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Scheeres muss zurückrudern – nach Protesten von Lehrern und Eltern sind schrittweise Schulöffnungen jetzt doch teilweise vom Tisch

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BERLIN. Hin und Her in Berlin: Nach tagelangem Streit sind die Pläne des Senats zur schrittweisen Öffnung der Berliner Schulen trotz Corona-Lockdowns teilweise vom Tisch. Das schulisch angeleitete Lernen zu Hause für Schüler der Klassen 1 bis 9 sowie für einige höhere Klassenstufen werde bis mindestens 25. Januar verlängert, teilte die Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) am Freitag mit. Bis dahin gilt keine Präsenzpflicht. Auch ein Brandbrief Berliner Gymnasiallehrer dürfte seine Wirkung nicht verfehlt haben.

Krach im Abgeordnetenhaus: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres steht unter Druck. Foto: Sandro Halank / Wikimedia Commons, (CC-BY-SA 3.0)

Am Mittwoch hatte der Senat beschlossen, den Lockdown bis 31. Januar zu verlängern, aber ab 11. Januar an Schulen für abschlussrelevante Jahrgänge generell wieder Wechselunterricht in kleinen Gruppen anzubieten. Ab 18. Januar sollten Grundschüler der Klassen 1 bis 3 folgen und dann Schritt für Schritt weitere Klassenstufen. Eine Woche nach den Winterferien sollte, so der Plan, der Präsenzunterricht ab 15. Februar für alle wieder regulär wie vor dem Lockdown laufen. Das ist jetzt erst einmal vom Tisch.

Für die Abschlussklassen 10, 12 und 13 an Gymnasien und Sekundarschulen sollen indes ab kommender Woche weiterhin Präsenzangebote in kleinen Gruppen möglich sein. Ob Wechselunterricht mit Lernen zu Hause und in der Schule angeboten wird oder alles über Homeschooling läuft, sollen die jeweiligen Schulen mit den Elternvertretern aber nun selbst entscheiden.

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Linke und Grüne machten dem Vernehmen nach Druck auf Scheeres

Am 19. Januar will der Senat darüber entscheiden, wie es ab dem 25. Januar mit dem Schulbetrieb an Grundschulen weitergeht. Bis dahin liegen wahrscheinlich verlässlichere Daten vor, wie sich die Feiertage auf das Corona-Infektionsgeschehen ausgewirkt haben und welche Rolle die neue Virus-Mutation spielt. Zudem sollen die Schulen sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern zusätzliche Förder- und Unterstützungsangebote unterbreiten, wie es hieß. An Grundschulen gibt es wie bisher eine Notbetreuung.

Der ursprüngliche Plan hatte viel Kritik etwa bei der Lehrergewerkschaft GEW, Schulleitern, Eltern- und Schülervertretern, aber auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition hervorgerufen. Ein Brandbrief von Gymnasiallehrern liegt News4teachers vor (siehe Beitrag unten). Angesichts dessen übten sich Koalitionäre am Freitag nach dpa-Informationen in Krisendiplomatie.

Linke und Grüne machten dem Vernehmen nach Druck auf Scheeres. Auch die neue SPD-Landeschefin, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey, und ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh schalteten sich ein. Schließlich wurde die neue Linie in einer langen Schalte unter anderem mit Scheeres und dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) abgesteckt. Grüne und Linke tragen den Kompromiss mit, wie aus ihren Reihen zu hören war. Scheeres erklärte zu dem neuen Plan: «Wir gehen damit auf die vielfach geäußerten Sorgen an Schulen ein. In den nächsten Wochen brauchen wir an den Schulen einen möglichst breiten Konsens, um den Herausforderungen durch die Pandemie zu begegnen.»

«Wir müssen jetzt konsequent und verantwortungsvoll handeln und den Gesundheitsschutz an oberste Stelle setzen»

Giffey begrüßte die neue Regelung. «Ich finde es richtig, dass Bildungssenatorin Sandra Scheeres jetzt nach Abstimmung in der Koalition beschlossen hat, die Präsenzpflicht an Berliner Schulen bis zum 25. 1. auszusetzen», erklärte die Bundesfamilienministerin. «Die aktuellen Infektionszahlen machen deutlich, dass wir uns noch immer in der schwersten Pandemielage befinden, die wir bisher erlebt haben.» Bei allem richtigen Bemühen um Bildungsgerechtigkeit dürfe die Rückkehr zum Präsenzunterricht daher nicht vorschnell erfolgen. «Wir müssen jetzt konsequent und verantwortungsvoll handeln und den Gesundheitsschutz an oberste Stelle setzen.»

