Website-Icon News4teachers

RKI-Lagebericht weist immer mehr Ansteckungen unter Kita-Kindern und Schülern aus – Fünf- bis Neunjährige schon bei Inzidenz 177

BERLIN. Die Zahlen der Corona-Neuinfektionen unter Kindern und Jugendlichen steigen weiter drastisch. Wie der gestern Abend erschienene Lagebericht des Robert-Koch-Instituts ausweist, liegt die Inzidenz unter Kita-Kindern bei mittlerweile 125 – in der Vorwoche war sie erst auf einen Wert über 100 gestiegen. Auch bei den älteren Schülern zeigt sich die Entwicklung. Mit einem Inzidenzwert von 179 rangieren sie mittlerweile weit über dem Bevölkerungsschnitt (138) – in der Vorwoche hatten sie erst bei 141 gelegen. Hat die enorme Steigerung schlicht damit zu tun, dass seit Kurzem mehr getestet wird? Offenbar nicht.

Gibt es nur mehr Corona-Fälle unter Kindern, weil mehr getestet wird? Offenbar nicht. Foto: Shutterstock

Auffällig ist vor allem die Entwicklung der Inzidenz in der Altersgruppe bis fünf Jahre. Ihren bisherigen Spitzenwert erreichte das Ansteckungsniveau bei den Kita-Kindern in der zweiten Welle vor Weihnachten mit einem Wert von 78,6 Neuinfektionen binnen sieben Tagen auf 100.000 Personen. In der vergangenen Woche stieg dieser selbst in dieser Gruppe, bei der Eltern noch viel Einfluss auf die Kontakthäufigkeit haben, auf 108 – und damit erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland über dem Schwellenwert von 100. Jetzt, im aktuellen Lagebericht, weist diese Gruppe einen Wert von 125 aus.

In der Gruppe der Fünf- bis Neunjährigen, der Grundschüler also, liegt die Inzidenz mit 177 (Vorwoche: 128) mittlerweile sogar deutlich über der der Gesamtbevölkerung mit 138 (Vorwoche: 111) – und fast so hoch wie bei den Jugendlichen. Auch die Zehn- bis 14-Jährigen haben einen deutlichen Sprung gemacht: von 78 auf 152 – in nur zwei Wochen. Am schlimmsten sieht es aber bei den 15- bis 20-Jährigen aus, den älteren Schülern also. Bei ihnen liegt die Inzidenz mittlerweile bei 179 (Vorwoche: 141) – vor fünf Wochen, vor Beginn der Schulöffnungen also, lag sie in dieser Altersgruppe lediglich bei 54.

Anzeige

Das Robert-Koch-Institut hat die Alterseinteilung in den beiden jüngsten Gruppen leicht verändert. Sie umfasst jetzt die 0- bis Vierjährigen (vorher 0- bis Fünfjährige) und die Fünf- bis Neunjährigen (vorher Sechs- bis Zehnjährige). Immer dienstags veröffentlicht das RKI Daten zu unterschiedlichen Altersgruppen. Alles in allem resümiert die Bundesbehörde für die Kita-Kinder und Schüler: „Besonders deutlich ist der Inzidenzzuwachs bei Kindern und Jugendlichen zwischen 0-14 Jahren.“ Schon im Lagebericht der vergangenen Woche hieß es: „Der stärkste Anstieg ist bei Kindern zwischen 0-14 Jahren zu beobachten, wo sich die 7-Tage-Inzidenzen in den letzten vier Wochen mehr als verdoppelt haben.“

Die Daten scheinen die Kita- und Schulöffnungen zu spiegeln: Seit Februar läuft der Präsenzbetrieb an Kitas, Grundschulen und Abschlussklassen wieder, seit Kurzem auch in vielen weiterführenden Schulen in Deutschland. „Die Strategie der Kultusministerkonferenz, die Schulen und Kitas so schnell wie möglich zu öffnen und so lange wie möglich offen zu halten, ohne jedoch für ausreichenden Gesundheitsschutz zu sorgen, ist krachend gescheitert“, hatte die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland bereits in der vergangenen Woche festgestellt. Und: „Schulen und Kitas werden zu Pandemietreibern.“

„Bei Entscheidungen über den Schulbetrieb ist daher perspektivisch zu prüfen, das Kriterium der Inzidenz um weitere Kriterien zu ergänzen“

Stimmt das? Oder werden einfach nur deshalb mehr Kinder mit Corona-Infektionen registriert, weil in immer mehr Schulen schnellgetestet wird? Die Kultusministerkonferenz legt das nahe – in ihrem jüngsten Beschluss heißt es: „Die ausgeweitete Testung von Kindern und Jugendlichen dient dem Ziel, den Schulbesuch für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte sicherer zu machen und Infektionen zu identifizieren. Dadurch kann eine höhere Zahl von festgestellten Infektionen hervorgerufen werden und sich die Inzidenz in den Ländern erhöhen. Bei Entscheidungen über den Schulbetrieb ist daher perspektivisch zu prüfen, das Kriterium der Inzidenz um weitere Kriterien zu ergänzen.“

