DÜSSELDORF. Neue Runde im Luftfilter-Skandal: „Die Mehrheit“ der Schulen in NRW ist bei der Lüftung zum Schutz gegen das Coronavirus gut aufgestellt – behauptet das Bundesumweltamt (UBA). „Nur“ 15 bis 25 Prozent könnten derzeit „nicht so belüftet werden, dass Viren durch das Öffnen der Fenster abtransportiert“ würden, sagte UBA-Direktor Heinz-Jörn Moriske am Dienstag in Düsseldorf. „Nur“ 15 bis 25 Prozent? Das lässt sich auch andersherum lesen: Anderthalb Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie werden allein in Nordrhein-Westfalen noch immer bis zu 500.000 Schülerinnen und Schüler in Räumen unterrichtet, die den Vorgaben der KMK zum Gesundheitsschutz nicht entsprechen.
Bereits im vergangenen Herbst hatte das Umweltbundesamt (UBA) für die Kultusministerkonferenz (KMK) eine Handreichung zum richtigen Lüften in Schulen erarbeitet, die dann im Oktober vorgestellt wurde. Darin, so heißt es, geben „die Expertinnen und Experten für Innenraumlufthygiene des UBA“ Empfehlungen, wie sich mit richtigem Lüften in Schulen das Risiko reduzieren lasse, sich mit dem neuartigen Coronavirus zu infizieren. „Kern unserer Empfehlung ist, Klassenräume regelmäßig alle 20 Minuten für etwa fünf Minuten bei weit geöffneten Fenstern zu lüften“, so erklärte UBA-Präsident Dirk Messner seinerzeit.
Notwendig sei es, stoßzulüften – also alle Fenster weit zu öffnen. Nur ein Fenster teilweise zu öffnen oder die Fenster zu kippen, reiche nicht aus. „Können Räume nicht gelüftet werden, sind die Räume aus innenraumhygienischer Sicht nicht für den Unterricht geeignet“, heißt es in der Handreichung, die auch in Nordrhein-Westfalen für die Schulen verbindlich ist.
„Kann eine jederzeitige wirksame Belüftung nicht gewährleistet werden, kommen solche Räume (…) nicht in Betracht“
Auf der Homepage des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen steht dann auch (mit Datum vom 15. März 2021) entsprechend zu lesen: „Kann eine jederzeitige wirksame Belüftung nicht gewährleistet werden, kommen solche Räume für den regelmäßigen Aufenthalt von mehreren Personen nicht in Betracht.“
Kommen sie offenbar doch: Auf 15 bis 25 Prozent schätzt das UBA den Anteil der Schulen mit nicht ausreichend zu lüftenden Klassenräumen im Land. Für diese könnten Luftreiniger Abhilfe schaffen, die etwa mit hocheffizienten Filtern arbeiteten, erklärte nun Moriske. Sinnvoll seien auch geräuscharme, sogenannte UVG-Geräte, die Viren in der Luft «biologisch inaktivieren». Dass das UBA über ein Jahr lang mobile Luftfilter in Schulen für unnötig erklärt hatte – und damit den Ländern und den Kommunen ein Alibi fürs Nichtstun lieferte, wie News4teachers berichtet –, ist Moriske keine Erwähnung wert.
Pikant ist in diesem Zusammenhang die Begründung der NRW-Landesregierung für ein neues Förderprogramm, mit dem sie (zur Hällfte aus Bundesmitteln) die Anschaffung von Luftfiltern für Kitas und Schulen mitfinanziert. „Mit diesen Mitteln können gezielt Räumlichkeiten mit mobilen Luftfilteranlagen ausgestattet werden, die nur über eine eingeschränkte Lüftungsmöglichkeit (keine sog. Raumlufttechnische Anlage vorhanden, Fenster nur kippbar oder Lüftungsklappen mit minimalem Querschnitt) verfügen“, wie es auf der Seite des Schulministeriums heißt – Räume also, die es nach den eigenen Vorgaben gar mehr geben dürfte.
