BERLIN. Es rumort in Deutschland Schulkollegien. Die Verpflichtung, die mittlerweile obligatorischen Selbsttests von Schülern in Klassenzimmern beaufsichtigen zu müssen – ungeschützt, häufig ohne geimpft zu sein –, bringt das Fass zum Überlaufen. In Berlin hagelt es in dieser Woche Brandbriefe an die Bildungssenatorin. Ein Kollegium droht jetzt sogar mit wildem Streik.
Man sei als Lehrerschaft nicht länger bereit, alles klaglos hinzunehmen – und stehe am Rande eines wilden Streiks, heißt es in dem Schreiben der Lehrerinnen und Lehrer eines Gymnasiums aus Berlin-Mitte an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), aus dem die „Berliner Zeitung“ zitiert.
Eine schulinterne Umfrage spiegelt die explosive Stimmung im Kollegium wider: 81 Prozent der Lehrkräfte fühlen sich in ihrer Gesundheit gefährdet, 87,5 Prozent sehen sich übermäßiger Arbeitsbelastung ausgesetzt. Sogar 98,5 Prozent haben nicht den Eindruck, von der Bildungsverwaltung unterstützt zu werden. An der Schulleitung liege der Unmut nicht, das betonen die Absender des Briefes. Im Gegenteil: Ohne deren „kunstfertige Führungsarbeit“, mit der plötzliche oder nicht nachvollziehbare Vorgaben der Senatsverwaltung im Schulalltag umgesetzt worden sei, hätten die Lehrer nicht so lange so geduldig funktioniert – „zum Wohle unserer Schüler*innen, für die wir uns verantwortlich fühlen.“
„Ich finde die Art und Weise, wie mit uns Lehrkräften vom Senat umgegangen wird, einfach ungeheuerlich”
Die Lehrer klagen: Bei einer Inzidenz von 300 unter Schülern in Berlin-Mitte seien 80 Prozent der Lehrer am Gymnasium nicht geimpft. Sie fordern ein kurzfristiges neues Impfangebot – und bis dahin die Schließung der Schulen, wenn die Inzidenzen bei Jugendlichen den Wert 100 überschreitet. „Wir können das eigenverantwortlich“, bekräftigen die Lehrer und drängen außerdem auf mehr Entscheidungsspielraum für einzelne Schulen.
„Ich finde die Art und Weise, wie mit uns vom Senat umgegangen wird, einfach ungeheuerlich; das Impfdebakel hat dem ganzen die Krone aufgesetzt. Dadurch fühle ich mich in meiner Arbeit weder geachtet noch motiviert, ich fühle mich mitunter wütend, leer und blockiert“, so begründet einer der beteiligten Lehrer die Aktion gegenüber dem Blatt.
Es ist nicht der erste Brandbrief einer Berliner Schule in dieser Woche. Am Zaun eines Gymnasium im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat das Kollegium nun ein Plakat aufgehängt, das eine Spritze mit einer Skala von 0 bis 70 zeigt (was die Anzahl der Lehrer der Schule symbolisiert). In dieser Spritze ist mit roter Farbe markiert, wie viele der Beschäftigten mittlerweile geimpft sind: gerade mal sechs – und das auch nur wegen ihres fortgeschrittenen Alters, nicht aufgrund ihrer beruflichen Situation. In einem Brandbrief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), über den die „Berliner Morgenpost“ berichtet, fordern die Lehrkräfte von Scheeres und ihrer Bildungsverwaltung, sie müssten „endlich Ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeber“ nachkommen.
Mit dem Schreiben wollen die Lehrkräfte als Arbeitnehmer nach eigenem Bekunden ihrer Pflicht nachkommen, „Vorgesetzten jede festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit“ anzuzeigen. Die zentrale Forderung steht am Anfang des Briefes: Der Senat müsse Lehrern an weiterführenden Schulen endlich ein Impfangebot machen.
„Lehrkräfte haben engen Kontakt mit sehr vielen Menschen, mehr als die allermeisten Berufsgruppen”
Es rumort an Berlins Schulen, und wohl nicht nur an denen in der Bundeshauptstadt. Die „Berliner Zeitung“ schreibt bereits über einen „Aufstand der Lehrer“. Auch die GEW macht mobil – sie hat ebenfalls einen Brandbrief an Scheeres und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) geschrieben. Die Gewerkschaft fordert die beiden Politikerinnen eindringlich dazu auf, schnellstmöglich Impfangebote für die Beschäftigten der weiterführenden Schulen zu ermöglichen. Bei den inzwischen ohne Impfpriorisierung vergebenen Impfterminen mit AstraZeneca sollten die priorisierten Gruppen Vorrang haben. Aber auch für die sonstigen Impfstoffe müsste es längst Angebote geben.
„Lehrkräfte haben engen Kontakt mit sehr vielen Menschen, mehr als die allermeisten Berufsgruppen. Die Inzidenz unter der Gruppe der Schüler*innen ist nochmal deutlich höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Dennoch ist ein Großteil der Lehrkräfte weiterhin ohne Impfschutz. Das steht im eklatanten Widerspruch zu den Beteuerungen der Politik, der Öffnung von Schulen Priorität einzuräumen“, erklärt GEW-Landesvorsitzender Tom Erdmann.
„Die Beschäftigten an weiterführenden Berliner Schulen sehen, dass bereits Personen aus der dritthöchsten Impfpriorität Impftermine erhalten. Auch Beschäftigte an weiterführenden Schulen in anderen Bundesländern wie Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Bremen und Brandenburg werden inzwischen geimpft“, sagt Erdmann. „Es ist für die GEW Berlin völlig unverständlich, dass die Impfpriorisierung mit AstraZeneca aufgehoben wurde, bevor den Beschäftigten an weiterführenden Berliner Schulen ein Impfangebot unterbreitet wurde.“
Auch mit Blick auf das kommende Schuljahr seien Impfungen längst überfällig. „Wenn jetzt Impftermine vergeben werden, ist die Zweitimpfung oft frühestens Ende Juli und damit ist der vollständige Immunschutz erst Mitte August hergestellt. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, allen Kolleg*innen im Bildungsbereich ein Impfangebot zu unterbreiten“, fordert der Gewerkschafter. News4teachers
