BERLIN. Ein auffälliges Muster: Vor jedem Bund-Länder-Gipfel, auf dem über Schulen in der Corona-Krise entschieden werden soll, macht ein SPD-geführtes Bildungsministerium Stimmung – so auch heute. Veröffentlicht werden die Ergebnisse angeblicher Studien, die ein niedriges Infektionsrisiko im Schulbetrieb belegen sollen. Nachfragen, wie die behaupteten Daten zustande gekommen sind, werden nicht beantwortet. Gibt es eine Absprache unter SPD-Kultusministern, die Video-Konferenzen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten mit gedrechselten Zahlen zu Ansteckungen von Lehrern und Schülern zu beeinflussen? Der Verdacht liegt nahe.
Hamburg, 19. November, in der SPD-geführten Hamburger Bildungsbehörde.
Sechs Tage vor dem Bund-Länder-Gipfel, auf dem über die Schulen entschieden werden soll, tritt Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) mit einer bemerkenswerten Botschaft vor die Presse. Recherchen der Gesundheitsämter, der Schulleitungen und der Schulbehörde hätten ergeben, „dass 85 bis 90 Prozent der Infektionen von Schülerinnen und Schüler zu Hause oder in der Freizeit erfolgten – und eben nicht in der Schule. Das Risiko, sich außerhalb der Schule zu infizieren, ist rund acht Mal höher als eine Infektion in der Schule. Forderungen, die Ferien zu verlängern oder die Schulen zu schließen, sind angesichts dieser Zahlen nicht nur pädagogisch, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen kontraproduktiv und nicht nachzuvollziehen.“
Die Behauptungen des Bildungssenators stoßen unter Journalisten auf Skepsis, weil Rabe die Herkunft der Daten nicht transparent macht. (So schreibt der “Tagesspiegel” am Tag darauf von “Hamburger Zahlenspielen, um die Schulen offen zu halten”.) Auf der Pressekonferenz der Bundeskanzlerin zum „Lockdown light“ am 28. Oktober war erklärt worden, dass 75 Prozent der Infektionen von den Gesundheitsämtern in Deutschland nicht nachvollzogen werden können – wieso konnte das in der Hansestadt angeblich so viel besser gelingen?
News4teachers will von der Pressestelle der Bildungsbehörde wissen: Wie kommen die Hamburger Daten zustande? Die antwortet: „In Hamburg kooperieren die Schulleitungen sehr eng mit den regionalen Gesundheitsämtern bei der Kontaktnachverfolgung. Insofern verfügen wir, im Rahmen dessen was aktuell überhaupt möglich ist, über eine sehr gute Datenbasis zum Infektionsgeschehen an Schulen.“ Nachfragen der Redaktion: Werden denn bei einem Infektionsgeschehen in einer Schule alle Schüler und Lehrer der Schule getestet, sodass Sie zumindest bei Einzelinfektionen ausschließen können, dass die Infektion in der Schule oder auf der Fahrt dahin stattfand? Und wie erklären Sie sich die Ausbrüche an Hamburger Schulen? Die Nachfragen von News4teachers bleiben unbeantwortet.
Ortswechsel: Schwerin, Pressestelle des SPD-geführten Bildungsministeriums.
Am 14. Januar kündigt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an, sie wolle den nächsten Bund-Länder-Gipfel, auf dem über die Verlängerung von Kita- und Schulschließungen beraten werden soll, um eine Woche vorziehen.
Am gleichen Tag meldet die Deutsche Presseagentur unter der Überschrift „Studie aus Mecklenburg-Vorpommern: Schulen sind keine Pandemietreiber“: „Schulen sind nach Erkenntnissen von Medizinern aus Mecklenburg-Vorpommern keine Pandemietreiber. Verantwortlich für Infektionen bei Schülern seien insbesondere ungeordnete Zusammenkünfte außerhalb des Haushaltes und der Schule, heißt es in einer Studie von Medizinern der Universitäten Rostock und Greifswald sowie dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus). ‚Es gibt derzeit aus infektionsepidemiologischer Sicht keinen Grund für präventive oder reaktive Schulschließungen in Mecklenburg-Vorpommern‘, hieß es.“
Weiter ist in dem Bericht zu lesen: „Bildungsministerin Bettina Martin (SPD), die die Studie in Auftrag gegeben hat, sagte, dass das Infektionsgeschehen an den Schulen nicht Halt macht. Allerdings habe sich in den meisten Fällen die Ausbreitung des Virus innerhalb der Schule in Grenzen gehalten. Das Hygienekonzept an den Schulen habe bisher gut gegriffen.“
News4teachers hakt nach. Die Redaktion will von der Pressestelle des Bildungsministeriums wissen: Bekanntlich können die Gesundheitsämter in Deutschland die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehen. Wie kommen die Autoren zu der Aussage, Verantwortlich für Infektionen bei Schülern seien insbesondere ungeordnete Zusammenkünfte außerhalb des Haushaltes und der Schule? Und woher weiß die Ministerin, dass das Hygienekonzept an den Schulen gut gegriffen hat – gab es Reihenuntersuchungen von Schülern und Lehrern in den betroffenen Schulen? Gab es Reihenuntersuchungen der betroffenen Familien? Überhaupt: Wie lautete denn der genaue Auftrag des Bildungsministeriums an die Universitäten Rostock und Greifswald sowie das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lagus)?
