BERLIN. Vielen Eltern reicht es jetzt. Sie befürchten, dass sich das Corona-Chaos im Schulbetrieb auch im kommenden Schuljahr fortsetzt. Kein Wunder: Mittlerweile ist klar, dass ein Großteil der Schülerschaft im Herbst nicht geimpft sein wird. Auch wenn Kinder nur äußerst selten lebensgefährlich an Covid-19 erkranken, sind die Sorgen vor einem ungebremsten Infektionsgeschehen in Schulen groß. Der Druck auf Kommunen und Landesregierungen steigt, endlich Geld für den Gesundheitsschutz der Schüler in die Hand zu nehmen – und in Luftfilter zu investieren.
Geht das Corona-Chaos im kommenden Schuljahr nahtlos weiter? „Um Schulen verlässlich offen halten zu können, muss jetzt gehandelt werden“, forderte der Bayerische Elternverband bereits im April. Wenn zum nächsten Schuljahr im Herbst die mehr als 32.000 Schulen in Deutschland technisch so aufgerüstet sein sollen, dass ein wirksamer Infektionsschutz greift, müsste in allen Bundesländern mit Hochdruck an entsprechenden Programmen gearbeitet werden.
Tatsächlich will die Bundesregierung jetzt endlich ein Paket schnüren, aus dem Lüftungsanlagen in Klassenräumen den Schulträgern zu 80 Prozent finanziert werden sollen, wie Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in dieser Woche ankündigte – allerdings beschränkt sich die Initiative offenbar auf „jüngere Schüler“ und auf „festinstallierte Filter“, wie Karliczek durchblicken ließ. Was das genau heißt (nur Grundschulen?), ist noch offen. Ebenso unbeantwortet ist die Frage, wie sich „über den Sommer“ (Karliczek) fest installierte Lüftungsanlagen in der Fläche beantragen, ausschreiben, beauftragen und montieren lassen, wie News4teachers bereits berichtete.
Immer mehr Eltern reicht es jetzt mit dem unzureichenden Gesundheitsschutz in den Schulen. Sie nehmen wahr, dass Kultusministerien und Kommunen Luftfilter in Klassenräumen für unnötig erklären – während gleichzeitig in Deutschland Tausende von Behörden, Landtage, Gerichte, Restaurants, Hotels, Fitnessstudios, Reisebusse und andere Einrichtungen, die von vielen Menschen frequentiert werden, mit mobilen Geräten ausgestattet werden. Eltern machen deshalb jetzt Druck.
„Mit Stoßlüften sind wir jedenfalls auf der sicheren Seite“ – meinen viele Kommunen
Aktuelles Beispiel: die Stadt Mülheim in Nordrhein-Westfalen. Den Wunsch der Eltern, Luftfilter für die Schulen anzuschaffen, habe er Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) letztens persönlich vorgetragen, so berichtet ein Vater in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ). Er bekam Gegenargumente zu hören, die ihn nicht überzeugt haben: Sicherheits- und Brandschutzbedenken habe der Politiker angeführt – und: Lüftungsgeräte als mögliche Stolperfallen benannt. Von der WAZ auf das Thema angesprochen, legte der stellvertretende Schulamtsleiter nach: Es gebe es wissenschaftliche Studien, wonach Raumluftreiniger kaum wirksamer seien als natürliches Lüften, so zitiert ihn die Zeitung: „Mit Stoßlüften sind wir jedenfalls auf der sicheren Seite.“ Tatsächlich entspricht das der Linie des Umweltbundesamtes, das für die Kultusministerkonferenz ein „Lüftungskonzept“ (ein vierseitiges Faltblatt, das Lehrern erklärt, wie man Fenster öffnet) entwickelt hat.
Fakt aber ist: Es gibt zwei Studien, in denen die Wirkung von Luftreiniger und Stoßlüften auf Aerosole in der Atemluft von Klassenräumen miteinander verglichen wurden – eine vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München, eine zweite von der Goethe Universität Frankfurt. Beide Untersuchungen münden in die dringende Empfehlung, Luftfilter in Schulen einzusetzen.
