BERLIN. Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft GEW sind weitere Schritte zur Öffnung der Berliner Schulen angesichts der Corona-Pandemie ein zu hohes Risiko. «Wir sehen das total kritisch», sagte der Berliner GEW-Vorsitzende Tom Erdmann am Dienstag. «Es ist nicht gerechtfertigt, über weitere Schulöffnungen zu diskutieren – im Gegenteil. Wir werden uns eher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob wir Schulen und Kitas nicht wieder schließen müssen.» Das Aussetzen der Impfungen von Lehrkräften und Erziehern trage einen nicht unerheblichen Teil dazu bei.
In Berlin sollen am Mittwoch die Klassen 10 bis 13 regulär Wechselunterricht bekommen, also zumindest zum Teil in den Schulen sein. Für die 7. bis 9. Klassen hat die Bildungsverwaltung das für die Zeit nach den Osterferien angekündigt. Nach dem Impfstopp für das Astrazeneca-Präparat, das auch für Corona-Impfungen von Erziehern und Lehrkräften vorgesehen war, fürchtet die GEW, die Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen seien einem nicht akzeptablen Risiko ausgesetzt, sich in der Schule mit dem Coronavirus zu infizieren.
«Die Impfungen waren ein Silberstreif am Horizont für die Kollegen, womit man das ein stückweit rechtfertigen konnte: steigende Inzidenzen, aber trotzdem machen wir Schulen auf», sagte Erdmann. «Weil so viele Impfdosen übrig waren, dass man Schulen zu sicheren Orten hätte machen können. Das ist leider aber nicht geglückt.» Co-Vorsitzende Doreen Siebernik ergänzte: «Schulen und Kitas können nur offenbleiben, wenn Pädagoginnen und Pädagogen jetzt die Möglichkeit bekommen, sich auch mit den Impfstoffen anderer Hersteller impfen zu lassen.»
“Selbsttests sind eine weitere wichtige Maßnahme um zu vermeiden, dass Infektionen in die Schulen und Kitas getragen werden”
Die Bildungsverwaltung teilte am Dienstag mit, für die Schülerinnen und Schüler ab der 11. Klasse stünden ab Mittwoch Corona-Selbsttests zur Verfügung. In der Anfangsphase sind sie nur für Schüler der gymnasialen Oberstufe und der Oberstufenzentren gedacht. Schrittweise sollen anschließend die jüngeren Jahrgangsstufen einbezogen werden. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte am Freitag angekündigt, dass zunächst Selbsttests des Herstellers Siemens an die Schulen verteilt werden.
Geplant war rund eine Million Tests bis Ende dieser Woche. Dann sollen außerdem weitere Selbsttests von La Roche an die Schulen geliefert werden. Davon seien zwei Millionen bereits in Berlin eingetroffen, sagte ein Sprecher der Bildungsverwaltung am Dienstag.
Die Schülerinnen und Schüler sollen die Tests freiwillig zweimal die Woche zu Hause machen. Zu den Selbsttests gibt es neben gedrucktem Informationsmaterial unter www.einfach-testen.berlin auch eine Webseite mit Erklärvideos in elf Sprachen. «Die Selbsttests sind zusammen mit den Schnelltests für das Dienstpersonal an Schulen und Kitas eine weitere wichtige Maßnahme um zu vermeiden, dass Infektionen in die Schulen und Kitas getragen werden», erläuterte Scheeres.
Für die GEW ist dass zu wenig. Trotz optimistischer Ankündigungen der Senatsverwaltung sei das Testen an Schulen und Kitas bisher eine große Baustelle. „Es gibt nicht genügend Tests für alle Schüler*innen. Solange es hier zahlreiche Lücken und Unklarheiten gibt, sollte der Präsenzunterricht heruntergefahren werden. Die Zeit bis Ostern muss genutzt werden, um die Testung solide auf die Beine zu stellen. Das Motto `Augen zu und durch´ ist nicht hinnehmbar. Es muss nun wirklich eine Kraftanstrengung erfolgen“, betonte Erdmann. Der GEW-Landesvorsitzende bekräftigte erneut die Forderung, dass es einen Fahrplan für die Zeit bis zu den Sommerferien braucht.
„Es darf sich jetzt nicht alles nur um den Lernstoff drehen, sondern das psychosoziale Wohlbefinden der Schüler muss in den Fokus”
Der Landesschülerausschuss forderte unterdessen, die Schulen sollten Schülerinnen und Schülern mehr ungenutzte Räume anbieten, damit sie dort in Ruhe lernen können. Manchen Schülern fehle zu Hause die Möglichkeit zu lernen, weil die Eltern gestresst seien oder weil sie zahlreiche Geschwister haben, wie Landesschülersprecherin Ha Thu Nguyen im RBB-Inforadio erklärte. Die Verwaltung betone zwar, dass Schulen solche Räume anbieten. Es berichteten aber kaum Schüler davon, dass ihnen solche Orte zur Verfügung stehen.
Nach Monaten des Lernens zu Hause gehe es vielen Schülern nicht gut, stellte die Sprecherin fest. «Viele Schüler berichten von extremer psychischer Belastung.» Sie spürten großen Druck und litten unter Schlafstörungen. «Sie können sich vorstellen, dass man damit schwierig lernen kann.» In vielen Fällen fehle auch das soziale Lernen im Schulalltag.
Das sieht die GEW genauso. Es sei dringend geboten, Angebote für Kinder und Jugendliche zu schaffen, die der sozialen Isolation entgegenwirken. „Es darf sich jetzt nicht alles nur um den Lernstoff drehen, sondern das psychosoziale Wohlbefinden muss in den Fokus. Wir brauchen kreative Lösungen“, sagte Erdmann. Für Kinder und Jugendliche, denen es schwerfällt, zuhause zu lernen, könnten Schulen tatsächlich Räume und Begleitung zur Verfügung stellen. Für ältere Schülerinnen und Schüler könne es Angebote geben, sich mit Mundschutz in kleinen Gruppen zum gemeinsamen Lernen und Austauschen in schulischen Räumen zu treffen. Es könnten ebenso kleine Kita- und Schulausflüge im Freien stattfinden.
Fazit der Gewerkschaft: “Es braucht einen Strategiewechsel, weg von der Orientierung an Jahrgängen hin zum Fokus auf Kinder und Jugendliche mit Unterstützungsbedarf. Spätestens mit dem Erreichen der 7-Tage-Inzizidenz von 100 müssen die Schulen wieder in den Distanzunterricht und die Kitas in die Notbetreuung.“ Der Inzidenzwert für Berlin liegt aktuell bei 82 – Tendenz: steigend. dpa
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