Antwort der Pressestelle: „Die Zahlen des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, die auf den Zahlen der kommunalen Gesundheitsämter beruhen, ergeben das eindeutige Bild, dass die Infektionszahlen von Schülern, so genannte Indexfälle, nur sehr wenig Folgefälle nach sich gezogen haben.“ Weitere Auskünfte erteile die Pressestelle der Universitätsmedizin Rostock. Die ist telefonisch tagelang nicht erreichbar und antwortet auch auf eine Mail der Redaktion hin nicht.
Ortswechsel: Mainz, Pressestelle des SPD-geführten Bildungsministeriums.
Am heutigen 1. März – zwei Tage vor dem Bund-Länder-Gipfel, auf dem über weitere Schulöffnungen beraten werden soll –, kommt die Deutsche Presseagentur mit der Meldung: „Studie: Relativ niedriges Corona-Übertragungsrisiko an Schulen“. Darin heißt es: „Das rheinland-pfälzische Landesuntersuchungsamt hat bei einer Studie an Schulen und Kitas des Bundeslandes ein Corona-Übertragungsrisiko von durchschnittlich 1,3 Prozent festgestellt. ‚Dieses vergleichsweise niedrige Risiko spricht dafür, dass die bislang ergriffenen Maßnahmen wirken‘, heißt es in der am Montag veröffentlichten Studie. Möglicherweise sei die Zahl sogar niedriger, da die Untersuchung nicht zwischen Übertragungen an der Schule und in der Freizeit unterscheiden könne. Wie sich eine Ausbreitung von Virusvarianten auf das Übertragungsrisiko auswirken werde, müsse sich in einer Fortführung der Untersuchung zeigen.“
Die angebliche Studie ist nicht neu. Immer wieder hat Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD), die die Untersuchung in Auftrag gegeben hat, auf die vermeintlichen Ergebnisse verwiesen (so am 15. November – einen Tag vor dem Bund-Länder-Gipfel am 16. November also).
Am 14. Januar hakt deshalb die Redaktion von News4teachers bei der Pressestelle des Ministeriums nach – und fragt: Bekanntlich können die Gesundheitsämter in Deutschland die Infektionsketten nicht mehr nachvollziehen. Wie kommt das rheinland-pfälzische Landesuntersuchungsamt (LUA) zu der Aussage, das Ansteckungsrisiko für Kinder und Betreuer in Kitas Schulen liegt bei knapp unter einem Prozent (wie seinerzeit behauptet wurde)? Hat es Reihenuntersuchungen von Schülern und Lehrern in den betroffenen Schulen gegeben? Wie lautete der genaue Auftrag an das LUA? Wieso wurde in Rheinland-Pfalz der Präsenzunterricht an den Schulen überhaupt eingestellt, wenn das Ansteckungsrisiko innerhalb der Kitas und Schulen kleiner sein soll als außerhalb?“
Antwort der Pressestelle vom 15. Januar: „Bei der von Ihnen angesprochenen Untersuchung handelt sich um eine Studie des Landesuntersuchungsamtes und nicht des Bildungsministeriums. Deswegen warte ich zu Ihren Fragen auf Antwort des Landesuntersuchungsamtes. Sobald diese vorliegen, werden wir uns melden.“ Die Antworten sind bis heute nicht in der Redaktion eingegangen. News4teachers
Nachtrag: Das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz hat sich nach Erscheinen des Beitrags bei der Redaktion gemeldet und bestritten, dass es sich bei der Studie um eine Auftragsarbeit für das Bildungsministerium handelt – wir berichten umfassend darüber, und zwar hier.
Dieser Beitrag wurde mit Unterstützung der Leserinnen und Leser von News4teachers realisiert.
Mehr Informationen dazu – gibt es hier.