Die Deutsche Physikalische Gesellschaft warnt mittlerweile sogar davor, bei der Belüftung von Klassenzimmern nur auf offene Fenster zu setzen. Der Einsatz technischer Geräte zur Belüftung ist nach Ansicht der Fachgesellschaft jeder Art passiver Lüftung durch bloßes Öffnen von Fenster und Türen weit überlegen, da bei der technischen Belüftung der Luftaustausch beziehungsweise die Luftreinigung in kontrollierter Art und Weise geschieht. Bei der vom Umweltbundesamt empfohlenen passiven Lüftung von Klassenräumen mit Außenluft über die Fenster sei dies in einem typischen Klassenzimmer dagegen nicht zu erreichen, da diese stark von Faktoren wie Wind, Temperatur, Fensteröffnungen oder der Lage der Heizkörper abhänge.
“Ohne Impfungen sind die Kinder absehbar bis weit in das Jahr 2022 ungeschützt”
Er habe bereits für die Anschaffung von Luftfiltern einen Kostenvoranschlag für die Grundschule seines Sohnes eingeholt, sagt der Vater aus Mülheim: „50 Euro pro Familie – dann stehen die Dinger da.“ Unterstützt wird er jetzt von einer breiten Elterninitiative in Nordrhein-Westfalen, der sich Dutzende von Schulpflegschaftsvertretern aus 15 Städten angeschlossen haben – und die vom Land und von den Kommunen fordert, „den Schulbesuch durch den Einsatz von mobilen Raumluftfiltern sicher zu machen“.
In einer gemeinsamen Erklärung heißt es: „Viele Kommunen in NRW sind in ihrer Corona-Lernkurve anscheinend noch nicht so weit gelangt, dass sie einen sicheren Schulbetrieb im kommenden Schuljahr durchführen können. Ohne Impfungen sind die Kinder aber absehbar bis weit in das Jahr 2022 ungeschützt. Abstandsregeln sind im Klassenraum Wunschdenken. Bei Unterricht in vollen Klassen sind mobile Raumluftfilter daher als präventive Maßnahmen zwingend nötig.“
Leider interpretierten die Entscheider in den Rathäusern und Ministerien den Kurs des Umweltbundesamtes (UBA) so, als ob Raumluftfilter nichts zur Sicherheit in Schulen beitrügen. „Offensichtliche Nachfragen zum UBA-Konzept können sie aber nicht beantworten: Warum mussten die Schulen geschlossen werden, wenn das Konzept des Umweltbundesamtes doch funktioniert? Warum ist das Infektionsgeschehen in Schulen im Winter und auch Frühjahr so stark angestiegen, wenn man auf das Konzept des UBA vertrauen kann? Warum funktioniert das Schutzkonzept Raumluftfilter in der Erwachsenenwelt und wird dort in Verwaltung und Politik gerne und oft eingesetzt wird, wenn an die Wirksamkeit des Konzeptes an Schulen nicht geglaubt wird?“
Hinsichtlich des von Karliczek angekündigten Programms der Bundesregierung zeigen sich die Eltern skeptisch. „Die Anschaffung fest eingebauter Filteranlagen dauert im Bestand zu lange. Ein 80%iger Bundeszuschuss löst hier keine Probleme. Die Schulträger müssen mobile Raumluftfilter anschaffen, und seitens der Landesregierung müssen hierfür finanzielle Programme aufgelegt werden“, so heißt es in der Erklärung. Aber immerhin: Karliczeks Ankündigung weckt das Interesse der Kommunen – auch das der Stadt Mülheim. Der stellvertretende Schulamtsleiter sagt gegenüber der „WAZ“: „Wenn Fördermittel da sind, sollte man zugreifen.“ News4teachers
