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Bund-Länder-Gipfel am Mittwoch: Treiben Ministerpräsidenten mit Präsenzunterricht um jeden Preis Deutschland in die dritte Welle?

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BERLIN. Als zwei ungebremst aufeinander zurasende Züge beschreibt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die steigenden Corona-Inzidenzzahlen und die Wünsche nach Lockerungen. Wohl nicht nur er erwartet schwierige Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch. Wieder mal ein Knackpunkt: die Schulen. Treiben Ministerpräsidenten mit Präsenzunterricht um jeden Preis Deutschland in die dritte Welle?  

Muss sich am Mittwoch wieder mit den Öffnungswünschen der Ministerpräsidenten herumschlagen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Foto: Shutterstock

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte angesichts der wieder steigenden Zahlen – mal wieder – zur Vorsicht. Es werde niemandem ein Gefallen getan, „wenn wir wieder schließen, was wir einmal aufgemacht haben“, sagte Merkel laut Teilnehmern in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. „Die Tatsache, dass wir jetzt eine dritte Welle haben, können wir nicht wegdefinieren.“ Sie stellte demnach dennoch mögliche Schritte für den allmählichen Ausstieg aus dem Lockdown vor. Es gebe drei Stränge, bei denen man Schritt für Schritt öffnen wolle, sagte Merkel nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur. Die Kanzlerin nannte dabei die persönlichen Kontaktbeschränkungen, den Wirtschaftsbereich – sowie die Bildung. Merkel schwebt offenbar ein Stufenplan mit festgelegten Inzidenzwerten vor.

„Für die Schulen sollten wir uns zutrauen, ab 8. März die nächsten Schritte zu gehen“

Merkel weiß um die Befindlichkeiten der Bundesländer, die die vorsichtige Kanzlerin vor allem vor allem in der Schulpolitik immer wieder auflaufen ließen. Auch jetzt, im Vorfeld des Bund-Länder-Gipfels in der kommenden Woche, baut sich wieder Druck auf. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) beispielsweise stellt bereits weitere Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen in Aussicht – konkret: Präsenzunterricht der 5. und 6. Klassen, zumindest im Wechsel. Derzeit haben im Norden nur Grundschulen und Abschlussklassen Präsenzunterricht.

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Die baden-württembergische CDU-Spitzenkandidatin und Kultusministerin Susanne Eisenmann geht noch weiter: Sie will den Schulbetrieb im Südwesten bald wieder weit öffnen – und zwar schnell. „Für die Schulen sollten wir uns zutrauen, ab 8. März die nächsten Schritte zu gehen.“ Heißt für sie konkret: voller Präsenzunterricht für die Primarstufe, Wechselunterricht für die Sekundarstufen.

Das Problem: Die zentralen Kennzahlen steigen weiter an. Bereits am Samstag stieg die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner um 1,2 auf 63,8. Das meldete das Robert Koch-Institut (RKI). Die Inzidenz war infolge des Lockdowns bis Mitte Februar gesunken – auf 57,4 zum Ende der zweiten Februarwoche. Seit vergangenen Sonntag lag sie dann wieder bis auf einen Tag konstant über 60.

Auch der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert stieg laut RKI-Angaben vom Samstag erneut um 0,03 Punkte auf 1,11. 100 Infizierte geben das Virus also rechnerisch an 111 weitere Menschen weiter. Der Wert bildet das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Unter eins flaut das Infektionsgeschehen ab – über eins nimmt es zu. Die ansteckendere und wohl auch tödlichere Mutation B.1.1.7 greift also weiter um sich. Der Mutations-Anteil stieg binnen zwei Wochen von knapp 6 auf mehr als 22 Prozent zum Ende der dritten Februarwoche.

