STUTTGART. Für Susanne Eisenmann ist es kein einfacher Auftritt gewesen. Eine Stunde lang stand die baden-württembergische Kultusministerin Schulleitern Rede und Antwort. In einer Zeit, in der sie für viele von ihnen ein rotes Tuch sein dürfte. Sie brauchen mehr Zeit – und die kann Eisenmann ihnen derzeit nicht geben. Sie brauchen auch einen halbwegs verlässlichen Rahmen – und den will ihnen Eisenmann derzeit nicht geben.
An sechs Stunden in der Woche steht Eva Marggraf im Klassenraum, sie schaut in die Kamera und bringt ihrer 7. Klasse Englisch bei. Schaltet sie die Kamera aus, beginnt der größte Teil ihrer Arbeit. Denn als Rektorin der Denkendorfer Albert-Schweitzer-Schule ist die 50-Jährige zwar eigentlich eine Lehrerin. In der Leitung der Verbundschule mit ihren weit mehr als 500 Schülerinnen und Schülern kommt sie sich aber nur selten so vor. Auf ihrem eigenen Stundenplan stehen Dienstgespräche mit Kolleginnen, dem Bürgermeister und Eltern, sie muss die Lehrpläne erstellen, auf die Finanzen achten und seit fast einem Jahr versuchen, die Corona-Auflagen des Landes zu erfüllen.
«Ich werde für 41 Stunden bezahlt, arbeite aber eigentlich 50 Stunden und oft noch mehr», sagt Marggraf. Freiraum und vor allem Planungssicherheit wären da bitternötig. Nicht nur für sie, sondern auch für etliche andere Schulleitungen an den landesweit 4200 Schulen.
“Der Schulleiter ist zum Kommunikator geworden, er muss leiten, planen und vermitteln”
Nach den Vorstellungen der GEW müssten Pädagogische Assistenzen und Lehramtsstudierende im laufenden Schuljahr eingesetzt und Schulleiterinnen wie Marggraf von Unterrichtsaufgaben freigestellt werden. Die zweite große Lehrergewerkschaft, der VBE, fordert, Schulleiter bis zu den Sommerferien zu entlasten. «Der Schulleiter ist zum Kommunikator geworden, er muss leiten, planen und vermitteln», sagte der VBE-Landeschef Gerhard Brand. «Er muss dafür sorgen, dass die Veränderungen in der Corona-Krise auch akzeptiert werden, sonst ist Feuer unterm Dach.»
Der nötige Freiraum sei möglich, wenn sich der Unterricht auf die Kernbereiche der Fächer konzentriere. «Warum müssen wir in diesen Pandemiewochen den Unterrichtsumfang voll beibehalten?», fragte Brand. «Müssen es drei Stunden Sport sein oder reichen auch zwei? Kann man nicht auf Gemeinschaftskunde verzichten zugunsten von Geschichte?» Auch Rektorin Eva Marggraf hält das zwar für möglich, allerdings dürfe sie das nicht selbst entscheiden. «Ich bin verpflichtet, mindestens vier Unterrichtsstunden zu geben.»
Das Kultusministerium kennt das Problem und hat auch ein Konzept vorgelegt, allerdings tritt es zum großen Teil erst später in Kraft. Ziel ist es vor allem, den Schulleitern auf längere Sicht mehr Zeit für ihre Leitungsfunktionen zu geben und ihre Pflicht, Unterricht zu erteilen, herunterzufahren. Geplant ist unter anderem eine Erhöhung der Leitungszeit und das Angebot einer flächendeckenden Schulverwaltungsassistenz für große Schulen. Das Kultusministerium hat aber angekündigt, dass diese Maßnahmen sich nicht zuletzt wegen der angespannten Unterrichtssituation «frühestens ab dem Schuljahr 2022/2023» auswirken dürften.
Kultusministerin Eisenmann: “Das Tempo macht Corona – und nicht wir”
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) stellte sich am Freitag auf einer Tagung der GEW zwar den Fragen und der Kritik der Rektorinnen und Schulleiter. Sie warb aber angesichts der Corona-Pandemie auch eindringlich um Verständnis. «Wir gehen davon aus, dass wir noch gemeinsam Geduld brauchen», sagte die CDU-Politikerin. Es werde noch Wochen dauern, bis die von allen gewünschte Normalität zurückkehre. «Das Tempo macht Corona – und nicht wir», sagte Eisenmann.
Planungssicherheit sei schwierig, wenn sich die Umstände so häufig und kurzfristig änderten. «Corona ist so dynamisch, dass wir nicht sagen können “Wir machen das erst in zwei Wochen”. Da muss man zügiger reagieren.» Eisenmann warb dafür, sich nicht nur an Zahlen wie den Sieben-Tage-Inzidenzen zu orientieren. «Das starre Festhalten an reinen Zahlen ist halt relativ schwierig, denn was mache ich, wenn diese Zahlen schwanken?» Sie forderte eine differenziertere Debatte. Verlässlicher Infektionsschutz müsse gekoppelt werden mit Planungssicherheit. «Da muss man einen Mittelweg finden.» News4teachers / mit Material der dpa
Nach der erneut verschobenen Öffnung von Kitas und Grundschulen fordern Gewerkschaften Konzepte für Erziehung und Unterricht bis zu den Sommerferien. «Insgesamt wäre es für alle Beteiligten einfacher, wenn die Schulen mehr Planungssicherheit bekommen würden», sagt die stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Ricarda Kaiser, im Vorfeld der GEW-Schulleitungs-Tagung in Stuttgart. Das fortwährende Erstellen neuer Stundenpläne, Hygiene- und Raumkonzepte sowie Organisationsstrukturen sei für alle anstrengend und zermürbend.
Niemand weiß so genau, nach welchen Kriterien die Landesregierung Schulschließungen oder -öffnungen verfügt
So gibt es in Baden-Württemberg – wie in den anderen Bundesländern – keine Koppelung von Schutzmaßnahmen in Kitas und Schulen an transparente Inzidenzwerte. Das Robert-Koch-Institut empfiehlt beispielsweise seit Monaten, Schulen über einem Inzidenzwert von 50 in den Wechselunterricht zu nehmen, um die Abstandsregel in den Klassenräumen einführen zu können, sowie eine generelle Maskenpflicht im Unterricht. Baden-Württemberg lehnt die Empfehlungen ab.
Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Landtagswahl im März, macht Druck, die Schulen unabhängig vom Infektionsgeschehen zu öffnen – Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bremst, lässt sich aber auch nicht in die Karten schauen. Die Folge: Niemand weiß so genau, nach welchen Kriterien die Landesregierung Schulschließungen oder -öffnungen verfügt; die Entscheidungen sind nicht vorhersehbar. In dieser Woche war – entgegen den Beschlüssen des jüngsten Bund-Länder-Gipfels – zunächst die Öffnung von Kitas und Grundschulen in Aussicht gestellt, dann aber doch wieder abgesagt worden, weil bei einem Corona-Ausbruch in einer Freiburger Kita eine Mutation nachgewiesen worden war. Die Bundesregierung warnt seit Wochen vor Corona-Mutationen.
Possenspiel – oder: Wie Kitas und Schulen im Superwahljahr instrumentalisiert werden