Wenn das tatsächlich jede sechste oder sogar jede vierte Schule im Land betrifft, wie nun das UBA schätzt, dann wurden bislang (bei 2,1 Millionen Schülerinnen und Schülern in NRW) bis zu eine halbe Million Kinder und Jugendliche sowie ihre Lehrkräfte wissentlich einem besonderen Risiko einer Corona-Infektion ausgesetzt. Auf die Ansteckungsgefahr in einem Klassenraum ohne ausreichende Lüftung weist das UBA selbst hin. „Wegen des vergleichsweise geringen Luftvolumens im Klassenzimmer mit vielen anwesenden Schülerinnen und Schülern ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich infektiöse Partikel im Raum anreichern, vergleichsweise hoch“, so erklärt es in seiner Handreichung.
„Die allermeisten haben keine Probleme zurückgemeldet. Schulen sind sichere Orte für unsere Kinder“
NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) behauptete noch unlängst: Das Schulministerium habe alle Schulen abgefragt, ob es Lüftungsprobleme gebe, und: «Die allermeisten haben keine Probleme zurückgemeldet. Schulen sind sichere Orte für unsere Kinder.» Tatsächlich hatte die Landesregierung im vergangenen Herbst von den Schulträgern wissen wollen, wie viele Klassenräume sich mangels zu öffnender Fenster nicht belüften lassen – die Zahl der gemeldeten Fälle sei gering gewesen, so Scharrenbach. Eine Kontrolle der Angaben fand offenbar nie statt.
Warum stellt das Land aber nun plötzlich, nachdem der Bund ein entsprechendes Programm aufgelegt hat, 90,4 Millionen Euro „für mobile Luftfiltergeräte sowie für einfache bauliche Instandsetzungs- oder Umrüstmaßnahmen an Fensteranlagen einschließlich einfacher Zu- und Abluftanlagen“ zur Verfügung, obwohl es doch angeblich gar keine Räume mit entsprechendem Ausstattungs- oder Renovierungsbedarf gibt? Dieser Widerspruch bleibt unaufgelöst.
“Die Rahmenbedingungen für bestmöglichen Unterricht sind gegeben” – meinen die Schulträger
Die Schulträger ficht das alles nicht an. Sie zeigen nach wie vor wenig Lust, in Luftfilter zu investieren, und sei es auch nur den Eigenanteil zu bezahlen, den die Förderprogramme von Bund und Land vorsehen. Der Präsident des Städte- und Gemeindebunds, Eckhard Ruthemeyer (CDU), befindet entgegen den Empfehlungen aller Wissenschaftler, die den Einsatz mobiler Luftfilter in Schulen untersucht haben, eine flächendeckende Ausstattung mit den Geräten sei nicht zwingend nötig. Es brauche solche Anlagen nur, wo das «deutlich wirksamere Fensteröffnen» nicht möglich sei. Alles in allem gelte: Die Rahmenbedingungen für «bestmöglichen Unterricht» seien gegeben.
Der Vorsitzende des Städtetags NRW, der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), meint generös in Richtung von Eltern- und Lehrerverbänden, die Bedeutung von Lüftungsanlagen solle nicht überbewertet werden. Es seien lediglich «Hilfskrücken». Aber für was eigentlich – wenn es die Räume, die damit sinnvoll ausgestattet werden könnten, doch ohnehin nicht gibt?
Ein Verdacht drängt sich auf: Offenbar wussten Land und Kommunen die ganze Zeit, dass es sehr wohl einen nennenswerten Anteil von Unterrichtsräumen gibt, in denen ein besonders hohes Infektionsrisiko besteht, weil sie die Anforderungen von KMK und Schulministerium nicht erfüllen. Die verantwortlichen Politiker haben nichts dagegen unternommen – und damit Ansteckungen von Schülern und Lehrern in Kauf genommen. News4teachers / mit Material der dpa