BERLIN. Die Kritik an der Kultusministerkonferenz wächst: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat die Bundesländer dazu aufgerufen, sich in der Corona-Pandemie auf möglichst einheitliche Regelungen für Schulen und Kitas zu verständigen. «Eltern wünschen sich bei allen Maßnahmen, die wir jetzt treffen, ein möglichst bundesweit einheitliches und verlässliches Vorgehen», sagte die SPD-Politikerin der «Rheinischen Post». «Auch ich halte das für sinnvoll und setze mich für einen gemeinsamen Rahmen ein, wie es in den Ländern nach den harten Einschränkungen perspektivisch weitergehen kann.» Der Kinderschutzbund spricht von «Versagen».
«Bei allem richtigen Bemühen um Bildungsgerechtigkeit und Vereinbarkeit ist im Moment nicht die Zeit für Lockerungen», sagte Giffey weiter. Sie plädierte für die Wiederauflage eines klaren Stufenplans zur Rückkehr in den Regelbetrieb. «Im vergangenen Jahr haben wir mit dem von Bund und Ländern erarbeiteten Stufenplan zur Rückkehr in den Regelbetrieb gute Erfahrungen gemacht. Dieses abgestimmte gemeinsame Vorgehen hat Klarheit und Perspektive gegeben. So etwas wäre auch für dieses Jahr wieder angezeigt.»
“Es ist mir ein Rätsel, warum die Länder den Sommer nicht genutzt haben, klare Regeln zu erlassen”
Der Deutsche Kinderschutzbund übt unterdessen scharfe Kritik an den Maßnahmen der Länder in Sachen Schulen. «Es ist mir ein Rätsel, warum die Länder den Sommer nicht genutzt haben, klare und verbindliche Regelungen für Präsenzbetrieb, Wechselunterricht und Fernunterricht zu entwickeln und die Schulen entsprechend auszustatten», sagte Präsident Heinz Hilgers der «Rheinischen Post». «Das ist ein Versagen, das die Akzeptanz in die notwendigen Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung zu mindern droht.»
Es sei nicht verantwortlich, Schulen um jeden Preis öffnen zu wollen und dieses Versprechen dann binnen Stunden oder Tagen wieder kassieren zu müssen. «Ich appelliere weiterhin an die Landesbildungsministerinnen und -minister, sich auf ein realistisches und verbindliches Vorgehen zu verständigen und Kinder und ihren Familien so zumindest mittelfristige Planungssicherheit zu verschaffen.»
Auf die Frage, warum jedes Bundesland nun in der Schulpolitik macht, was es will – erklärt die neue KMK-Präsidentin, Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), auf dem Blog des Bildungsjournalisten Jan-Martin Wiarda: «Diesen Eindruck teile ich überhaupt nicht. Unsere Einigkeit in der KMK ist im vergangenen Jahr in der Tat gewachsen. Und sie ist ungebrochen – genau wie unser Plädoyer für offene Schulen. Fakt ist aber auch, dass auch die Bildungseinrichtungen die Kontakte minimieren müssen, um im Lockdown ihren Beitrag zu leisten, damit die Intensivbett-Kapazitäten entlastet werden. Dazu haben wir uns als Kultusministerinnen und Kultusminister bereiterklärt.“ Weiter sagt sie: «Die Bundesländer nutzen die Spielräume, die der Beschluss vorgibt, und diese Spielräume wurden bei den Gesprächen bei der Kanzlerin erörtert.»
Schulen zu, Schulen auf, Abschlussklassen in Präsenz – das Durcheinander im Bildungsbetrieb wächst
Welches Durcheinander im deutschen Bildungsbetrieb herrscht, machen Beispiele anschaulich:
Zum Schulauftakt nach den Weihnachtsferien in Baden-Württemberg müssen die meisten Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg von Montag an wieder den Computer einschalten. Für fast alle Schulen im Land beginnt das Jahr mit verpflichtendem Fernunterricht. Baden-Württemberg will in einem Fall aber einen Sonderweg gehen und seinen Spielraum nutzen: Falls die Infektionszahlen es zulassen, sollen Kita-Kinder, Grundschüler und die Abschlussklassen ab 18. Januar wieder vor Ort betreut beziehungsweise unterrichtet werden. Eine Entscheidung will die Landesregierung am Donnerstag treffen.
Ausnahmen von der Regel wird es auch an diesem Montag geben. Denn statt Fernunterricht können Schulen in den Abschlussklassen auch Präsenzunterricht anbieten, wenn dies unbedingt notwendig ist, um eine Prüfung vorzubereiten. Geöffnet werden auch die sogenannten Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) mit den Förderschwerpunkten geistige Entwicklung und körperliche und motorische Entwicklung. Kitas dagegen bleiben in Baden-Württember geschlossen. Dort und für Schüler der Klassen 1 bis 7 wird eine Notbetreuung angeboten – allerdings nur für Kinder, «deren Eltern zwingend auf eine Betreuung angewiesen sind», wie das Kultusministerium festlegt. Eltern müssen nachweisen, «dass beide entweder in ihrer beruflichen Tätigkeit unabkömmlich sind oder ein Studium absolvieren oder eine Schule besuchen, sofern sie die Abschlussprüfung im Jahr 2021 anstreben».
