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“Wir fühlen uns komplett im Stich gelassen”: Ein Großteil der Lehrerschaft wartet noch immer auf ein Impfangebot

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BERLIN. An Kitas und Schulen werden nach wie vor verstärkt Corona-Ausbrüche registriert. Ein großer Teil der Beschäftigten dort wartet aber nach wie vor auf eine Impfung. In Berlin machen Lehrkräfte weiterführender Schulen, die in der Priorität immer noch hintenan stehen, auf das Problem aufmerksam – mit einem Brandbrief und einer Protestaktion. „Wir fühlen uns von dem Staat, der uns genauso schützen soll wie alle anderen, komplett im Stich gelassen“, so heißt es.

Wo bleibt das Impfangebot? Foto: Shutterstock

„Kurz vor den Osterferien kam die erlösende Botschaft: Wir werden geimpft. Zehn Tage später dann die Ernüchterung: Erst werden wir gebeten, wegen des Ausfalls von Astrazeneca aus ‚Fairness‘ auf unsere Impfberechtigung zu verzichten, dann wird sie offiziell zurückgenommen. Wieder zehn Tage später erfahre ich, dass ich Schüler:innen bei der Selbsttestung beaufsichtigen soll – im Klassenraum, ungeschult und ohne Schutzausrüstung. Für mich war das der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Auch vorher war ich schon darüber empört, wie wenig der Berliner Senat für den Schutz unserer Gesundheit unternimmt. Mittlerweile frage ich mich, ob sie überhaupt je eine zentrale Rolle gespielt hat.“ Dies schreibt eine Lehrkraft in einem Gastbeitrag im Berliner „Tagesspiegel“.

Lehrer weiterführender Schulen blieben zunächst außen vor, in den meisten Bundesländern jedenfalls

Tatsächlich ist ein Großteil der Lehrerschaft in Deutschland nach wie vor nicht geimpft – obwohl Schulen immer öfter von Corona-Infektionen betroffen sind. „COVID-19-bedingte Ausbrüche betreffen insbesondere private Haushalte, aber auch Kitas, Schulen und das berufliche Umfeld, während die Anzahl der Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen abgenommen hat“, so heißt es im aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI).

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Anfang März hatten Bund und Länder auf Druck von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entschieden Erzieher, Grund- und Förderschullehrer in der Impfpriorität nach vorne zu ziehen – Lehrer weiterführender Schulen blieben zunächst außen vor, in den meisten Bundesländern jedenfalls. Nach und nach sind immer mehr Landesregierungen davon abgerückt und vergeben auch Impftermine an Pädagogen der Sekundarstufen. Erst vorgestern kündigte Hamburg diesen Schritt an. „Damit möchten wir auch deutlich machen, wie wichtig der Einsatz der Schulbeschäftigten an Hamburgs weiterführenden und berufsbildenden Schulen ist und wie sehr dieser geschätzt wird“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) großzügig. Offenbar soll weiter ausgeblendet werden, dass es sich um eine dringend notwendige Arbeitsschutz-Maßnahme handelt: In der vergangenen Woche meldete das RKI, dass mindestens 30 Angehörige der Berufsgruppe Lehrer/Erzieher Corona-bedingt verstorben sind, wie News4teachers berichtete. 

Und: Zwischen der Ankündigung, dass Impftermine vergeben werden und einer tatsächlichen Impfung vergehen Wochen, mitunter Monate*.

Das Risiko für ungeimpfte Erzieher und Lehrer wird unterdessen nicht geringer. „Lehrer von weiterführenden Schulen in Duisburg werden in der Impf-Reihenfolge vorgezogen. Ein Grund: Immer mehr Infizierte im Schulalter“, so berichtet aktuell die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“. Dass Sekundarstufen-Lehrer in Nordrhein-Westfalen geimpft werden, ist allerdings ein Ausnahmefall. „Gemäß des neuen Impferlasses der Landesregierung hat der Krisenstab festgehalten, dass Restimpfstoffe nun auch an Personen der Prio-Gruppe-3 verimpft werden können und dementsprechend nun auch Mitarbeitenden an weiterführenden Schulen ein Impfangebot gemacht werden soll“, so erklärt der Pressesprecher der Stadt dazu.

Geimpft werden in Nordrhein-Westfalen auch weiterhin fast nur Erziehungskräfte sowie Lehrerinnen und Lehrer von Grund- und Förderschulen. In der vergangenen Woche war die Stadt Köln allerdings vorgeprescht – dort können Beschäftigte weiterführender Schulen ebenfalls ab sofort einen Impftermin vereinbaren. Auch hier war der Anlass die extrem hohen Inzidenzen unter Schülern.

Landesweit hat dem Bericht  zufolge die offizielle Zahl der Corona-Fälle unter 10- bis 19-Jährigen verdoppelt: von 2.955 (25. März) auf 4.907 (25. April). In Duisburg lag die Inzidenz in der Altersgruppe der Unter-20-Jährigen zuletzt bei 344,4 – in Chemnitz in der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen, Unter- und Mittelstufenschülern also, sogar bei 700. Der aktuelle Corona-Lagebericht des RKI für ganz Deutschland zeigt auf: Während die Inzidenzen bei älteren Menschen stagnieren, zum Teil sogar zurückgehen, steigt er unter Kita-Kindern und Schülern weiter stark an.

