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Philologen sind genervt von irreführenden Studien, die belegen sollen, dass Kitas und Schulen ohne Corona-Schutz sicher sind

MAINZ. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz zeigt sich genervt von Studien, die angeblich belegen, dass Schulen “keine Treiber der Pandemie” sind, aber schon aufgrund des Zeitraums der Datenerhebung kaum übertragbare Schlüsse auf das aktuelle Geschehen zulassen. Derzeit kursiert eine „Münchner Virenwächter-Studie“, die sich sogar (positive) Schlussfolgerungen auf das „Wirken der Hygienemaßnahmen in Kitas und Schulen“ zutraut – welche Hygienemaßnahmen, so fragen die Philologen zurück. In Kitas und Schulen gebe es praktisch keine, die vor Corona-Infektionen schützen würden.

Ist selbst ein gut gefüllter Klassenraum in der Pandemie kein Problem, wie manche Studien nahelegen? Foto: Shutterstock

Im Rahmen einer sogenannten „Münchner Virenwächter-Studie“ hatte ein Team von Medizinern seit Ende der Pfingstferien bis Ende Oktober 2020 in zwei Phasen die schrittweise Öffnung von zehn städtischen Grundschulen und Kindergärten in München im Hinblick auf SARS-CoV-2-Infektionen begleitet. Nach den Sommerferien waren nach dem Zufallsprinzip jeweils 20 Kinder und fünf Lehrer bzw. Erzieher mittels PCR-Diagnostik auf das SARS-CoV-2-Virus getestet worden. „Das Ergebnis der über 3.000 analysierten Proben: In der ersten Studienphase bis zu den Sommerferien zeigten sich keine Corona-Neuinfektionen bei Kindern und Lehrer*innen bzw. Erzieher*innen. In der zweiten Phase von September bis zu den Herbstferien gab es trotz steigender 7-Tage-Inzidenz (bis 150/100.000) nur zwei SARS-CoV-2-Fälle“, so berichten die Autoren um den Privatdozenten Dr. med. Ulrich von Both, Abteilung für pädiatrische Infektiologie der Kinderklinik und Kinderpoliklinik am Dr. von Haunerschen Kinderspital des LMU Klinikums.

Die Autoren lehnen sich mit ihren Schlussfolgerungen weit aus dem Fenster: „Auch in der zweiten Testphase hat sich gezeigt, dass die von den untersuchten Einrichtungen umgesetzten Hygienemaßnahmen greifen und dazu beitragen, das Infektionsgeschehen niedrig zu halten.“ Ihnen sei aufgefallen, dass trotz der im Raum München kontinuierlich steigenden Inzidenzrate kein vergleichbarer Trend in den teilnehmenden Einrichtungen zu beobachten gewesen sei. Lediglich in der letzten Testwoche Ende Oktober wurden zwei Infektionsfälle in einer Grundschule nachgewiesen. Studienleiter von Both meint deshalb: „Da es bei wöchentlicher Stichproben-Testung nur zwei positiv getestete Fälle in der letzten Studienwoche mit hoher Inzidenz in München gab, können wir für den Studienzeitraum ableiten, dass ‘gesunde’ bzw. asymptomatische Kinder, die in entsprechende Einrichtungen gehen, nicht signifikant zur Verbreitung des neuartigen Coronavirus beitragen, sondern allenfalls die epidemiologische Situation der Gesamtbevölkerung widerspiegeln.“

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„Es ist schwierig, wenn ständig neue Studienergebnisse zu Schulen publikumswirksam lanciert und fehlinterpretiert werden”

Ist also alles gut, nur weil zehn zufällig ausgewählte Kitas und Grundschulen in einer Zeit mit mildem Infektionsgeschehen nicht als Hotspots ausgemacht wurden? Das Robert-Koch-Institut warnt grundsätzlich vor allzu schnellen Schlussfolgerungen. „Zu beachten ist, dass neben der Empfänglichkeit für eine Infektion auch Anzahl und Art der Kontakte eine Rolle spielen. Da die Studien meist während oder im Anschluss an Kontaktbeschränkungen bzw. Lockdown-Situationen durchgeführt wurden, ist die Übertragbarkeit auf den Alltag begrenzt“, heißt es beim RKI mit Blick auf Untersuchungen, die vor den Sommerferien durchgeführt wurden.

