BERLIN. Mit Blick auf die Infektionszahlen wird auch für die Schulen manches einfacher. Ein gravierendes Problem bleibt ihnen aber nach den Sommerferien unabhängig von der Corona-Lage erhalten – es wächst sich sogar aus. Die Rede ist vom Lehrermangel. In Berlin machen Schulleitungen jetzt mobil.
Trotz sinkender Infektionszahlen blicken viele Berliner Schulleiter mit großen Sorgen auf das neue Schuljahr. Während der Corona-Pandemie seien die Probleme an den Schulen noch deutlicher geworden, sagte die Vorsitzende des Interessenverbands Berliner Schulleitungen (IBS), Astrid-Sabine Busse, am Montag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Schulleiterverbände. «Die wichtigsten Akteure sind und bleiben die Lehrerinnen und Lehrer. Die sind so knapp wie Goldstaub. Und es wird jedes Jahr enger.»
Aus Sicht der Schulleitungen muss etwas geschehen, damit das Problem nicht aus dem Ruder läuft. Eine zentrale Forderung lautet, Lehrkräfte in Berlin wieder zu verbeamten. Andernfalls sei der wachsende Bedarf angesichts der anstehenden Pensionierungszahlen bei gleichzeitig steigenden Schülerzahlen nicht zu decken, argumentierte Busse. Ein Drittel aller Lehrkräfte in Berlin seien 55 Jahre oder älter – viele davon gingen in den nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Laut Busse wird für das Schuljahr 2025/26 ein Bestand von 23.000 Lehrkräften erwartet – bei einem Bedarf von rund 32.860.
Sven Zimmerschied von der Vereinigung der Schulleiter von Sekundarschulen (BISSS) bestätigte, es gebe bereits ein massives Personalproblem. «Es ist dramatisch. Berlin muss endlich wieder verbeamten», sagte er. Stellen mit klassisch ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen, sei schon jetzt oft unrealistisch. Und für die Zukunft sieht der Leiter einer Integrierten Sekundarschule in Charlottenburg ebenfalls schwarz: «Das Problem wird immer größer.»
“Dann kommt der Tag des zweiten Examens und dann sagt uns die Kollegin: «Es war schön bei Ihnen, aber ich bleibe nicht»”
Busse befürchtet gravierende Folgen: «Die Unterrichtsqualität leidet», sagte die Leiterin einer Grundschule in Neukölln. Dabei sei es ohnehin schwierig genug, die Lernrückstände durch die Pandemie aufzuholen. In Berlin werden Lehrkräfte seit 2004 nicht mehr verbeamtet – inzwischen anders als in allen übrigen Bundesländern.
Die Ausbildung von Lehrkräften in der Hauptstadt sei anerkanntermaßen gut, betonte Busse. «Dann kommt der Tag des zweiten Examens und dann sagt uns die Kollegin: «Es war schön bei Ihnen, ich bedanke mich, aber ich bleibe nicht in Berlin», erzählte sie von ihren Erfahrungen. Viele junge Lehrkräfte gingen dann einfach ins Nachbarland Brandenburg.
Arnd Niedermöller, neuer Sprecher der Vereinigung der Oberstudiendirektoren (VOB) in Berlin, wies darauf hin, dass Berlin im Gegenteil unbedingt Lehrkräfte aus anderen Bundesländern gewinnen müsse. Die Situation an den Gymnasien sei zwar «ein klein wenig entspannter». Aber auch dort gebe es Mängelfächer, für die kaum Pädagogen zu finden seien.
Die Stellen mit Quereinsteigern zu besetzen, die ursprünglich nicht auf Lehramt studiert haben, ist aus Sicht der Schulleiter keine optimale Lösung. «Die Schulen sind zum Teil damit überfordert», stellte Busse fest. In der Regel seien es nicht ein oder zwei Quereinsteiger, sondern viele – und die konzentrierten sich oft auch noch in Grundschulen an sozialen Brennpunkten. «Und das geht nicht», so die Neuköllner Schulleiterin.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ist inzwischen ebenfalls für die Verbeamtung von Lehrkräften. «Wenn außer Berlin alle anderen Bundesländer verbeamten, muss die Politik sich der Realität stellen», teilte sie am Montag mit. Das sei bisher am Widerstand der Koalitionspartner gescheitert. «Dabei müssen wir wettbewerbsfähig sein – zum Wohle unserer Kinder.»
