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Skandal um verweigerte Luftfilter für Kitas und Schulen: SPD-Bildungssenator greift Karliczek an („Augenwischerei“)

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HAMBURG. Im Skandal um verweigerte Luftfilter für Kitas und Schulen greift Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) jetzt Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) an. „Während die Bundesbildungsministerin zusammen mit zwölf medizinischen Fachgesellschaften den Einsatz von Luftfiltern in den Klassenräumen nicht empfohlen hat, fordert der Bundesgesundheitsminister jetzt das Gegenteil und verweist dazu auf ein Förderprogramm der Bundesregierung“, erklärt der Sprecher der SPD-geführten Kultusministerien in Deutschland. „Dieser Schlingerkurs zu Lasten von elf Millionen Schülerinnen und Schülern ist nicht mehr nachzuvollziehen.“ Sind die Kultusminister also Opfer von Fehlinformationen aus Berlin?

Wird für ihre “Leitlinie” angegriffen: Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU). Foto: BMBF / Laurence Chaperon

Richtig ist: Die Bundesregierung hat Anfang Juni ein Förderprogramm aufgelegt, aus dem der Einbau Raumlufttechnischer Anlagen in Kitas und Schulen mit bis zu 80 Prozent der Kosten finanziert werden können. Karliczek hatte die Träger aufgefordert, über die Sommerferien tätig zu werden. Das Problem ist allerdings, dass sich eine solch aufwändige Baumaßnahme nicht innerhalb von ein paar Wochen machen lässt – entsprechend bescheiden ist die Resonanz. Für gerade mal 176 der insgesamt rund 90.000 Bildungseinrichtungen in Deutschland waren bis Anfang der Woche Anträge gestellt worden, wie News4teachers berichtet. Mobile Luftfilter, die einfach in Klassen- und Gruppenräumen platziert werden könnten, werden ausdrücklich nicht gefördert.

“Das Programm der Bundesregierung hilft zweifellos dem Schulbau, in Sachen Corona ist es Augenwischerei“

Das betont auch Rabe: „Mit dem neuen Bundesförderprogramm dürfen die öffentlich diskutierten mobilen Raumluftfilter überhaupt nicht finanziert werden. Vielmehr finanziert das Bundesprogramm Sanierungen, Neubauten und Umbauten von Schulgebäuden und in diesem Zusammenhang auch die Installation von dauerhaft fest eingebauten, stationären Klimaanlagen und Raumluftfiltern.”

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Er stellt allerdings fest: „Um solche stationären Anlagen einzubauen, müssten alle rund 500.000 Klassen- und Unterrichtsräume aufwendig umgebaut werden – einschließlich Wanddurchbrüchen, Verputz- und Maurerarbeiten sowie der Installation von Elektro- und Rohrleitungssystemen. Selbst bei größter Anstrengung und unter der Voraussetzung, dass trotz der Krise auf dem Bau Firmen und Materialien in großer Zahl sofort zur Verfügung stehen würden, würde der Einbau solcher Anlagen in den 45.000 Schulen in Deutschland mehrere Jahre dauern und die ersten Anlagen frühestens in einem dreiviertel Jahr in Betrieb gehen können. Zudem wäre während der Bauarbeiten kein Unterrichtsbetrieb möglich. Das Programm der Bundesregierung hilft zweifellos dem Schulbau, in Sachen Corona ist es Augenwischerei.“

Dies werde von Spahn und Karliczek aber verschwiegen. Rabe betont: „Es wäre an der Zeit, dass die Bundesregierung eine einheitliche Empfehlung ausspricht und dann auch ein Förderprogramm auflegt, das seinen Namen verdient.“

Mehr noch: Rabe verweist darauf, dass Karliczek zusammen mit zahlreichen medizinischen Fachgesellschaften im Frühjahr eine Leitlinie für sicheren Schulbetrieb erarbeitet habe. Darin würden zahlreichen Maßnahmen wie zum Beispiel das Tragen von Masken, Einschränkungen im Musik- und Sportunterricht oder das Lüften ausdrücklich empfohlen. In Bezug auf den Einsatz von mobilen Luftfiltern hätten sich die Experten zu keiner vergleichbaren Empfehlung entschließen können.

