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Kultusminister, gebt uns unsere Freiheit zurück – Schluss mit dem Leistungsdruck! Wie ein Schüler mit der Corona-Politik abrechnet

BERLIN. „Normalerweise halte ich mich als Schüler bei Diskussionen auf News4teachers zurück und bleibe ein stiller Leser im Hintergrund“, so schreibt uns ein 17-jähriger Gymnasiast. „Aufgrund der aktuell sehr belastenden Situation melde ich mich nun aber doch mal zu Wort. Ich möchte einen direkten Einblick in das Leben eines Schülers geben, der stark unter dem Versagen der Schulpolitik leidet.“ Und diesen Einblick gibt er dann auch – auf eindrucksvolle Art. Wir veröffentlichen seinen Beitrag anonym, um den Schüler zu schützen.

“Starke Abneigung gegen alles Schulische”: Für junge Menschen war die Krise hart. Illustration: Shutterstock

Ich spreche bewusst von einem Versagen, denn anders kann man es nicht nennen. Vielleicht wäre sogar der Begriff „komplettes Desaster“ passender. Jedenfalls begann alles im Herbst letzten Jahres. Zu diesem Zeitpunkt wurden die ersten Fehlentscheidungen getroffen. Auf Krampf ließ man die Schulen trotz immer rasanter steigender Fallzahlen offen und berief sich auf das „Recht der Bildung“. Außerdem dürften sozial benachteiligte Schüler nicht durch eine erneute Schulschließung im Lernstoff abgehängt werden. Die meisten älteren Schüler erkannten allerdings sofort, dass es sich um reine Augenwischerei handelt und nicht wirklich im Sinne der Schüler gehandelt wird.

Vor der Corona-Pandemie haben sich unsere „kompetenten“ Kultusminister auch nicht für die sozial schlechter gestellten Kinder interessiert. Warum jetzt auf einmal? Bei genauerer Betrachtung könnte einem fast in den Sinn kommen, dass es sich bereits um Wahlkampf für die Bundestagswahl 2021 handelt. Was für ein Zufall!

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Obwohl bereits nach der ersten Welle zahlreiche Virologen davor warnten, dass eine zweite Welle kommen würde, machte man die Schulen nicht rechtzeitig für den Winter fit. Es folgten für uns Schüler einige der beängstigten Tage unserer Schullaufbahn.

Also saßen wir vor den Winterferien in kalten Klassenräumen und die Qualität unseres Lernens nahm kontinuierlich ab

Viele Erwachsene befanden sich aufgrund der immer schlechter werdenden Corona Lage wieder im Homeoffice, während wir Schüler Tag ein Tag aus, eine Großveranstaltung namens Schule besuchten. Anfangs gab es nicht einmal eine Maskenpflicht. Als dann die Rufe nach weiterem Gesundheitsschutz laut wurden und viele Beteiligte der Schulgemeinde sich Luftfilteranlagen wünschten, ignorierte die Politik diese Sorgen gekonnt. Solche Anschaffungen seien zu teuer und würden angeblich nicht viel bringen. Lüften würde ausreichen.

Also saßen wir die letzten zwei Monate vor den Winterferien in kalten Klassenräumen und die Qualität unseres Lernens nahm kontinuierlich ab. Zunehmend wurden viele meiner Mitschüler ängstlicher, da sie ihre Familien mit Corona infizieren könnten. Mit Angst lernt es sich nicht gut, da spreche ich aus eigener Erfahrung. Es ist nämlich kein tolles Gefühl, später mal für den Tod seiner Großeltern oder anderer Familienmitglieder verantwortlich zu sein, nur weil man zwanghaft in die Schule gehen musste und sich dort angesteckt hat.