„Langsam steigt unter uns Lehrern die Angst. Niemand will das Virus mit nach Hause bringen“

Die Impfungen von Beschäftigten im Bildungsbereich halten mit dieser Entwicklung nicht Schritt. Beispiel Brandenburg: Kurz vor den Osterferien kündigte das dortige Bildungsministerium den Schulen einem Bericht der „Märkischen Allgemeinen“ zufolge mit, dass alle Lehrerinnen und Lehrer bald ein Impfangebot bekommen sollen. Allerdings sei dann der Impfstopp von Astrazeneca dazwischengekommen.

Am 15. April erklärte dann Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD), dass man den Pädagogen an weiterführenden Schulen bald ein Impfangebot machen werde. Für ältere Lehrkräfte nannte sie ein Datum: ab Ende April. Konkret geschehen sei seitdem aber: nichts. Zwar seien ein paar Lehrkräfte an der Schule bereits geimpft worden, so heißt es, aber nur weil sie aufgrund ihres hohen Alters ohnehin zur Priorisierungsgruppe gehören, nicht wegen ihres Berufs. „Langsam steigt die Angst. Niemand will das Virus mit nach Hause bringen“, so zitiert das Blatt einen stellvertretenden Schulleiter.

In Berlin machen Lehrkräfte ihre Sorge mittlerweile öffentlich. An einem Gymnasium hat das Kollegium nun ein Plakat aufgehängt, das eine Spritze mit einer Skala von 0 bis 70 zeigt (was die Anzahl der Lehrer der Schule symbolisiert). In dieser Spritze ist mit roter Farbe markiert, wie viele der Beschäftigten mittlerweile geimpft sind: gerade mal sechs – und das auch nur wegen ihres fortgeschrittenen Alters, nicht aufgrund ihrer beruflichen Situation. In einem Brandbrief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), über den die „Berliner Morgenpost“ berichtet, fordern die Lehrkräfte des Gymnasiums von Scheeres und ihrer Bildungsverwaltung, sie müsse „endlich Ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeber“ nachkommen.

Mit dem Schreiben wollen die Lehrkräfte als Arbeitnehmer nach eigenem Bekunden ihrer Pflicht nachkommen, „Vorgesetzten jede festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit“ anzuzeigen. Die zentrale Forderung steht am Anfang des Briefes: Der Senat müsse Lehrern an weiterführenden Schulen endlich ein Impfangebot machen.

Allerdings: Nicht mal alle Erzieherinnen und Erzieher, die bereits seit Anfang März bundesweit Anspruch auf eine Impfung haben, wurden bislang berücksichtigt. Viele Kita-Beschäftigte hätten bis zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Impfangebot erhalten, so kritisiert die Berliner GEW einem weiteren Bericht der „Morgenpost“ zufolge. „Diese Situation ist für uns unhaltbar, wenn man berücksichtigt, dass im Erzieherberuf mehr unzureichend geschützte Kontakte stattfinden als in so ziemlich jedem anderen Beruf.“

“Viele Lehrer trauen sich dennoch nicht, etwas zu unternehmen, auch weil sie das Wohl der Kinder gerne über ihr eigenes stellen”

Im Gastbeitrag für den „Tagesspiegel“ schreibt der Berliner Lehrer: „Es geht mir nicht nur darum, meine Empörung zum Ausdruck zu bringen, sondern auch um die ganz reale Sorge, zu erkranken. Vielen meiner Kolleg:innen geht es genauso. Einige haben, wie ich auch, ein erhöhtes Risiko, sodass ein schwerer Verlauf nicht ausgeschlossen ist. Viele trauen sich dennoch nicht, etwas zu unternehmen, auch weil sie das Wohl der Kinder gerne über ihr eigenes stellen. Wir haben sehr nah mitbekommen, wie schwer die Zeit für viele Kinder und Eltern im Lockdown war, und befürworten die Schulöffnungen hundertprozentig. Gleichzeitig erwarten wir aber, dass dem Schutz unserer Gesundheit ausreichend Rechnung getragen wird.“

Wie real die Gefahr einer Ansteckung mit dem Coronavirus ist, haben die Lehrkräfte seiner Schule hautnah erfahren: „Mehrere Kolleg:innen hatten sich infiziert.“ News4teachers

*Aktueller Nachtrag: Nach Erscheinen dieses Beitrags informierte die Hamburger Bildungsbehörde News4teachers, dass “zumindest hier in Hamburg innerhalb eines Tages quasi alle Impftermine für die betroffenen rund 14.400 Schulbeschäftigten der weiterführenden und berufsbildenden Schulen vereinbart waren und zwar noch für diese und nächste Woche. Der Ankündigung folgt hier also die unmittelbare Umsetzung”.

RKI meldet weiteren verstorbenen Lehrer/Erzieher. Damit haben nun 30 Menschen aus der Berufsgruppe Corona-bedingt ihr Leben verloren

 

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