Dort heiße es lediglich – Rabe zitiert: „Die Maßnahme ‚mobile Luftreinigung als Ergänzung zum Lüften‘ hat positive und negative gesundheitliche Wirkungen, denen weitreichende negative Wirkungen im Bereich der anderen Entscheidungskriterien gegenüberstehen, insbesondere im Hinblick auf finanzielle und ökologische Folgen sowie Machbarkeit. Insgesamt überwiegen nach Einschätzung der Expert*innen weder die positiven noch die negativen Wirkungen, so dass die Maßnahme erwogen werden kann.“ Der Bildungssenator führt in seiner Pressemitteilung zwölf medizinische Fachgesellschaften an, die diese Erklärung mitgetragen haben, darunter die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Auffällig ist: Darunter ist keine einzige Einrichtung, die sich mit Lüftungssystemen auskennt.

Woher medizinische Fachgesellschaften die Expertise nehmen, Lüftungsmaßnahmen in Schulen zu begutachten, blieb offen

Tatsächlich ist Karliczeks Leitlinie fragwürdig. Lässt sich über wissenschaftliche Erkenntnisse sinnvoll abstimmen? So kam das Papier aber zustande: Die einbezogenen Experten sollten sich möglichst im Konsens darüber einigen. Heißt also: Kinderärzte urteilten über die Wirkung von mobilen Luftfiltern. Woher medizinische Fachgesellschaften die Expertise nehmen, Lüftungsmaßnahmen in Schulen zu begutachten, blieb offen. Dazu kommt, so Rabe: „Dieses Votum wurde in einer Zeit abgegeben, als es noch nicht einmal die heute überall angewendeten Schnelltests an den Schulen gab. Insofern ist es kaum nachvollziehbar, dass bei heute weiter verbesserten Sicherheitsmaßnahmen und trotz des sehr klaren Votums von so vielen Experten so getan wird, als ob der Schulbesuch ausschließlich von Raumluftfiltern abhängt.“

Sind die Kultusminister – die unter zunehmendem Druck stehen, mobile Luftfilter für Kitas und Schulen anzuschaffen – also Opfer von falschen Informationen durch das Bundesbildungsministerium? Das sind sie nicht, wie Recherchen von News4teachers belegen.

Ende September 2020 veranstaltete die Kultusministerkonferenz eine Expertenanhörung zum Thema, bei dem auch Prof. Christian Kähler auftrat, Physiker und Leiter des Instituts für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Universität der Bundeswehr München, der zur Wirkung von mobilen Luftfiltern in Klassenräumen geforscht hat. „Gemäß unserer wissenschaftlichen Analysen bieten Raumluftreiniger, die eine Luftwechselzahl von mindestens 6 pro Stunde schaffen, einen Filter der Klasse H14 nutzen und hinreichend leise sind, so dass sie nicht abgeschaltet werden, ein viel höheres Maß an Sicherheit vor einer indirekten Infektion als die freie Lüftung.“ Und dies habe er in der Expertenrunde mit den Kultusministern auch so dargestellt, erklärte Kähler gegenüber News4teachers.

Die Kultusminister wissen also seit (mindestens) knapp einem Jahr Bescheid – und haben sich nicht darum gekümmert, Kitas und Schulen mit mobilen Luftfiltern auszustatten. Erst seit vergangener Woche, seit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigt hat, für alle Kitas und Schulen im Freistaat die Geräte anschaffen zu wollen, ist hektische Betriebsamkeit ausgebrochen: Zwei Bundesländer, Baden-Württemberg und Niedersachsen, haben plötzlich eigene Förderprogramme angekündigt.

Und Rabe? Der weist nach Berlin. Er erklärt: „Sollten sich die medizinischen Einschätzungen dennoch ändern und Filteranlagen in allen Gebäuden wie zum Beispiel Schulen, Sporthallen, Büros, Gastronomie oder Einzelhandel nötig sein, dann sollte die Bundesregierung auch ein funktionierendes Förderprogramm für mobile Raumluftfilter auflegen, die dann ohne große Umbauarbeiten in allen rund 500.000 bundesdeutschen Unterrichtsräumen aufgestellt werden könnten. Das jetzige Programm taugt dazu nicht.“ News4teachers

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