„Ich glaube, dass wird eine besonders schwierige Woche werden“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Podcast von «The Pioneer». „Da rasen zwei Züge ungebremst aufeinander zu und wir wissen nicht, wie das noch zu lösen ist.“ Auf der einen Seite stehe der Wunsch nach Lockerungen – was auch zum Teil angekündigt wurde, so der Epidemiologe, auf der anderen Seite habe die dritte Welle begonnen. „Die Gefahr ist eben, dass wir in die dritte Welle hinein lockern.“

Ausgerechnet Kitas und Schulen bleiben bei Öffnungsschritten von einer Koppelung an Inzidenzwerte unberührt

Alle Beteiligten wüssten, dass die Situation ungefähr so sei, wie er sie gerade beschrieben habe, sagte Lauterbach. „Daher wird im Hintergrund fieberhaft daran gearbeitet, ein Konzept zu entwickeln, was zwar Lockerungen schon vorsieht, diese Lockerungen aber in einer Art und Weise gestaltet, dass also die dritte Welle nicht befeuert wird, sondern zumindest gestreckt wird, möglicherweise auch verhindert wird.“

Der Berliner Senat hat laut „Tagesspiegel“ einen Stufenplan erarbeitet und auch schon unter den SPD-regierten Ländern abgestimmt, der Öffnungsschritte – gekoppelt an das Infektionsgeschehen – vorsieht. Allerdings: Ausgerechnet Kitas und Schulen bleiben von dieser Koppelung unberührt. „Aufgrund der besonderen – insbesondere sozialen – Bedeutung des Bildungsbereichs sollte in Kitas sowie in Grundschulen (Jahrgangsstufen 1-3 bzw. 1-4) schrittweise Ausweitungen des Präsenzbetriebes möglich sein“, heißt es in dem Papier. Der Punkt steht unter der Überschrift: „Kurzfristige Perspektive“.

Was das bedeuten könnte, hat die hessische Staatskanzlei in einem eigenen Entwurf für einen Stufenplan konkretisiert. Der sieht für die Schulen bereits vor Ostern Präsenzunterricht in den Klassen 1 bis 6 und Wechselunterricht in den Klassen 7 bis 11 vor, ab Mai dann wieder einen vollständigen Regelbetrieb – ohne dafür ein bestimmtes Infektionsgeschehen zur Bedingung zu machen. Heißt: Geöffnet werden soll nach Datum, nicht nach Inzidenzwerten.

„Mein Ziel ist unverändert, so schnell wie möglich alle Schüler in den Wechselunterricht zurückzuholen”

Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) äußerte die Hoffnung, dass es zwischen den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin zu „gemeinsamen Perspektiven für die Kitas und Schulen kommt”. Sei dies nicht der Fall, behalte Niedersachsen sich vor, erneut auszuscheren und (wieder mal) einen Sonderweg zu wählen. Zwar betonte der Minister, der eigentlich schon für kommenden Montag weitere Schulöffnungen in Aussicht gestellt hatte, dass günstige Inzidenzwerte die Bedingung dafür seien. „Und da müssen wir leider feststellen, dass die vergangenen beiden Wochen nicht zufriedenstellend waren.“ Aber: „Mein Ziel ist unverändert, so schnell wie möglich alle Schüler in den Wechselunterricht zurückzuholen. Ich erinnere an unsere Erfahrungen mit den Grundschulen, die wir ja im Wechselmodell gelassen haben – und die sind wirklich gut.“

Eine erstaunliche Beurteilung der Lage: Tonne hatte diese Woche einräumen müssen, dass jede fünfte niedersächsische Schule trotz der Schutzvorkehrungen und Distanzunterricht für viele Klassen von aktuellen Corona-Fällen betroffen ist. Tonne beschwichtigte: Zwei Drittel dieser Schulen hätten allerdings jeweils nur eine einzige Infektion unter den Schülern gemeldet. Reihenuntersuchungen, die das belegen könnten, gab es allerdings nicht. Und: In Niedersachsen ist der Inzidenzwert laut Robert-Koch-Institut von 58 (am 14. Februar) auf aktuell 63 gestiegen. News4teachers / mit Material der dpa

Sind unsere Ministerpräsidenten überhaupt fähig, den Ernst der Lage zu begreifen? Ich fürchte: nein – ein Kommentar

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