Auch Ärzte behaupten das. Die Schnelltests in den Schulen seien für die steigenden Inzidenzen verantwortlich, glaubt etwa Prof. Dr. Wieland Kiess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Leipziger Uniklinikum. Er sagt dem „Mitteldeutschen Rundfunk“: „Im Moment wird sehr viel ungezielt getestet. Wir könnten also auch die Hypothese formulieren: Wir finden jetzt mehr positive Kinder, die aber nicht krank sind, weil wir halt sehr viel testen.“

Allerdings: Bislang wurden Kinder und Jugendliche eher zu wenig getestet, weil sie bei Corona-Infektionen nur selten Symptome zeigen. „Es ist nicht ganz klar, wie groß die Dunkelziffer ist. Aber wir wissen, dass die bei Kindern sehr viel höher ist als bei Erwachsenen. Eine Studie aus München hat die Dunkelziffer auf etwa Faktor 6 geschätzt, während wir bei Erwachsenen von etwa 2-3 ausgehen. Und wenn man das mit draufrechnet, dann sind Kinder und Jugendliche zurzeit die am stärksten von Covid-19 betroffene Altersgruppe“, sagt Prof. Markus Scholz von der Universität Leipzig gegenüber News4teachers. Wahrscheinlich ist also, dass der Beitrag von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie bislang deutlich unterschätzt wurde – und nun eben realistischer gesehen wird.

Ein genauer Blick auf die Entwicklung zeigt zudem: Schon zeitlich kommt es kaum hin, dass die Schnelltests an Schulen die vom RKI aktuell veröffentlichten Inzidenzwerte nach oben getrieben haben. Die Schnelltests wurden auf dem Bund-Länder-Gipfel am 3. März beschlossen. Die Kultusministerien haben allerdings Wochen für die Umsetzung benötigt, die bis heute nicht flächendeckend erfolgt ist – erst langsam sind die Tests an Schulen angelaufen, jetzt sind fast in allen Bundesländern Osterferien. Wenn überhaupt, dann können darin nur wenige Ergebnisse der angelaufenen Testaktionen an Schulen eingeflossen sein.

„Wir sind sehr überzeugt davon, dass Schulen und Kitas ein wesentlicher Faktor in der Pandemie sind“

Dazu kommt: In Kitas wird überhaupt nicht getestet. Aber auch unter Kita-Kindern werden immer mehr Infektionen registriert. Bereits vor zwei Wochen hatte RKI-Chef Prof. Lothar Wieler deshalb Alarm geschlagen, wie News4teachers berichtete – und sie in Zusammenhang mit dem Öffnen der Bildungseinrichtungen gebracht. Wieler sprach davon, dass derzeit sogar mehr Kita-Ausbrüche beobachtet würden als vor Weihnachten, kurz vor dem Lockdown also. Pro Kita-Ausbruch gebe es auch mehr Infizierte. Es könne sein, dass die ansteckendere Corona-Variante B.1.1.7 hier eine Rolle spiele, mutmaßt Wieler. Der Anstieg, so Wieler, hänge jedenfalls nicht mit vermehrtem Testen zusammen.

Das legt auch eine aktuelle Meldung aus Nordrhein-Westfalen nahe: Die Zahl der Kita-Kinder mit Corona-Infektionen hat sich dort innerhalb weniger Wochen verdreifacht, bei Beschäftigten in Kindertageseinrichtungen hat sie sich mehr als verdoppelt, wie aus Zahlen des NRW-Familienministeriums hervorgeht. Wie das Ministerium auf Anfrage mitteilte, meldeten die Landesjugendämter für den Monat März (Stichtag: 25.3.) 1.291 Kinder und 1048 Kita-Beschäftigte mit Coronavirus-Infektionen. Für den Monat Februar waren lediglich 428 infizierte Kinder und 692 infizierte Beschäftigte gemeldet worden – für Januar sogar nur 181 Infektionen bei Kita-Kindern und 421 bei Beschäftigten. In den NRW-Kitas werden Kinder nicht getestet.

Der Epidemiologe Scholz sieht einen klaren Zusammenhang zu den Schul- und Kitaöffnungen. Er berichtet aus Sachsen, wo er und sein Team vom Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie für die Landesregierung die Entwicklung beobachten: „Seitdem die Schulen geöffnet sind, steigen dort im Alterssegment der Schüler die Zahlen rapide. Wir hatten dort innerhalb von nur 3 Wochen eine Verdreifachung der Inzidenz, während alle anderen Altersgruppen nicht oder nur minimal stiegen. Das betrifft auch den Kita-Bereich. Auch bei den Kleinkindern steigen die Infektionszahlen massiv an.“

Scholz betont: „Diese Entwicklungen zeigen deutlich, dass viele Infektionen aus den Kitas und Schulen kommen müssen. Wir sind sehr überzeugt davon, dass das ein wesentlicher Faktor in der Pandemie ist.“ News4teachers

Hier geht es zum aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts vom 30. März 2021.

Wissenschaftler fordern: Kultusminister – hört auf, Märchen zu erzählen! Sorgt endlich für Corona-Schutz in Kitas und Schulen!

Die mobile Version verlassen