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GEW ist sich mit Schulleitungen einig: Das Schuljahr ist nicht mehr zu retten – sagt Prüfungen ab! Kein Sitzenbleiben!

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BERLIN. Der Lockdown geht weiter, Schülerinnen und Schüler müssen seit Monaten unter besonderen Bedingungen lernen. Wie sollen ihre Leistungen in der Pandemie bewertet werden? Der Schulleitungsverband Niedersachsen stellt fest: «Dieses Schuljahr 2020/21 hinterlässt Defizite, die es nun mal zu akzeptieren gilt.» Das müsse Konsequenzen haben – etwa ein Verzicht auf Abiturprüfungen. Und soll es in diesem Jahr kein Sitzenbleiben geben, wie es die Gewerkschaft GEW fordert?

Ist das Schuljahr noch zu retten? Viele Lehrer meinen: Nein. Foto: Shutterstock

Geschlossene Schulen und fehlende Perspektiven: Die Corona-Pandemie macht das Lernen für Schüler zum Kraftakt. Wäre der Verzicht auf das Sitzenbleiben in diesem Jahr angesichts der Versäumnisse und schlechten Bedingungen eine Option? Das fordert die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). «Man kann nicht mit der normalen Leistungsmessung herangehen und einfach sagen, wir lassen sitzen», sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Donnerstag. Aus Tepes Sicht sollten auch Abiturprüfungen in diesem Jahr ausgesetzt werden. Stattdessen könnten Lehrer ihre Schüler aufgrund der erbrachten Leistung bewerten und eine Note ohne Klausur vergeben.

Ähnliche Töne kommen aus Niedersachsen – von Schulleitungen. Der Schulleitungsverband Niedersachsen (SVLN) forderte angesichts der Corona-Pandemie einen grundlegenden Kurswechsel für das gesamte Schuljahr. Auf Abiturprüfungen solle verzichtet und dafür eine Durchschnittsnote gebildet werden. Auch auf Abschlussarbeiten in den Jahrgängen 9 und 10 solle verzichtet werden, hieß es in einer Stellungnahme. Sowohl bei Abiturienten als auch für die Jahrgänge 9 und 10 könnten aber freiwillige Prüfungsersatzleistungen durchgeführt werden.

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“Immer wieder angepasste Erlasse und Richtlinien versuchen zu halten, was nicht mehr zu halten ist”

Der SLVN forderte konsequente Lösungen, ein «Ende der Flickschusterei» und einen «großen Wurf». Es sei Zeit, der Pandemie Covid-19 mit konsequenten Maßnahmen zu begegnen, um die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen zu schützen. Dies müsse präventiv und perspektivisch geschehen und mit Weitblick auf das gesamte Schuljahr. Die Pandemie habe den Schulbetrieb nachhaltig gestört und seit März 2020 für Unterrichtsausfälle und große Verunsicherungen in den Schulgemeinschaften gesorgt. «Ein Ende der Misere ist derzeit nicht ersichtlich», hieß es weiter. «Immer wieder angepasste Erlasse und Richtlinien versuchen zu halten, was nicht mehr zu halten ist: Dieses Schuljahr 2020/21 hinterlässt Defizite, die es nun mal zu akzeptieren gilt.» Es werde Zeit, diesem Umstand angemessen Rechnung zu tragen.

Abiturprüfungen absagen? Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, hält das für keine gute Idee. Bevor Prüfungen komplett ausfielen, wäre es besser, sie zu verschieben, sagte Beckmann. Beckmann spricht sich dagegen aus, pauschal alle Schüler zu versetzen und plädiert stattdessen für individuelle Lösungen.

Es gehe in erster Linie darum, den «Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden». Einige Schüler hätten in der Pandemie besondere Kompetenzen erworben, zum Beispiel das eigenständige Lernen. Diesen Punkt müsse man berücksichtigen. Dass Kinder nun ein «Notabitur» machen müssten und Prüfungen nicht vergleichbar seien, stimme so nicht, sagte Beckmann. Schülerinnen und Schüler hätten auch jetzt Leistungen erbracht, die zu bewerten seien. Für den Fall, dass Schüler das Gefühl hätten, aufgrund der Pandemie-Situation benachteiligt worden zu sein, müssten sie das Jahr wiederholen können, ohne dass es als «Sitzenbleiben» angerechnet würde, sagte er.

Außerdem brauche es «zur Unterstützung klare Konzepte und auch die Vernetzung unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche bis hin zu den Ministerien». Seit Monaten fordere er von der Kultusministerkonferenz (KMK), einen Rahmen zu schaffen, damit Lehrer wissen, wie sie die Leistungen während der Pandemie bewerten können.