Saleh verwies darauf, dass Berlin nun ähnlich handele wie das Nachbarland Brandenburg. «Damit ist ein einheitliches Vorgehen im Metropolenraum Berlin-Brandenburg sichergestellt.» Der CDU-Vorsitzende Kai Wegner sprach von einem «Scheitern mit Ansage». «Kurz vor knapp zieht Rot-Rot-Grün die Notbremse. Aber der Schaden ist bereits angerichtet», erklärte er. «Mit ihrem eigensinnigen Vorpreschen hat die SPD-Bildungssenatorin maximale Verunsicherung ausgelöst.» dpa

Der Brandbrief

In einem Brandbrief von 61 Berliner Gymnasiallehrern an den Senat, der News4teachers vorliegt, heißt es unter anderem:

“Seit der Verkündung der Senatsbeschlüsse zur schrittweisen Schulöffnung ab 11.01.2021 herrscht noch immer Entsetzen und Verständnislosigkeit, so auch bei uns im Kollegium. Dass der Arbeitsschutz von Lehrkräften und letzten Endes auch von SchülerInnen nicht ernst genommen wird, hat man in den vergangenen Monaten bereits zur Genüge zu spüren bekommen: Es werden keine Luftfilter installiert, stattdessen muss auch bei Minusgraden alle 20 Minuten für 5 Minuten gelüftet werden. Aushalten lässt sich dies nur mit von den Eltern gespendeten Decken und auch dann bleibt es eine Qual. SchülerInnen und Lehrkräfte müssen trotz Tragens mehrerer Kleidungsschichten tagsüber zuhause erst einmal ein heißes Bad nehmen um wortwörtlich wieder aufzutauen. Dass Heizungen stärker heizen sollen (passend zur Klimaerwärmung), muss erst bürokratisch beantragt werden und lässt sich dann aber bei der Dauerlüftung ohnehin nicht bemerken.

Regelmäßige Grundreinigungen und Desinfektionen muss man erkämpfen, Masken für SchülerInnen müssen nach den Sommerferien zunächst privat angeschafft werden, weil die Verteilung über den Senat nicht funktioniert. Im Dezember findet man dann eine einzeln verpackte FFP-2-Maske im Fach ohne Begleitschreiben oder wenigstens einen Versuch, aufmunternde oder gar dankende Worte für die Arbeit trotz erschwerter Bedingungen von der Schulsenatorin Sandra Scheeres zu erhalten. Aber die Krönung dieser ganzen Ignoranz des Arbeitsschutzes ist diese Woche durch das Hin und Her des Berliner Senats, allen voran des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, erfolgt.”

“Das Gefühl der Ohnmacht lässt uns an vielen Stellen verzweifeln und resignieren”

Weiter heißt es: “Für die AbiturientInnen da zu sein, finden wir richtig. Aber die Dringlichkeit der Unterrichtung von Klasse 10 und 11 erschließt sich uns in Abwägung gegen die obigen Argumente und derzeitige Pandemielage absolut nicht. Insbesondere in der Oberstufe mit dem herrschenden Kurssystem, wo sich also in großer Zahl permanent die Schülerschaft mischt, müssen sämtliche verzichtbaren Kontakte verhindert werden. Der in Klasse 10 anstehende MSA (bereits im März) wäre eine Möglichkeit, für Klarheit zu sorgen um auch hier Druck herauszunehmen. Wenn der Senat ohnehin schon darauf aus ist, den MSA an Gymnasien wegen fehlender Sinnhaftigkeit wieder abzuschaffen, warum dann nicht bereits jetzt in dieser angespannten Lage um Kontakte verzichtbar zu machen und Druck von SchülerInnen und unterrichtenden Lehrkräften zu nehmen?”

Darüber hinaus schreiben die Lehrkräfte: “Die Entscheidung, die Schulen in Berlin ab dem 11.01. wieder für Abschlussjahrgänge zu öffnen, stößt in unserem Kollegium – wie auch in vielen anderen Kollegien Berlins – auf Unverständnis und Entsetzen. Das Gefühl der Ohnmacht, den Folgen dieses wissenschaftlich nicht fundierten und nicht nachvollziehbaren Entschlusses ausgeliefert zu sein, lässt uns an vielen Stellen verzweifeln und resignieren. Der Tenor im Kollegium ist, dass wir als LehrerInnen durch die enorme psychische Belastung und stark gestiegene Arbeitsbelastung verheizt werden und dass unsere Gesundheit und die unserer Familien keine Rolle bei der Entscheidungsfindung spielt. Das gleiche gilt für die Gesundheit der Schülerschaft und ihrer Angehörigen.”

Riesenkrach um Teilöffnung der Berliner Schulen – auch innerhalb der Koalition

 

 

 

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