BERLIN. In keiner anderen Berufsgruppe Deutschlands sind so viele Beschäftigte am Coronavirus erkrankt wie in der Altenpflege. Nur knapp dahinter: Beschäftigte in Gesundheitsberufen – gleichauf mit Erziehern/Sozialarbeitern. Dies geht aus einem aktuellen Branchenvergleich der Barmer hervor. Wie NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) heute bekanntgab, haben sich in den sechs Wochen seit Jahresbeginn nach offiziellen Daten allein in Nordrhein-Westfalen rund 600 Erzieherinnen und Erzieher mit dem Coronavirus infiziert. Er relativiert diese Zahl allerdings.
Im Januar seien bei Beschäftigten in den nordrhein-westfälischen Kindertageseinrichtungen 402 Infektionen festgestellt worden, und im Februar seien bislang 187 Infektionen diagnostiziert worden, so Stamp. Sein Ministerium rechnet vor: Insgesamt gebe es in den Kitas und in der Tagespflege im Land rund 168.000 Beschäftigte. Das soll offenbar bedeuten: Kleiner Anteil, nicht so schlimm.
Die Kitas in Nordrhein-Westfalen waren in den vergangenen Wochen trotz des Lockdowns geöffnet; es gab lediglich einen Appell der Landesregierung an die Eltern, ihre Kinder möglichst zu Hause zu lassen – dem nach Angaben des Familienministeriums Ende Januar drei von fünf Eltern folgten. Ab kommenden Montag, wie News4teachers hier berichtet, werden die Kitas wieder für alle Kinder geöffnet.
Stamp behauptet, dass auch Erzieherinnen mit Schnupfen erfasst worden seien – das ist falsch
Den Eindruck, dass Erzieherinnen und Erzieher gar nicht besonders gefährdet sind, versucht auch der Minister zu erwecken. Durch eine falsche Interpretation von Krankenkassenzahlen sei der Eindruck entstanden, so behauptet Stamp in einem Brief an Eltern, dass das Infektionsrisiko in Kitas besonders hoch sei. Das stimme aber so nicht. Bei den Zahlen der Krankenkassen sei es nicht allein um Covid-Fälle gegangen, sondern es seien alle Krankmeldungen etwa wegen Husten, Schnupfen oder Fieber eingeflossen, bei denen sich das Kita-Personal «in vorbildlicher Weise aus Vorsicht» beim Arzt gemeldet habe.
Dabei bezog sich Stamp offenbar auf eine Erhebung der AOK vom Dezember, über die News4teachers seinerzeit ausführlich berichtete. Erfasst wurden nach ausdrücklichen Angaben der Krankenkasse jedoch nur Fälle, bei denen der Arzt eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung im Zusammenhang mit einer Covid-19-Diagnose gestellt hatte – demnach sind also keineswegs alle Krankmeldungen in die Statistik eingeflossen, wie Stamp meint.
Das Ergebnis der AOK-Ergebung: Kita-Beschäftigte waren von März bis Oktober 2020 am stärksten von Krankschreibungen im Zusammenhang mit Covid-19 betroffen. In diesem Zeitraum hatten 2.672 je 100.000 Beschäftigte in dieser Berufsgruppe krankheitsbedingt im Zusammenhang mit Covid-19 an ihrem Arbeitsplatz gefehlt. Damit liegt deren Betroffenheit mehr als das 2,2-fache über dem Durchschnittswert von 1.183 Betroffenen je 100.000 AOK-versicherte Beschäftigte. Die Zahlen geben keinerlei Hinweis darauf, dass bei Erzieherinnen und Erzieher sich – anders als bei andere Berufsgruppen – schon wegen Husten oder Schnupfen Corona diagnostiziert worden wäre.
Und der AOK-Befund wird nun auch noch von einer aktuellen Analyse der Barmer Ersatzkasse gestützt, die gestern veröffentlicht wurde. Erwerbstätige in Erziehung, Sozialarbeit und Heilerziehungspflege waren mit jeweils 7,3 je 1.000 Barmer-versicherten im vierten Quartal 2020 wegen einer Covid-19-Infektion krankgeschrieben – sie liegen damit gleichauf mit den Beschäftigten in Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe und nur knapp hinter Erwerbstätigen in der Altenpflege (7,6 je 1.000 Erwerbstätige).
„Corona grassiert vor allem in Sozialberufen“, so ordnet Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer, das Ergebnis ein. „Deshalb ist es auch dringend erforderlich, dass sich die Beschäftigten konsequent impfen lassen, sobald sie an der Reihe sind und der Impfstoff verfügbar ist.“ Entwarnung klingt anders. News4teachers / mit Material der dpa