Zwei Tage vor den Weihnachtsferien erkannten die Verantwortlichen endlich an, was ich schon seit mehreren Monaten wusste. Die Corona-Situation in Deutschland, aber auch in den Schulen war außer Kontrolle geraten.  Es war zu dieser Zeit allerhöchste Eisenbahn, die Schulen zu schließen. Hätte man die Schulen nicht seit Jahren kaputtgespart und in Luftfilter investiert, wären erneute Schulschließungen sicherlich überflüssig gewesen. Aber nein, es musste anders kommen…

Grundsätzlich bin ich kein Befürworter von Schulschließungen, dennoch finde ich, dass die Kultusminister im Herbst deutlich früher auf die Bremse hätten drücken müssen. Ihr Versagen hat zusätzliche Menschen das Leben gekostet und die 2. Welle nochmals befeuert. Normalerweise müssten dafür Köpfe rollen. Bis heute ist allerdings nichts passiert.

Damit noch nicht genug: Meine eigentliche Leidensgeschichte beginnt gerade erst. Die erneuten Schulschließungen waren für mich das Schlimmste, was passieren konnte. Ich war inzwischen in die 11. Klasse (Oberstufe eines Gymnasiums) versetzt worden und erlebte in den nachfolgenden fünf Monaten die stressigsten meines ganzen Lebens. Während ich den ersten Schullockdown noch als relativ entschleunigend und entspannend empfunden hatte, war der zweite alles andere als schön.

Aufgrund von regelmäßigen Videokonferenzen und zahlreichen Aufgaben saß ich fast täglich 10 bis 12 Stunden vor dem PC. Gesundheitsförderlich ist so etwas bestimmt nicht. Auch am Wochenende gab es keine Pause. Für meine Lehrer waren das lediglich „konferenzfreie Tage“. Hausaufgaben mussten teilweise sonntags um 18 Uhr abgeschickt oder Präsentationen am Wochenende vorbereitet werden.

Da man in meinem Bundesland dieses Schuljahr als Schüler sitzenbleiben kann, gerieten wir Schüler zunehmend unter Notendruck. Unsere Lehrer versuchten uns, auf Zwang zu benoten und begruben uns regelrecht unter einem Berg an Hausarbeiten und Präsentationen, die alle online vorgestellt werden mussten.

Meiner Meinung nach hätte man sich für dieses Schuljahr gegen ein Sitzenbleiben und die Benotung entscheiden sollen

Für mich ist es unverständlich, warum man sich dieses Schuljahr für eine andere Regelung als im letzten Schuljahr entschied. Immerhin waren die meisten Schüler dieses Jahr für eine noch kürzere Zeit im Präsenzunterricht als im letzten Jahr. Für entstandene Lernlücken, die mit schlechter Benotung und Sitzenbleiben bestraft werden, können die meisten in meinem Alter nichts. Online-Unterricht kann eben aufgrund technischer Gegebenheiten, aber vor allen Dingen auch aufgrund der fehlenden Ausbildung der Lehrkräfte in Bezug auf die Benutzung von digitalen Medien nicht den Präsenzunterricht ersetzen.

Meiner Meinung nach hätte man sich für dieses Schuljahr gegen ein Sitzenbleiben und die Benotung entscheiden sollen. Von der Fairness, die so eine Benotung des Online-Unterrichts und des dort Gelernten mit sich bringt, mal ganz abgesehen. Ich merkte während der Zeit des Homeschoolings regelrecht, wie mein eigenes Zimmer für mich den Status eine Rückzugsorts verlor. Einer unserer Lehrer bestand sogar darauf, eine Online-Klausur zu schreiben, die anschließend wie eine Klausur bewertet wurde. Wir Schüler waren dazu verpflichtet, unsere Kameras anzuschalten und so nun auch das letzte Stückchen Privatsphäre und Rückzugsort aufzugeben.

Für mich persönlich war in diesem Moment eine Grenze überschritten. Wegen der bereits seit Wochen andauernden „Zumüllung mit Aufgaben“ entwickelte ich eine starke Abneigung gegen jegliches Schulische. Ich merkte, obwohl ich das nicht wollte, wie ich immer demotivierter und antriebsloser wurde. Mir wurden über Monate hinweg meine für mein Alter doch sehr wichtigen sozialen Kontakte genommen und auch meine tägliche Struktur fiel weg. Trotzdem sollte ich mehr und mehr Leistung erbringen, als ich es gewöhnt war. Irgendwann hörte ich auf Hausaufgaben zu machen, nicht nur aufgrund meiner Demotivation, sondern auch, weil sich zunehmend größere Lernlücken aufgetan hatten, die auch für meine sehr schlechte Leistung im Online-Test verantwortlich waren.