Das gilt aber auch für Studien, die in und nach den Sommerferien erstellt wurden – in Zeiten also, in denen es in ganz Deutschland relativ wenige Infektionen gab, worauf der Philologenverband Rheinland-Pfalz nun hinweist. Landesvorsitzende Cornelia Schwartz warnt eindringlich davor, aus negativen Tests – wie so oft schon geschehen – die falschen Schlüsse zu ziehen. „Es ist schwierig, wenn ständig neue Studienergebnisse publikumswirksam lanciert und fehlinterpretiert werden. Dies gilt besonders dann, wenn Daten aufgrund der veränderten Lage, nämlich der viel höheren Inzidenz insgesamt und der Virusmutation, so nicht mehr verwendet werden können“, sagt sie.

In der Zeitung stehe schließlich Schwarz auf Weiß, dass Schulen keine Treiber der Pandemie seien

Schwartz erinnert sich: Noch Anfang Dezember hatte ein anderer Experte, Prof. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, bei einer Anhörung im rheinland-pfälzischen Bildungsministerium von praktisch coronafreien Schulen in Sachsen berichtet – wie jetzt die Münchner „Virenwächter-Studie“ wurde auch seine Studie zu einer Zeit der Niedriginzidenzphase durchgeführt. „Die Ausführungen von Prof. Kiess blieben daher wenig stichhaltig; unvergessen sein gutgemeinter Rat an die Zuhörerschaft: ‚Bitte lesen Sie Zeitung!‘ Dort stehe schließlich – und, so der Unterton, auch für Laien verständlich – Schwarz auf Weiß, dass Schulen keine Treiber der Pandemie seien. Dies war keine seriöse Argumentation“, sagt Schwartz.

Und sie fügt hinzu: „Es ist wirklich wichtig, dass wir alle begreifen, dass es nicht um die Frage geht, ob Kitas und Schulen nun Treiber der Pandemie sind oder nicht – bei der momentanen Inzidenzlage ist es schon zu viel, wenn Kitas und Schulen einen den üblichen Durchschnittswerten entsprechenden Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten.“ (Warum auch Prof. Christian Drosten, Chef-Virologé an der Berliner Charité, den Begriff “Treiber der Pandemie” für unsinnig hält, berichtet News4teachers aktuell hier.)

Markus Scholz, wie Kiess Professor an der Universität Leipzig, wies noch in der gleichen Expertenkonferenz auf den logischen Fehler in den Schlussfolgerungen seines Kollegen hin: Wenn es in einer ganzen Region insgesamt kaum Infektionsgeschehen gibt, ist auch entsprechend wenig Infektionsgeschehen an Schulen beobachten. Daraus lasse sich jedoch nicht folgern, dass es prinzipiell kein Infektionsgeschehen an Schulen geben könne.

“Wir müssen endlich begreifen, dass Schulen und Kitas das Infektionsgeschehen in der Gesellschaft abbilden”

Wörtlich erklärte Scholz: „Im Vergleich zur ersten Welle im Frühjahr sehen wir in der zweiten einen deutlichen, qualitativen Unterschied nämlich, dass die Altersgruppe 0-15 jetzt wesentlich stärker betroffen ist. Auch unter Berücksichtigung geänderter Teststrategien lässt dies auf ein verstärktes Infektionsgeschehen im Schul- bzw. Kitakontext schließen. Es wurden zudem bereits Hunderte von Ausbrüchen an Schulen gemeldet, teilweise auch mit beträchtlichen Clustergrößen, wie z.B. in Sachsen. Es ist zu befürchten, dass wir dabei nur die Spitze des Eisbergs sehen, da Gruppen nicht mehr überall konsequent getestet werden – selbst bei Kategorie 1 Kontakten. Wenn zum Beispiel in Klassen mit einem Indexfall nur quarantänisiert aber nicht weiter getestet wird, erscheint dies in den Statistiken dann fälschlicherweise als ‘Beleg’ für eine Nichtübertragung innerhalb der Klasse. Dies führt zu einer Verzerrung der Datenlage mit möglichen Fehleinschätzungen der tatsächlichen Problematik.“

Fazit von Philologen-Landeschefin Schwartz: “Wir müssen endlich begreifen, dass Schulen und Kitas das Infektionsgeschehen in der Gesellschaft abbilden: Auch Kitas und Schulen leisten als größere Veranstaltungen mit teilweise engem Kontakt ihren Beitrag zur Pandemie, vor allem, wenn keine entsprechenden Schutzmaßnahmen ergriffen werden.” News4teachers

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