DÜSSELDORF. Der Streit um offene Kitas und Schulen in Nordrhein-Westfalen geht in die nächste Runde – und entwickelt sich zur Groteske. Die FDP-Minister Gebauer und Stamp beharrten gestern im Landtag auf der These, Kitas und Schulen seien keine „Hotspots“ im Infektionsgeschehen. Am Abend erlaubte dann die Staatskanzlei dem ersten Kreis im Land, den Präsenzunterricht an den Schulen aufgrund hoher Inzidenzzahlen einzuschränken. Der Städtetag beklagt, dass eine klare Linie fehlt: «Erzieherinnen und Erzieher und Lehrkräfte fragen sich, ob Kitas und Schulen nächste Woche noch offen sind.»
Chaos pur: Schulministerin Yvonne Gebauer und Familienminister Joachim Stamp (beide FDP) wehrten am Donnerstag in Düsseldorf Schließungswünsche einzelner Städte und Kreise ab. Sie bekräftigten: Die nordrhein-westfälische Landesregierung halte an offenen Kitas und Schulen fest – um am Abend dann doch dem ersten Kreis zu erlauben, den Präsenzunterricht einzuschränken. Im Kreis Düren kehren die weiterführenden Schulen mit Ausnahme der Abschlussklassen in der kommenden Woche zum Distanzunterricht zurück, wie der Kreis und die Staatskanzlei am Donnerstagabend mitteilten. Die Landesregierung habe einen entsprechenden Antrag des Kreises genehmigt.
«Das Land war dieses Mal direkt empfänglich für unsere guten Argumente»
Der Kreis Düren hatte am Donnerstag bereits den zweiten Antrag in diesem Monat beim Land gestellt, den Präsenzunterricht ausfallen zu lassen. Trotz bereits in Teilen des Kreises geltenden verschärften Regelungen liege die Inzidenz seit mehr als drei Wochen bei etwa 130 und im Stadtgebiet aktuell jenseits der 200. «Wir müssen deshalb weiter reagieren», sagte Landrat Wolfgang Spelthahn. Es falle nicht leicht, wieder zum Distanzunterricht zurückzukehren. «Die hohen Ansteckungsraten lassen uns keine Wahl.» Nach dem positiven Bescheid vom Land bedankte sich Spelthahn noch am Abend: «Das Land war dieses Mal direkt empfänglich für unsere guten Argumente», sagte er laut Mitteilung.
In anderen Fällen ist es das nicht: Der Entscheidung vorausgegangen waren zunächst vehement vom Land abgelehnte Forderungen aus mehreren Städten, angesichts steigender Infektionszahlen die Öffnungen der weiterführenden Schulen bis zu den Osterferien auszusetzen oder zurückzufahren. Wie auch der Oberbergische Kreis hatte der Kreis Düren seit Montag vergeblich beantragt, die Öffnung bis nach den Osterferien auszusetzen. Weitere Vorstöße aus Dortmund und Duisburg in dieser Woche, Schulen wieder dicht zu machen und/oder Kitas in den Notbetrieb zu nehmen, schmetterte das Land bislang ab.
«Wir müssen wissen, bei welcher Inzidenz die Lage so gravierend ist, dass landesweit gebremst wird»
Warum darf Düren jetzt als bislang einzige Kommune den Schulbetrieb einschränken? Aus der Staatskanzlei hieß es zur Begründung der Entscheidung, der Kreis Düren habe seine ersten Überlegungen für Maßnahmen im Schulbereich ausdifferenziert und nun eine umfassend begründete Gesamtkonzeption vorgelegt. Auch weil der Kreis bereits andere zusätzliche Maßnahmen eingeführt habe, erscheine eine «begrenzte Aussetzung des Wechselunterrichts angemessen und geboten».
Der Städtetag NRW kritisiert dagegen unklare Kriterien, nach denen das Land entscheidet. In der Debatte um Schul- und Kitaschließungen in Nordrhein-Westfalen wegen hoher – und fordert von der schwarz-gelben Regierung mehr Verlässlichkeit und Planbarkeit. «Auch die Städte brauchen Sicherheit», sagte Geschäftsführer Helmut Dedy. «Wir müssen aber vom Land wissen, bei welcher Inzidenz die Lage so gravierend ist, dass landesweit gebremst wird», sagte Dedy. Dynamischer Anstieg der Infektionszahlen, Ausbreitung der Mutationen, Impfverzögerungen – die Lage habe sich verändert und müsse neu bewertet werden. Auch Städte und Kreise, die lokal vom Präsenzunterricht abweichen wollten, bräuchten klarere Kriterien als bisher.
Schulministerin Yonne Gebauer (FDP) hatte zuvor erklärt: Es müsse über einige Tage hinweg eine Wocheninzidenz von über 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen geben – dann sei ein Antrag auf «Schließung einzelner Schulen oder tatsächlich aller Schulen» möglich. Ob der allerdings auch genehmigt wird, ist fraglich. Die Landesregierung behält sich das letzte Wort vor. Die Entscheidungsgrundlage ist unklar. «Schulschließungen können eingebettet in ein Gesamtkonzept einen Beitrag zum Infektionsschutz vor Ort darstellen», so heißt es in einem Erlass von gestern. Sie dürften aber «nur das letzte und nicht das erste und alleinige Mittel der Wahl sein.»
Stamp: «Keine Situation, die aus dem Ruder gelaufen ist» – Gebauer: «Schulen sind keine Hotspots»
Im Familienausschuss des Landtags machten Gebauer und Stamp gestern ihren Unwillen deutlich, auf die steigenden Infektionszahlen zu reagieren. Stamp warnte davor, Kindertageseinrichtungen «als Pandemietreiber zu inszenieren» und damit Ängste zu schüren. Es sei aber auch nicht so, dass Kitas völlig infektionsfrei seien: Während im Februar 1,8 Prozent der rund 10 000 Kitas in NRW zeitweise teils oder ganz geschlossen gewesen seien, sei dieser Anteil von Anfang bis Mitte März auf 2,5 Prozent gestiegen. «Aber es ist keine Situation, die aus dem Ruder gelaufen ist», betonte Stamp.
Zum Vorstoß einzelner Städte und Kreise, Schulen wegen hoher Neuinfektionsraten zu schließen sagte Gebauer, die Bildungsstätten seien «nach wie vor keine Hotspots». Das Infektionsgeschehen dort sei «nicht überproportional». Ihr Beleg: Landesweit habe keine einzige Schule geschlossen.
Unterdessen ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner im landesweiten Schnitt am Donnerstag erneut deutlich gestiegen. Nach Angaben des Landeszentrums Gesundheit NRW lag sie bei 92,1. Am Mittwoch hatte die wichtige Kennziffer noch bei 85,1 gelegen. Bund und Länder hatten sich in den vergangenen Beratungen auf eine «Notbremse» beim Überschreiten einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 verständigt. Dann sollen automatisch wieder härtere Anti-Corona-Maßnahmen gelten. Nach Angaben des Landeszentrums für Gesundheit lagen am Donnerstag inzwischen 19 kreisfreie Städte und Kreise über der Schwelle von 100 – also mehr als ein Drittel in NRW. News4teachers / mit Material der dpa