorher. Allerdings muss man ganz offen sagen, dass dieses Ergebnis ja kein schlechtes Ergebnis ist. Die Schulbehörde hat immer von 34 in der Schule infizierten Schülern gesprochen, das auch in allen Pressemitteilungen unterstellt. 25 wäre eigentlich eine gute Nachricht gewesen, die wir deshalb aber nicht aufgegriffen haben, weil bis heute nicht sicher erwiesen ist, dass diese Studie wirklich zu Ende ist. Das ist ein Zwischenergebnis. Und da haben wir lieber die schlechteren Zahlen genommen, um hier auf Nummer sicher zu gehen. Insofern ist das eher ein entlastendes Moment und keine große Entlastung.“

Rabe widerspricht damit seiner eigenen Pressestelle. Die hatte auf Anfrage des „Tagesspiegel“, seit wann Rabe von der Studie wusste, mitgeteilt, die „endgültigen Ergebnisse“ seien erst am 24. November – also fünf Tage nach Rabes Pressekonferenz – von der Gesundheitsbehörde an die Schulbehörde übermittelt worden.

Rabe veranstaltete seine Pressekonferenz sechs Tage vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Verdacht liegt nahe, dass Rabe damit den Ausgang beeinflussen wollte. Tatsächlich lehnten die Ministerpräsidenten dann den Wunsch von Merkel ab, den Schulbetrieb entsprechend der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts einzuschränken. Wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Tag danach erklärte, spielten beim Beschluss, die Kitas und Schulen weit offen zu lassen, das vermeintliche „Beispiel Hamburg“ eine wesentliche Rolle.

Der Hamburger Bildungssenator trat unmittelbar nach dem Bund-Länder-Gipfel als Architekt des Beschlusses in den ARD-Tagesthemen auf. Moderatorin Caren Miosga sagte: „Es gibt diverse Studien, die besagen, dass Kinder in den Schulen sehr infektiös sind, dass sie sich dort anstecken, und dass deswegen viel für Hybridunterricht spräche…“ Rabe entgegnete: „Wenn das so wäre, macht das schon Sinn. Wer aber genau hinguckt, der stellt fest, wir haben das in Hamburg gemacht, in anderen Bundesländern beginnt das jetzt auch, von fünf infizierten Schülerinnen und Schülern haben sich vier außerhalb der Schule infiziert. Offensichtlich ist es doch so, dass Schule ein Stück weit überschätzt wird in Bezug auf die Gefahren.“ „Wenn das so wäre…“ Die Studie, die genau das belegt und die ihm vorliegt, erwähnt er mit keinem Wort. News4teachers

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