SPD-Fraktionschef Raed Saleh kündigte an, die Verbeamtung der Lehrkräfte werde ein wesentliches Thema bei den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September sein. Er erwarte, dass dieser Punkt in der nächsten Legislaturperiode definitiv gelöst werden müsse. Allerdings: Die Aussicht auf Verbeamtung bringt kurzfristig nicht mehr Berufsnachwuchs auf den Arbeitsmarkt. Es fehlt schon an Absolventen eines Lehramtsstudiums. News4teachers / mit Material der dpa
Der Lehrermangel ist bundesweit für Schulen ein Problem – auch in Bayern. So monierte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) in der vergangenen Woche mit Blick auf das kommende Schuljahr, dass „wieder nur Löcher gestopft werden statt den seit Jahren anhaltenden Lehrermangel endlich nachhaltig zu beseitigen“. Zwei Krisen prallten aufeinander. Habe Corona den Lehrermangel kaschiert, so schläge er jetzt erst recht zu.
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann: „Die Berechnungen des Kultusministeriums gehen hinten und vorn nicht auf. Wir brauchen keine Schönfärberei, sondern Ehrlichkeit und Transparenz. Was ist machbar und was nicht. Gerade jetzt, wenn es darum geht, die Kinder und Jugendlichen mit ihrem sozialen, emotionalen und fachlichen Nachholbedarf zu fördern und zu unterstützen. Wenn wir individuelle Förderprogramme umsetzen wollen, brauchen wir nicht nur finanzielle Mittel, wir brauchen vor allem qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer. Denn Euros halten keinen Unterricht.“
Den eklatanten Lehrermangel in den Grund-, Mittel- und Förderschulen bemängele der BLLV seit Jahren. Doch mit Corona sei das Thema komplett in den Hintergrund gerückt. Jetzt würden „letzte Register gezogen“ und gerade momentan besonders wichtige pädagogische Elemente wie Vor- und Förderkurse, so genannte Randstunden (Musik, Kunst und Sport), AGs oder Fachunterricht und der Ganztag in den Mittelschulen gekürzt. „Ein krasses und trauriges pädagogisches Streichkonzert“, so Fleischmann. „Wo bleibt denn da bitte die Bildungsgerechtigkeit und der Anspruch an Schule von heute?“ Abgesehen davon, dass es wohl so aussehen solle, als ob die Zahlen stimmten und kein Lehrermangel herrsche. „Aber wie man es dreht und wendet: Die Rechnung geht nicht auf. Der BLLV kann rechnen und das erwarten wir auch vom Kultusministerium – trotz oder gerade wegen der Coronasituation und deren Folgen für die Schülerprognose und Lehrerbedarfe“.
“Auffangen sollen das jetzt Menschen, die nicht die pädagogische Ausbildung und damit auch nicht den hohen Qualitätsstandard haben“
Gerd Nitschke, Vizepräsident des BLLV, rechnete für Bayern vor: „Insgesamt 576 Vollzeitkräfte werden ersetzt, rechnet man die Förderschulen mit, sind es sogar 650. Rund 15.840 Unterrichtsstunden an Grund- und Mittelschulen werden nicht mehr von ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern geleistet. Auffangen sollen das jetzt Menschen, die nicht die pädagogische Ausbildung und damit auch nicht den hohen Qualitätsstandard haben wie Lehrkräfte.“ Dass nun Quereinsteiger und externes Personal angeworben werden, findet Simone Fleischmann in mehrfacher Hinsicht problematisch: „Damit sieht es so aus, als ob ja doch alles stattfinden könne. Außerdem muss dieses Personal erstmal gefunden und angelernt werden – wieder eine Aufgabe mehr, die die Schulleitungen und Kollegien bewältigen müssen.“ Und die seien – auch nach dem Krisenjahr – absolut am Limit.
Daher fordert der BLLV die Bildungspolitik auf, endlich die richtigen Schlüsse zu ziehen – mit einer langfristigen, nachhaltigen und realistischen Kalkulation, mit echter Förderung und qualitativ hochwertigem Lehrpersonal. Dazu sei es vor allem notwendig, den Lehrerberuf attraktiver zu machen. Stellschrauben: flexible Lehrerbildung, gleiche Eingangsbesoldung für alle Schularten und bessere Arbeitsbedingungen.
SPD will Lehrer für Brennpunktschulen „gewinnen“ – durch ein Listenverfahren