In Hessen müssen die Kinder der Klassen 1 bis 6 bis zum 31. Januar zum Lernen nicht an die Schulen kommen – können aber. Lediglich die Präsenzpflicht wird für jüngere Schüler ausgesetzt. Für sie ist der Gang zur Schule möglich, wenn Eltern arbeiten gehen müssen und sich nicht zu Hause um sie kümmern können. Die Kinder werden dann in der Schule in festen Lerngruppen unterrichtet, hatte Kultusminister Alexander Lorz (CDU) erklärt. Ab Klasse 7 wird mit Ausnahme von Abschlussklassen grundsätzlich Distanzunterricht in den nächsten drei Wochen angeboten. Lehrerverbände waren vor einem Chaos gewarnt, weil völlig offen sei, wie viele Kinder in der ersten Woche nach den Weihnachtsferien in die Schule geschickt werden. Die Kitas sind geöffnet; Eltern werden lediglich gebeten, ihre Kinder nach Möglichkeit zu Hause zu lassen.
In Nordrhein-Westfalen beginnt am heutigen Montag hingegen ein verschärfter Corona-Lockdown für die Schulen. Sie gehen komplett in den Distanzunterricht und Kitas betreuen nur noch in reduziertem Umfang. Für Kinder der Klassen 1 bis 6, die nicht daheim betreut werden können, bieten die Schulen eine Notbetreuung an. Sollte eine Schule für die Umstellung auf den Distanzunterricht mehr Zeit benötigen, darf sie nach Angaben des Schulministeriums auch erst am Mittwoch starten.
Zehntausende Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen Mecklenburg-Vorpommerns können ab dem heutigen Montag hingegen wieder in die Schule gehen. Das betrifft etwa die Jahrgänge 10,12 und Berufsschüler, die in diesem Jahr ihre Ausbildung beenden. Eine Pflicht für diese Jahrgänge wieder in die Schule zu kommen, gibt es laut Bildungsministerium jedoch nicht. Die Präsenzpflicht sei zunächst bis Ende Januar weiter ausgesetzt. Alle anderen Jahrgänge sollen weiterhin zu Hause lernen. Eine Betreuung vor Ort für Schüler von der 1. bis zur 6. Klasse wird weiterhin angeboten, sofern Eltern sie nicht zu Hause betreuen können. Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) hatte zuletzt betont, dass die Abschlussklassen gut auf ihre Prüfungen vorbereitet werden müssten. Mecklenburg-Vorpommern sei das erste Bundesland, in dem schon im April die Abiturklausuren und die Prüfungen für die Mittlere Reihe geschrieben würden. Kitas sind geöffnet – Eltern müssen ihre Kinder allerdings eigens für die Betreuung anmelden.
Auch für die Schüler in Niedersachsen und Bremen sind die Weihnachtsferien zu Ende. Am Montag läuft der Unterricht wieder an – für die meisten Schüler coronabedingt zu Hause. In Niedersachsen gilt in der ersten Woche nur für Abschlussklassen das sogenannte Szenario B mit Wechselunterricht in geteilten Klassen – grundsätzlich. Ausnahmen sind erlaubt. “Es ist möglich, bei ausreichenden räumlichen Kapazitäten auch komplette Klassen bzw. Kurse in der Schule zu unterrichten. Wichtig ist, dass auch hier der Mindestabstand eingehalten wird. Die Lerngruppen müssen dafür ggf. geteilt und parallel unterrichtet werden”, so heißt es beim Kultusministerium. Alle anderen Jahrgänge sollen zunächst auf Distanz unterrichtet werden. Von der zweiten Woche an gibt es bis Ende Januar auch für Grundschüler Wechselunterricht. Außerdem müssen die Schulen für die Jahrgänge 1 bis 6 eine Notbetreuung anbieten.
In Bremen ist hingegen die Präsenzpflicht bis Ende Januar ausgesetzt. Die Eltern entscheiden somit selbst, ob ihre Kinder zu Schule gehen oder zu Hause lernen – Schulsenatorin Claudia Bogedan (SPD) empfiehlt Eltern ausdrücklich, ihre Kinder zur Schule zu schicken. (News4teachers berichtet ausführlich über den Vorstoß der Bremer Bildungssenatorin – hier nachzulesen.)
“Wir Kultusminister sagen alle, dass Schulen keine Treiber des Infektionsgeschehens sind”
Auch darin sieht die KMK-Präsidentin keinen Widerspruch zu den Beschlüssen des Bund-Länder-Gipfels. Ernst: «Wir Kultusministerinnen und Kultusminister sagen alle, dass Schulen keine Treiber des Infektionsgeschehens sind. Ich persönlich sage, dass Schulen mit den geeigneten Hygienemaßnahmen, mit Abstandsregeln und mit einer kompletten Kontaktnachverfolgung für viele Jugendliche gute Orte sind, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Ich sage auch, dass das Infektionsgeschehen in Kita und Grundschule, was die Alterskohorte angeht, deutlich unter dem der Bevölkerung liegt.»
Auf die Frage, warum schließen dann Schulen jetzt im Shutdown überhaupt, antwortet Ernst: «Weil in Schulen natürlich trotzdem Kontakte stattfinden und man durch die Einschränkung der Kontakte in Schulen sehr wohl zur Senkung des gesamtgesellschaftlichen Infektionsgeschehens beitragen kann.» News4teachers / mit Material der dpa
Kommentar: Wir werden viel verzeihen müssen? Die Liste wird immer länger…