“Wir werden uns innerhalb der KMK mit allen Bundesländern austauschen”

Die neue KMK-Präsidentin Britta Ernst, die am Donnerstag offiziell ihr Amt übernahm, sagte der Zeitung «Welt», Schülern in Deutschland trotz der Pandemie einen vollwertigen Abschluss ermöglichen zu wollen. «Wir werden uns innerhalb der KMK mit allen Bundesländern austauschen, wie wir unter Beibehaltung unserer gemeinsamen Standards das Abitur auch unter diesen Rahmenbedingungen gerecht durchführen können», sagte Ernst. «Ein Notabitur hätte fatale Folgen.» Der Forderung, den versäumten Lernstoff zu kompensieren, indem pauschal ein weiteres Schuljahr angehängt werde, erteilte die KMK-Chefin eine Absage. Ein Wiederholungsjahr sei «nicht notwendig. Wir müssen ja auch sorgfältig mit der Lebenszeit der jungen Menschen umgehen».

Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne wies das Ansinnen des Schulleitungsverbands zurück, ließ sich aber eine Hintertür offen: Das Ministerium halte nicht dogmatisch an den Prüfungen fest, sagte der SPD-Politiker.

«Mir liegt sehr daran, den Prüflingen auch in der gegenwärtig schwierigen Gesamtlage hochwertige Abschlüsse zuzusichern. Prüfungen zum jetzigen Zeitpunkt abzusagen, ist das falsche Signal», so Tonne (SPD). Er warnte davor, dass die Abschlüsse ohne Prüfung einen «Corona-Makel» bekommen könnten. Das sei nicht im Sinne der Schüler. «Es gilt, passgenaue Prüfungsformate anzubieten, um den Jugendlichen das Recht auf Prüfung einzuräumen.» Eine finale Planungssicherheit gebe es in der Pandemie allerdings nicht. «Wir hoffen sehr, dass sich durch den allgemeinen Shutdown die Gesamtlage derart stabilisiert, dass diese Planungen halten.»

“Es gilt das Motto: Im Zweifel für die Schüler!”, sagt Niedersachsens Kultusminister

Die Vorgaben für das Abitur stehen bereits auf dem Prüfstand. Alle Prüfungsaufgaben würden im Ministerium noch einmal auf ihre Angemessenheit geprüft und möglicherweise überarbeitet, heißt es in einem Schreiben an die Schulleitungen vom Dienstag. Zudem sollen Inhalte, die dem vierten Semester zugeordnet sind, teilweise nicht prüfungsrelevant sein, um Unwägbarkeiten für den noch bevorstehenden Unterricht im kommenden Halbjahr vorzubeugen. Mit den Maßnahmen soll die Durchführung des Zentralabiturs sichergestellt werden.

Mit Blick auf das Sitzenbleiben betonte Tonne, dass es bereits Erleichterungen für die Schüler gebe. Mit Zusatzleistungen könnten sie sich noch verbessern, wenn die Versetzung gefährdet ist. «Darauf haben sie ein Recht, das war vorher nicht so», erklärte der Minister. «Es gilt zudem das Motto: Im Zweifel für die Schüler!» Bei engen Entscheidungen müssten die Lehrer die besondere Lage berücksichtigen. «Das halte ich für situationsangemessen, ein generelles Aufrücken aller Schülerinnen und Schüler hingegen nicht», sagte Tonne.

Bundesschülervertretung: Einen «wirklich fairen und vergleichbaren Abschluss» könne es in diesem Jahr nicht geben

Die Bundesschülervertretung würde zumindest eine generelle Möglichkeit, das Sitzenbleiben in diesem Jahr auszusetzen, begrüßen. Die Fachlehrer müssten aber dann eine Beratung anbieten, sagte der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm. «Viele Schülerinnen und Schüler haben bereits so große Lücken, dass eine Wiederholung vermutlich mehr Sinn macht als der Versuch, diese Lücken in kurzer Zeit auszubessern.» Das Wissen, nicht sitzen bleiben zu können, könne «etwas Druck vom Kessel nehmen», sagte Schramm. Für die Abschlussklassen gelte das aber nicht. «Hier müssen wir Prüfungen so anpassen, dass sie der Situation entsprechend geändert werden.» Einen «wirklich fairen und vergleichbaren Abschluss» könne es in diesem Jahr nicht geben.

Unter den Eltern trifft die Debatte über das Sitzenbleiben indes auf ein geteiltes Echo. Der Bundeselternrat fordert in erster Linie mehr Präsenzunterricht und eine bessere Qualität des Distanzlernens. Eine «verstärkte Förderung in Problemfächern» könne im Einzelfall sinnvoller sein, als das Jahr zu wiederholen, teilte die stellvertretende Vorsitzende, Sabrina Wetzel, auf Anfrage mit. News4teachers / mit Material der dpa

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