Meine Hausaufgaben waren, wie anzunehmen, jedes Mal falsch, als wir sie gemeinsam in den Videokonferenzen verglichen. Das machte meine Demotivation noch viel größer, als sie eh schon war. Meine Freunde und ich fühlten uns allein gelassen. Nicht einmal unsere Lehrer, zwar nicht alle, aber viele, hatten kein Verständnis für diese Dinge. Mehrmals kritisierten wir als Klasse den extremen Aufgabenumfang und baten um Verständnis, jedoch erhielten wir meist nur Gegenwind und Rechtfertigungen von unseren Lehren, die sich sonst immer als „Freunde der Schüler“ darstellen.

Ein weiterer Vertrauensverlust für mich. Ich kam mir veräppelt und als fast 18-jähriger Schüler nicht ernstgenommen vor. Gleiches gilt für die Politik. Auch die kümmerte sich nicht um uns und die Jugend im Generellen. Nicht mal ein offenes Ohr hatte man für die zukünftigen Menschen, die später für die Rente aufkommen sollen und ein riesiges „Geschenk“ an Problemen wie dem Klimawandel hinterlassen bekommen.

Nach einigen Monaten des Burnouts öffneten die Schulen glücklicherweise wieder ihre Tore. Wir durften als 11. Klasse wieder im Wechselmodell zur Schule gehen und inzwischen besuchen wir die Schule sogar täglich. Gerade erst in der Schule angekommen, schnitt das Messer des Notendrucks mir die Kehle auf. In jedem Fach wurden innerhalb der ersten paar Wochen Klausuren und anderweitige Leistungsnachweise angekündigt.

Ich zählte mit und kam auf mehr als zehn Stück. Obwohl wir gerade zum ersten Mal seit fünf Monaten wieder in der Schule waren und sicherlich einige Lernlücken aufgebaut hatten, entschied man sich dafür, in jedem Fach noch vor den Sommerferien eine Klausur zu schreiben. Bis zu den Sommerferien waren es noch fünf Wochen Zeit, d. h. mindestens zwei Klausuren müssen pro Woche geschrieben werden. Das hat natürlich die meisten von uns sehr „gefreut“.

Anstatt unsere Lernlücken gemeinsam mit den Lehrern aufzuarbeiten, kriegen wir zahlreiche Klausuren aufgebrummt

Bei mir und vielen meiner Freunde löste es eine immer größer werdende Demotivation und ein dauerhaftes Stressgefühl aus. Zunehmend entwickelten wir eine „Null-Bock-Haltung“.

Ich finde das wirklich erschreckend, denn normalerweise finde ich eine solche Einstellung gar nicht gut. Momentan weiß ich allerdings einfach nicht weiter.

Anstatt in den letzten paar Wochen vor den Ferien unsere Lernlücken gemeinsam mit den Lehrern aufzuarbeiten und an das zu denken, was wirklich zählt, kriegen wir zahlreiche Klausuren aufgebrummt. Stressiger geht´s gar nicht mehr. Ich fordere deshalb von unseren Politikern, dass sie uns unsere Freiheit zurückgeben und endlich von ihrer jugendfeindlichen, leistungsorientierten Politik wegkommen, da wir sonst früher oder später wirklich als verlorene Corona-Generation enden.

Es braucht jetzt innovative Ansätze und vor allen Dingen dürfen nicht nur die Leistung und das Lernen im Vordergrund stehen. Wir Jugendlichen müssen mental und körperlich wieder zu Kräften kommen. Viele von uns stecken im Corona-Tief drin und werden mit den jetzigen „so toll angepriesenen“ Maßnahmen, um Lernlücken aufzuholen, nur weiter in die Tiefe getreten. Ein verlorenes Schuljahr macht uns nicht zu schlechteren oder minderwertigeren Menschen.

Ein sehr empfehlenswertes Video dazu ist übrigens das Folgende von MrWissen2go:

Vielen Dank!

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Die Kultusminister haben eine gemeinsame Linie (nur keine gute). Ein Leserkommentar

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